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Nur Verlierer

Es sind mal wieder wilde Zeiten rund um den größten Verein Baden Württembergs. Während der VfB Stuttgart unter Sebastian Hoeneß einfach nicht aufhört, mit begeisterndem Fußball von Sieg zu Sieg zu eilen, gleicht das Umfeld einem Scherbenhaufen: Kurve gegen Kapital, Beirat gegen Präsidium, e.V. gegen AG, Transfermarkt-Forum gegen Twitter und alle gegen jeden. Dass es dabei oft ins Persönliche geht, ist vermutlich weniger dem emotional schwierigen Umfeld geschuldet als vielmehr dem allgemeinen Diskurs in den sozialen Medien, der in vielerlei Hinsicht verrutscht ist. Es scheint Zeitgeist zu sein, einfache Lösungen für komplexe Probleme zu suchen. Doch wie so oft ist es alles andere als einfach beim VfB Stuttgart. Und wie so oft ist man an einem Punkt  angelangt, an dem man sich mal wieder verarscht vorkommen kann. Wie lange die Mitglieder beim VfB schon verarscht werden, darüber kann man streiten, aber wir beginnen einfach mal im Jahr 2016, als der Aufsichtsrat des Vereins den Mitgliedern genau einen Kandidaten für die Wahl des Präsidenten präsentierte: Wolfgang Dietrich. Damals entschieden sich über 40 % dafür, dass kein …

Robert Schlienz ist unser Held, war der beste Mann der Welt!

Allgöwer, Buchwald, Klinsmann, Ohlicher, Khedira, Gomez, alles Legenden. Aber der Größte in der Geschichte des VfB wird immer Robert Schlienz sein. Der einmalige Stuttgarter Journalist und Romancier Hans Blickensdörfer schrieb über ihn: “Wir werden nie mehr einen wie Robert Schlienz erleben. Aber wir können alle von ihm lernen.“ Natürlich ist Schlienz der Einmalige, aber auch der Einarmige, dem nach einem Autounfall der linke Unterarm amputiert werden musste. Sein Comeback gab er keine vier Monate nach dem Unglück und alle schauten im Neckarstadion ungläubig, weil keiner es glauben konnte, wie ein Einarmiger im Fußball mit seinen vielen Zweikämpfen bestehen könnte. Wie soll er fallen, wie soll er das Gleichgewicht halten? Mit eiserner Disziplin und ungebrochenem Willen kämpfte er sich zurück. Das waren sowieso seine Stärken. Er war kein Feinfuß, er war ein unerschrockener Arbeiter, ein unermüdlicher Antreiber, im „Doppelpass“ würde man wahrscheinlich von einem „Mentalitätsspieler“ sprechen. Angefangen hatte er als Mittelstürmer und schoss in der Saison 1945/1946 in 30 Spielen sagenhafte 45 Tore. Als Schlienz von seiner rot-weißen Wolke auf Robert Lewandowski schaute, konnte er nur …

Unbezahlbar. Unersetzlich. Unvergessen.

„Und Endo wird Schwabe!“, Wolff-Christoph Fuss übertrieb nicht, als er dies nach Endos Treffer zum 2:1 gegen den 1. FC Köln in der Nachspielzeit des 34. Spieltags der Saison 2021/2022 sagte. Wataru Endo ist der schwäbischste Spieler seit Jahrzehnten beim VfB. Ein echter Schaffer, einer, der immer bescheiden blieb, aus seiner Person und seiner Rolle für Mannschaft und Club nie großes Aufhebens machen. Jetzt erfüllt sich der Kapitän des VfB seinen Traum von der Premier League. Und dann auch noch der Liverpool FC. Geht es noch besser? Geht es noch schlechter für den VfB? Zwei Tage vor dem Bundesligastart den Spieler zu verlieren, ohne den er in den letzten beiden Jahren abgestiegen wäre? Endo ist für den VfB unersetzlich. Der Einzige, auf den immer Verlass war. Die einzige echte Verbindung zwischen Offensive und Defensive. Balleroberer, Ballverstecker, pressingresistente Anspielstation für seine Mitspieler, Schütze von wichtigen Toren, Vorangeher, Überallspieler, Mitreisser, Respektsperson. Er schloss Räume mit seinem Herz und seiner Antizipationsfähigkeit und er öffnete sie mit seiner Spielintelligenz. Er war derjenige, an dem sich alle orientieren konnten. Er …

Wataru Endo: Herz und Hirn des VfB

Alle feiern im Moment “Legenzo” Millot, und das zurecht. Aber wenn wir einem den Klassenerhalt verdanken, dann ist es Wataru Endo. Der Kapitän führt nicht wie die Ewiggestrigen fordern mit 80er- und 90er-Jahre Attitüde, also mit Autorität, wilden Worten oder mit effektheischenden Gesten, er führt mit Taten. Mit Leistung. Mit Verlässlichkeit. Mit Widerstandskraft. Er ist derjenige, an dem sich alle orientieren, an dem sich alle aufrichten können. Beeindruckend, dass der 30-jährige Japaner kein schlechtes Spiel machen kann, obwohl er auch in der Nationalmannschaft gefordert ist und entsprechend viele Flugkilometer und Reisestrapazen in den Beinen hat. Er ist einfach unkaputtbar, er geht immer voran, hat überall die besten Lauf- und Zweikampf-Werte und ist stets eine Inspiration für seine Mitspieler. Er wirft sich todesmutig in jedes Kopfballduell. Und gewinnt es. Er wird umzingelt von mehreren Gegenspielern. Und befreit sich. Er erkennt Lücken. Und schließt sie – oder bespielt sie. Er ist einfach überall. Und schießt auch noch entscheidende Tore. (oder bereitet sie vor, wie das 1:1 beim HSV, bei dem er den entscheidenden vorletzten Pass in die …

Alles auf Null gestellt

Der VfB steht im Moment bei Null. Die Aufbruchstimmung nach dem Last-Minute-Klassenerhalt: dahin. Der unbequeme Sport-Direktor: entsorgt. Das Vertrauen in die handelnden Personen: nicht existent. Eine Sport-Strategie: nicht zu erkennen. Fingerspitzengefühl: nicht vorhanden. Dazu eine bemitleidenswerte Kommunikation, jede Menge Ungereimtheiten in AG und Verein und drei ehemalige VfB-Spieler, mit denen man sich schmücken kann, die aber keinerlei Expertise im operativen Geschäft haben. Es gibt in der Tat Gründe, warum der Vertrag mit Sven Mislintat nicht verlängert wird. Es gibt wahrscheinlich auch gute Gründe, den bisherigen Weg (teilweise) zu verlassen. Aber Bruno Labbadia? Hat Alexander Wehrle das alte Telefonbüchle von Fredi Bobic gefunden? Und warum nicht Christian Gross oder Felix Magath? Ist das das Ergebnis der neuen Sportkompetenz, der Beratungen mit Philipp Lahm, Sami Khedira und Christian Gentner? Womöglich ist der Name Labbadia ein Vorschlag von Rainer Adrion, er scheint in seiner Sicht auf den Profi-Fußball Anfang/Mitte der 2000er Jahre stehen geblieben zu sein. Labbadia ist eine Verpflichtung wie 2017 Andi Beck: Man weiß, was man bekommt, allzu große Erwartungen darf man aber nicht haben. Und …

Ein Stück Identität des VfB ist gegangen

Wenn heute Sven Mislintat von der DNA des VfB spricht und damit „jung und wild“ meint, geht das auf Jürgen Sundermann Ende der 70er Jahre zurück. Der von vielen “Wundermann” genannte Trainer ist jetzt im Alter von 82 Jahren verstorben. Das letzte Mal coachte Sundermann 2018 anlässlich von 125 Jahren VfB am Tag des Brustrings eine Legendenelf zusammen mit seinen Kollegen Felix Magath, Armin Veh und Christoph Daum. Obwohl er weder Meister noch Pokalsieger wurde und auch nie den Pokal der Landesmeister (Vorgänger der Champions League) erreichte, strahlt sein Stern viel heller als der seiner drei Kollegen. Denn Sundermann gab dem VfB seine Identität. Als er 1976 sein Amt in der zweiten Liga antrat, hatte der VfB eine dramatische Saison im Unterhaus hinter sich. Der Verein war mächtig klamm und Sundermann musste auf den Nachwuchs setzen. Er formte aus den jungen Wilden Hansi Müller, Karlheinz Förster, Bernd Martin, Arno Schäfer, Markus Elmer und Bernd Schmider eine Mannschaft, die mit offensivem Fußball begeisterte und den Aufstieg schaffte. Im damaligen 100-Tore-Sturm gelangen einem gewissen Ottmar Hitzfeld 22 …

Wunder gibt es immer wieder

Wir haben uns nur von weitem in der Calwer Straße gesehen. Er im neuen 1992er Remake, ich im Regenbogentrikot. Wir kannten uns nicht, blickten uns von Ferne in die Augen und ballten nur die Fäuste. Der Trottwar-Verkäufer im VfB-Shirt rief mir am Vormittag zu: „Schönes Ding, Bello“ und zeigte auf mein Trikot. Ein Junge ging mit seinem Vater einkaufen, beide im Trikot, und der kleine Sohn gab mir im Vorbeigehen fünf. In der S-Bahn blickte eine junge Frau im Cannstatt-Shirt von ihrem Handy auf, wir sahen uns nur an und nickten. Das alles und noch viel mehr zeigt, was der VfB ist, drückt die Verbundenheit, die Erinnerungen, die Sehnsüchte, die Leidenschaft, die Hingabe, kurz: die Liebe zum Club aus. Zu hören und zu sehen ist das im Stadion. Vor dem Spiel, während des Spiels, ganz besonders dann, wenn die Spielstände in Dortmund durchgegeben werden. Ja, und natürlich nach den Toren und auch nach dem Spiel. Die Fans stemmen sich merklich gegen die Relegation, entfachen einen Sound, der auf dem Spielfeld als Sturm ankommt. Jede gute …

Schwer zu vermitteln

Hohe Inzidenzen, kein Stuttgarter Weihnachtsmarkt, ein bundesweiter Flickenteppich an Regeln und Vorgaben, mancherorts Ausgangsbeschränkungen, VfB-Geisterspiele. Vermutlich werden wir in ein paar Jahren Schwierigkeiten haben, die Erinnerungen an die Weihnachtszeit 2020 und an die von 2021 auseinanderzuhalten. Tatsächlich hat es den Anschein, als hätten viele Entscheidungsträger auch nach 18 Monaten Pandemie nur wenig dazugelernt. Dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während im vergangenen Jahr alle sehnsüchtig auf einen Corona-Impfstoff warteten, sind zwölf Monate später 57 Millionen Deutsche vollständig geimpft. Das sind 68 %. Viele, aber zu wenig, um die aktuelle vierte Welle zu verhindern. Dass man endlich auf die derzeit überlaufende Intensivstationen schnellstmöglich reagieren muss, ist unumstritten. Über die Art und Weise aber müssen wir trotzdem sprechen. 3G mit Kapazitätsbeschränkung, 2G, 2G mit Maske, 2G Plus mit Maske und Kapazitätsbeschränkung: Seit Saisonbeginn mussten sich der VfB und seine Fans quasi von Spieltag zu Spieltag auf neue Bedingungen einstellen. Mit der mutigen Entscheidung, das Stadion unter der 2G-Regelung wieder voll auslasten zu können, machte man sich nicht nur Freunde. Auch die 2G Plus Regelung mit einer begrenzten …

Vermissung

Sitzschalen. Sitzschalen in rot. Sitzschalen in blau. Sitzschalen in gelb, Sitzschalen in grün. Sitzschalen. Ich hasse Sitzschalen. Denn sie sind das Symbolbild des Fußballjahres 2020. Das letzte Mal, als alle Sitzschalen im deutschen Fußball standesgemäß von Fan-Ärschen besetzt wurden, ist knapp 300 Tage her. Es war das Spitzenspiel der zweiten Liga. VfB Stuttgart gegen Arminia Bielefeld. 1:1 ging es aus. Die Älteren unter uns werden sich erinnern. Danach: Lockdownle, Spielunterbrechung und die Bemühungen der DFL und der Clubs, den Profifußball schnellstmöglich gegen alle Widerstände und gute Argumente wieder ans Laufen zu bringen. Kein Wunder, schließlich ging es um die TV-Gelder. Und so kamen die Geisterspiele.  Bitte, lasst uns nicht darüber diskutieren, ob manche Partien mit Fans eventuell anders ausgegangen wären! Dann könnten wir auch darüber diskutieren, ob Spiele ein anderes Resultat gefunden hätten, wenn man ohne Abseits gekickt hätte. Oder mit größeren Toren. Oder mit Medizinbällen. Fans sind Teil des Spiels. Fußball ohne Kurven ist für mich kein Fußball. Allerhöchstens Fußball light. Und den erleben wir aktuell. Und das tut weh. Denn ausgerechnet seit jenem …

Ich bin der VfB. Und du auch!

Ich hatte mir vorgenommen, das alles nicht mehr so nah an mich heran zu lassen und ein wenig Abstand zum VfB Stuttgart zu gewinnen. Abstand zu einer Mannschaft, die oft leblos ist. Trotz vieler vermeintlicher Führungsspieler, die aber offensichtlich über ihre beste Zeit hinaus sind und/oder denen in der aktuellen Situation die nötige Motivation und der letzte Biss fehlt. Die gegen Gegner, die nicht auf Augenhöhe sind (dazu zählen seit neuestem auch Mainz und Düsseldorf), nur mit halber Kraft ins Spiel gehen. Weil sie schon vor der Partie die Ausreden formuliert haben, die ihnen auch noch abgenommen werden bzw. von der sportlichen Führung bestätigt werden, weil sie damit ihre eigenen Fehler kaschieren kann. Ich habe die Freude am Verein für Bitter verloren, weil ich Führungsfiguren im Management sehe, denen offenbar die Demut und die menschliche Größe fehlen, eigene Fehler zuzugeben. Stattdessen werden Tatsachen verdreht, Kritiker verunglimpft und eigene Unzulänglichkeiten weggelächelt und mit Phrasen überspielt. Mir ist die tiefe Verbundenheit verloren gegangen, weil ich den Eindruck habe, dem VfB Stuttgart ist dies nicht mehr wichtig. Tradition …