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Kein Platz für einen Weltmeister

Sami Khedira kehrt mit Hertha BSC zum VfB zurück. Welchen Empfang hätte er wohl in einem vollen Neckarstadion bekommen?

Es gibt Spieler für die besonderen Momente: Chadrac Akolos 2:1 in der Nachspielzeit gegen Köln (Eskalation), Florian Kleins 3:2 in Nürnberg (komplette Eskalation), Gonzalo Castros 3:2 gegen den HSV (zumindest vor dem TV: Voll-Eskalation). Und dann gibt es Spieler für die ganz besonderen Momente: Hermann Ohlichers 2:1 in Bremen (für die älteren), Guido Buchwalds 2:1 in Leverkusen, Sami Khediras 2:1 gegen Cottbus. Sie alle haben sich Einträge in der VfB-Geschichte verdient.

Ich habe Sami Khedira schon immer gemocht. Und ihn gegen alle verteidigt (ich schaue Dich an, Holger!), die ihn für technisch limitiert, zu langsam, zu hölzern, zu irgendwas hielten. Aber das wäre gar nicht notwendig gewesen, seine unglaublichen Erfolge und seine Stammplätze bei Trainern wie Jose Mourinho, Carlo Ancelotti, Massimiliano Allegri und … äh, … Jogi Löw sprechen für sich.

Bin ich jetzt traurig, dass Sami zu Hertha BSC wechselt? In dem blauen Dress sieht der Oeffinger schon komisch aus und ein Wechsel in die USA wäre mir lieber gewesen. Aber hätte ich ihn gerne noch einmal im VfB-Dress gesehen? Ja, aus nostalgischen Gründen, remember 2007. Aber das wäre ein Maskottchen-Transfer, ein reiner Retro-Transfer gewesen, ein typischer Michael Reschke-Move. Der VfB ist auf einem anderen Weg, Sami Khedira hätte zu diesem neuen und jungen Weg nicht mehr gepasst. Wer hätte für ihn auf die Bank gemusst? Wataru Endo? Orel Mangala? Nein, das passt einfach nicht. Hört sich arrogant an: Aber wir brauchen keinen Weltmeister, zumal wir zuletzt mit Weltmeistern keine so guten Erfahrungen gemacht haben (gell, Benji!). Trotzdem schmerzt es, ihn in einem Trikot eines anderen Bundesligisten zu sehen.

Der Fußball von Khedira hatte für die meisten nie etwas mit Magie zu tun. Khedira hat im Mittelfeld der Königlichen meist die Kehrwoche gemacht. Dafür wurde er von der spanischen Presse abwechselnd als „Frankenstein” und “Attentäter auf die Kreativität” diskreditiert. Sein Ehrgeiz und sein Wille sind jedoch außergewöhnlich. So schaffte er es, nach seinem Kreuzbandriss erst im Championsleague-Endspiel und dann bei der WM 2014 dabei zu sein. Um bei einem Spiel von Juventus Turin gegen den SSC Neapel auflaufen zu können, trainierte er sogar nachts. Juve-Trainer Allegri lobte einmal seine strategischen Fähigkeiten: “Er versteht es auf großartige Weise, das Spiel zu lesen und zu animieren. Er strahlt einfach Ruhe aus, macht sehr wenig Fehler, weiß immer, was zu tun ist. Wenn er sich nicht verletzen würde, wäre er wohl perfekt.“

In unserer VfB Fußballfibel schrieb ich:
“Seit der Jugend beim VfB Stuttgart ist es der Mittelfeldspieler gewohnt, Verantwortung zu übernehmen: Er war stets Kapitän und Führungsfigur. Khedira mag manchmal schwerfällig wirken, aber er weiß genau: Der Ball ist schneller als er und deshalb sucht Khedira den schnellen Pass zum Mitspieler. Er denkt immer voraus und sieht schon vorher den Mitspieler, den er anspielen wird. (…) Es scheint so, als ob Khedira immer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz sei. Armin Veh erkannte sofort sein Spielverständnis und förderte ihn von Anfang an: Er ließ ihn zentral und in den Halbräumen, auf der Sechs, auf der Acht und auf der Zehn spielen. Auf allen Positionen zeigte sich Khedira gleich wertvoll. Khedira ist Vehs Schlüsselspieler für alle taktischen Überlegungen. Wenn Thomas Hitzlsperger eine Dose aufschießen kann, dann kann sie Khedira aufdenken.”

Sami ist ein typischer Trainer-Spieler, seine Coaches haben ihn wegen seiner Spielintelligenz und Zuverlässigkeit immer geliebt, wie schon sein U21-Trainer Horst Hrubesch 2009: “Sami Khedira ist Kopf meiner Mannschaft. Er geht voran, dirigiert, stopft Löcher. Er ist wirklich in der Lage, eine Mannschaft zu führen.” Letztlich spielte Khedira nur vier Saisons beim VfB, bevor er 2010 zu Real Madrid wechselte. Aber natürlich hat er einen tiefen Eindruck hinterlassen, er ist aus unserer eigenen Jugend, oiner von uns. Es ist immer beeindruckend, jemandem dabei zuzusehen, wie er immer besser und immer besser wird. Ich sah ihm an: Der will nach ganz oben. Bis der VfB zu klein für ihn wurde. Khedira hatte sich schon früh einen Traum erfüllt: Deutscher Meister werden mit dem Herzensverein. Aber es wurde Zeit für ihn, weiterzuziehen. Trotzdem schwang immer in bisschen Stolz mit, wenn ich ihn in Madrid oder Turin spielen sah. Da hats einer von uns g’schafft.

Sein größtes Spiel war das WM-Finale 2014 – weil er es nicht spielte. Beim Aufwärmen machte die Wade zu. Er hätte es probieren und im Finale auflaufen können, aber er entschied sich dagegen. Aus Verantwortungsgefühl und weil ihm der Erfolg aller wichtiger war (und ist) als sein eigener.

Jetzt kehrt Sami Khedira mit der Hertha zusammen mit Santi Ascacibar zurück ins Neckarstadion. Wie wäre sein Empfang gewesen, wenn Zuschauer zugelassen gewesen wären? Alle hätten gehofft, er bleibt auf der Bank, keiner hätte ihn ausgepfiffen, wäre er auf dem Feld gewesen, es hätte wohlwollende Transparente gegeben – denn Sami Khedira ist ein wichtiger Teil der VfB-Geschichte, auch wenn in der Gegenwart kein Platz mehr für ihn ist.

Zum Schluss eine kleine Bildergalerie mit ein paar VfB-Höhepunkten (für größere Ansicht aufs Bild klicken).

Zum Weiterlesen:
“Ich war von der Öffent­lich­keit fast nie in der Stammelf ein­ge­plant und habe trotzdem überall gespielt“, Interview in 11Freunde.

“Gemessen an seinen Qualitäten war er zu wichtig“, Spiegel Online über Khediras Rolle in der Nationalmannschaft (von 2013!).

Bilder:
Imago

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4 Kommentare

  1. Bernd sagt

    Vier Saisons, nicht drei, von 2006/07 bis 2009/10. Und streng genommen hat Hitz uns 2007 zur Meisterschaft geschossen, Sami hat nur den Vorsprung ausgebaut. Oder ist Hitz dafür inzwischen zu sehr in Ungnade gefallen? ;-)

  2. @buzze sagt

    “Den Vorsprung ausgebaut” ist aber eine sehr unprätentiöse Umschreibung von “Siegtreffer.”

    • Bernd sagt

      Naja, am Ende des Tages ging es ja nicht primär um das Ergebnis gegen Cottbus sondern darum vor Schalke zu bleiben. Und da hat Sami mit seinem Kopfball den Vorsprung um zwei Zähler und ein Tor ausgebaut.

  3. Dietrich sagt

    Und was liest man heute über Sami Khedira:
    Er ist an der Wade verletzt und fällt zunächst mal aus.

    Diesmal keine Freude in der VfB-Reha welt…

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