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Pure Angst darf niemals siegen

Der VfB wollte, das hat jeder gesehen. Aber es fehlte gegen Arminia Bielefeld vor allem an zwei Aspekten: Qualität und Überzeugung.

Hätte man Pellegrino Matarazzo in der Sommerpause gefragt, was er von einer Aufstellung ohne Stürmer halten würde, mit Roberto Massimo ganz vorne, Daniel Didavi als falscher Neun, Borna Sosa als Rechts- und Nikolas Nartey als Linksaußen, dann hätte er milde gelächelt. Er kann das, süffisant lächeln, und man hätte ihm angesehen, dass er es für einige Schnapsideen zu viel hält, mit so einer Aufstellung ein Bundesliga- und kein Kirmesspiel zu bestreiten. Aber er hat’s getan gegen Bielefeld: zu viele Spieler positionsfremd aufstellen, entgegen gesetzt zu dem Motto “Tu’ das, was Du am besten kannst”.

Da Wahid Faghir offensichtlich immer noch kaum Luft für mehr als 30 Minuten hat, ließ er ohne gelernten Stürmer spielen, weil auch Hamadi Al Ghaddoui erkältet ausfiel. Ohne Stürmer wird es selbst gegen Bielefeld schwer, ein Tor zu erzielen. Alou Kuol aus der U21 wäre eine Alternative gewesen oder gleich den Zwei-Meter-Mann Matej Maglica reinwerfen, den Matarazzo in letzter Verzweiflung nach 85 Minuten brachte. Da es bis dahin sowieso keinen Abnehmer für Sosas Flanken gab, stellte der Trainer ihn gleich auf die rechte Seite, in der Hoffnung, dass dem jungen Kroaten ein Robben-Move gelingt. Ein paar gute Szenen hatte er, aber in der zweiten Halbzeit ließ er nach (Fitness-Problem?) und letztlich ging die Idee Matarazzos nicht auf, wie keine im Spiel gegen Bielefeld.

Wenn in einer Mannschaft zu viele Spieler auf für sie fremden Positionen agieren müssen, wenn auf dem Feld zu viele Spieler der Kaderplätze 17plus stehen, wenn die zentrale Figur Wataru Endo ihr 500. Pflichtspiel macht, dann strotzt die Elf nicht gerade vor Selbstvertrauen. Gesehen beispielsweise bei Nartey und Clinton Mola, die sich gar nichts zutrauten, den Ball ausschließlich quer und nach hinten spielten und überhaupt nicht den Mut zeigten, den Matarazzo immer fordert. Mit dem Mute der Verzweiflung agierten vorne Massimo und Didavi, aber dem einen fehlte Spielverständnis und ein Minimum an Ballsicherheit, dem anderen Mitspieler für ein Kombinationsspiel und der Wille, einen Ball auch einmal nicht mit dem Außenrist anzunehmen und damit Schwung und Tempo rauszunehmen.

Nach dem Gegentor machte sich Unsicherheit auf dem Spielfeld bereit, weil System wie Formation gänzlich ungewohnt waren und weil die Überzeugung fehlte, mit dieser Aufstellung etwas zu reißen. Kürzeste Pässe gingen daneben, einfachste Ballannahmen misslangen, Hilflosigkeit machte sich breit. Das setzte sich fort bis zum Abpfiff, da konnte Ata Karazor noch so wild gestikulieren, motivieren, die Kollegen abklatschen, bald wurde aus Unsicherheit lähmende Angst.

Angst, etwas falsch zu machen. Angst, das zweite Sechs-Punkte-Spiel in Folge zu verlieren. Und natürlich herrscht pure Angst bei den Fans. Angst ist auch Ausdruck von Verbundenheit, der VfB ist ihnen wichtig und deshalb nehmen einige den Finger in den Mund und pfeifen. Denn für manche ist der VfB nach dem elften Spieltag bereits abgestiegen. Aber pure Angst darf niemals siegen. Es ist nicht hilfreich, eine stets engagierte aber am Boden liegende Mannschaft auszupfeifen. Die Mannschaft tut, was sie kann. Dass es soweit gekommen ist, daran hat die Mannschaft den geringsten Anteil.

Und der Trainer?
Der muss mit dem arbeiten, was ihm zur Verfügung steht. Und wenn kein fitter Stürmer zur Verfügung steht, dann kann er keinen aufstellen. Aufgrund der Verletzten werden seine Matchpläne und Aufstellungen allerdings immer wirrer und komplizierter. Was ist eigentlich mit Philipp Förster? Hat ihn der Infekt, der ihn 4 (!) Wochen ausser Gefecht setzte, so sehr aus der Bahn geworfen, dass er nicht einmal in dieser Situation eine Option für Matarazzo ist?

Und der Sportdirektor?
Er kann nicht den fünften Innenverteidiger oder den fünften Sechser oder den fünften Neuner auf Bundesliganiveau verpflichten, um für so eine Verletztenliste gewappnet zu sein. Das geht schon aus finanziellen Gründen nicht, aber auch wegen der Mannschaftshygiene nicht. Natürlich gibt es im Kader die eine oder andere qualitative Lücke, die nun aufgrund der Personalsituation besonders auffällig wird. Und vielleicht hat Mislintat zu sehr gezockt, dass sich Talente wie Tanguy Coulibaly, Teto Klimowicz und Roberto Massimo schneller entwickeln. Immerhin haben Dinos Mavropanos und Hiroki Ito seine und unsere Erwartungen mehr als erfüllt.

Und jetzt?
Bringt ja alles nichts. Das ganze Pfeifen, Jammern, schwarz Malen. Es sind noch 23 Spieltage, genug Chancen, um Punkte zu holen. Bielefeld, Augsburg, Fürth sind jetzt auch nicht gerade furchterregend. Der Klassenerhalt wird schwer. Aber es hat vor der Saison auch niemand behauptet, dass es leicht wird.

Zum Weiterlesen:
Unser vertikalGIF „Return of Aufbaugegner“

Rund um den Brustring ist genervt. Von allem.

Stuttgart.International fragt sich, wer von den “zahlreichen Entwicklungsspielern im VfB-Kader (…) mental und fußballerisch für den Abstiegskampf bereit ist.“

Die Süddeutsche Zeitung titel süffisant „Der Ersatzrechtsverteidiger spielt Mittelstürmer” und hält den VfB “aktuell in der Bundesliga für kaum konkurrenzfähig“.

Bild:
Alex Grimm/Getty Images

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12 Kommentare

  1. Bernd sagt

    Man muss das Positive sehen: wir können in der Hinrunde nicht mehr Punktelieferant für die hinter uns stehenden Mannschaften sein. Ansonsten bleibt erstmal die einigermaßen berechtigte Hoffnung, dass mit der baldigen Rückkehr von Müller, Dinos, Kempf, Führich und Marmoush wieder deutlich mehr Qualität zur Verfügung steht. Von Silas will ich gar nicht reden, der soll bitte möglichst behutsam rangeführt werden, damit er sich nicht gleich wieder verletzt.

  2. Estrella sagt

    Materazzo sagte in der PK, daß die VfB Verletzungen, mathematisch gesehen, im Liga Schnitt sind.

    Ich hab es letzte Woche schon geschrieben, daß ich natürlich der Meinung bin, daß Ruhe richtig, aber die rosa Brille abzunehmen wichtig wäre. Wenn 12 Stammspieler, also die komplette A 11 verletzt ist, ist das kein Liga Schnitt.. Wer genau ist z.B. bei Bayern oder DO verletzt…?
    Ein, zwei vielleicht auch drei…, aber keine komplett Mannschaft…

    Wenn ich die Kommentare der Verantwortlichen und Spieler zum Spiel lese, frage ich mich, ob ich etwa den falschen Sky Sender an und ein anderes Spiel geschaut habe.

    Mir ist das alles zu Blümchenrosa.

    Zum ersten mal finde ich es total gar nicht o.k., daß Endo, der dringend eine Pause benötigt und ausgewechselt wurde, schon wieder nach Japan fliegt.

    Dinos ist wenigstens schlauer.

    Warum spielt Stenzel nicht? Er hätte mehr Sinn gemacht als jemand, der noch nie ein wirklich gutes Spiel gemacht hat und in jeder Ballaktion mit Unsicherheit glänzt.

    Was ist mit Beyaz?

    Dida kann keine Mannschaft führen, konnte er noch nie…

    Massimo trifft das leere Tor nicht…
    Teto ebenfalls…
    Tangy braucht auch dringend Spielpraxis in
    der 2. Mannschaft..

    Wieso wehren wir uns gegen eine Modeste / Kruse Lösung…?

    Torinstinkt hat ausser Dinos grade keiner.
    Spielintelligenz, der richtige Paß zur richtigen Zeit sieht und spielt tatsächlich kaum einer.

    Ich meine, daß man das hat oder halt nicht und nur bedingt trainieren kann.

    Ist bei uns im Job auch so. Der eine erkennt intuitiv vernetzte Zusammenhänge, findet Lösungen und der andre kapiert es nach 10 Jahren immer noch nicht.

    Wir haben beim VfB zuwenig, die intuitive Lösungen finden und zuviele, die unfertig sind.

    Für Die richtige Mischung ist klar das Management zuständig. Da sehe ich zuviel
    “Slots” auf könnte sich in 5 -10 Jahren vielleicht (gar nicht) entwickeln und zu
    wenig gestandene fertige Fussballer, die das Gerüst bilden.

    Hier sehe ich eine Kurskorrektur nötig.
    Es muß Spieler geben, die den Plan vom Trainer umsetzen und andere auf dem Feld mitnehmen können.

    • drhuey sagt

      So eine pauschale Aussage hätte ich einem Mathematik-Absolventen gar nicht zugetraut. Sie ist auch faktisch nicht haltbar. Wenn man schon von den eigenen Umständen ablenken und sich mit anderen vergleichen möchte, dann doch bitte die Zahl der Verletzten nach Altersklassen vergleichen. Der Muskel- und Bandapparat ist natürlich bei jüngeren Spielern noch nicht so stabil ausgebildet, zumal, wenn sie aus anderen Ligen kommen und die Belastung der Bundesliga noch nicht ausgesetzt waren. Dazu kommt, dass sie ihren Körper noch nicht so gut kennen und möglicherweise Zeichen nicht bemerken. Da wir nur Jungspunde haben, trifft es uns überproportional. Das kann man als Kaderplaner wissen und wahrscheinlich hat es Mislintat in Kauf genommen. Aber wir hatten ja auch finanzielle Zwänge.
      Deinen Einlassungen zu fehlender Spielintelligenz und auch individueller Qualität in den Basics, ist nichts hinzuzufügen. Der VfB ist am Boden und die Gründe wurden u.a. hier alle zahlreich genannt. Insofern bleibt nur die Hoffnung auf bessere Zeiten.

    • Bernd sagt

      Wenn ich das richtig mitbekommen habe, dann sagte Rino dass wir was die Anzahl der Verletzungen angeht im Durchschnitt liegen. Was bei uns erschwerend hinzukommt ist dass die Ausfalldauer pro Verletzung recht lang ist und wir zudem auch noch jede Menge Ausfälle wegen andere Gründe als Verletzungen haben (hauptsächlich Corona, aber nicht nur, siehe Förster). Ich traue Rino nicht nur aufgrund seines Hintergrunds zu, dass er richtig zählen und das mit anderen Vereinen vergleichen kann.

  3. Motzbackenbruddler sagt

    Nach dem Gegentor, was übrigens völlig unverdient fiel und eigentlich auch aus dem Abseits (zumindest für unsere Jungs), war die Luft mental raus – das hat jeder im Stadion gesehen und auch gefühlt. Selbst auf den Rängen wurde es kurz leiser. Eine so ersatzgeschwächte C11 war damit komplett verunsichert und viel zu sehr damit beschäftigt Fehler zu vermeiden, als ins Risiko zu gehen. Und leider gab es niemanden mehr auf der Bank, der das hätte ändern können. Was willst Du da machen? Pfeiffen? Kann den Frust verstehen, aber das hilft auch nicht weiter. Bielefeld hat das dann ganz clever im Stile einer abgezockten 2. Liga-Truppe gemacht und mitgenommen, was von uns gegeben wurde.
    Aber zur Erinnerung: Weder Trainer noch Sportvorstand haben uns die Sterne vom Himmel versprochen! Es ging immer nur um den Klassenerhalt – und genau da sind wir jetzt tabellarisch angekommen: im Abstiegskampf. Jetzt muss die Länderspielpause dafür genutzt werden, um das in die Hirne der Spieler reinzukriegen, um klar zu machen, dass Hackentricks zwar schön anzuschauen sind, aber hier nicht weiterhelfen. Tore müssen her und zwar mit allem, was man hat – zur Not auch mit Eiern (siehe Ajax;-) Das wird jetzt halt immer schwerer, da noch die ganzen Brocken kommen, aber dennoch kann man den ein oder anderen Punkt noch bis Weihnachten erzwingen, glaube ich.

  4. Bacardihardy sagt

    Was mich als Vfb Fan aktuell nervt ist, Verletztenliste und Fitnesszustand der Mannschaft. Leider weiss man aber nicht, ob die Verantwortlichen erkennen , dass hier ein Zusammenhang besteht und ob Sie dies auch so sehen. Auch glaube ich, dass die Vfb Spieler echt talentiert sind. Aber dieses Talent kann nur über Fitness herausgekitzelt werden. Denke die Vorbereitung in die Saison war zu lasch und dies jetzt zu korrigieren ist womöglich zu spät. Entscheidend wäre jetzt die Trainingsintensitäten langsam zu erhöhen, denn die Rückrunde ist nicht mehr weit.

  5. Heinzi sagt

    Es muss spätestens jetzt jedem klar sein, dass ein knallharter Abstiegskampf bevorsteht. Hier kann man nicht ausschließlich auf Rückkehrer hoffen, die wegen ihrer teils sehr langen Pausen noch sehr lange brauchen werden,um wieder ihr altes Niveau zu erreichen. Daher bitte mal über den eigenen Schatten springen,nochmal versuchen, mit Castro zu reden, damit man wenigstens mal jemanden hat, der in diesen momentanen Hühnerhaufen etwas Ruhe und Struktur bringen kann.

    • @abiszet sagt

      Interessant, dass Castro so hinterher geweint wird. Er würde eine gewisse Ballsicherheit bringen, aber Tempo und Körperlichkeit waren nie seine Stärken. Die sind Pässe und Vertikalität. Nur: Auf wen hätte er denn spielen sollen? So unrealistisch der Wunsch nach ihm ist, auch er würde doch keine wirkliche Hilfe sein: Seit einem halben Jahr nicht unter professionellen Bedingungen trainiert, von mangelnder Spielpraxis ganz abgesehen.

  6. Was ich schon bedenklich finde das wir im Gegensatz zu letzen Saison auf einmal nicht mehr kontern können, quasi nicht mehr pressen können, das steil klatsch verlernt wurde, das das Passspiel so wenig akkurat ist.

    Ich verstehe auch nicht wie man U21 spielen kann aber in es nicht hinbekommt einen freien Schuss im Strafraum gefährlich aufs Tor zu bekommen.

    Für mich wäre Ballkontrolle in der Ballabnahme wichtiger wie jeder Übersteiger. Bevor ich Coulibaly spielen lassen würde wäre Stenzel für mich sogar noch die bessere Alternative.

    Der Franzose muss unbedingt in die zweite Mannschaften in der Form hat er selbst dort es schwer was zu reißen.

    Genau das selbe gilt für Klimowicz. Es fehlt aktuell wirklich an allem. Keine Spielidee kein Druck im Pressing usw

    Klar wie haben viele verletzte und das will ich auch nicht schön reden, aber mit der Leistung am Wochenende ist es ein Witz das überhaupt jemand zu einer Nationalmannschaft darf.

    Komplett ohne Form, nur Ito und Mavropanos und vielleicht noch Kempf sind stabil da mit einer Grundleistung.

    Dahinter gibt es nur Enttäuschungen. Was mich auch irritiert das die Mannschaft in Sachen Laufleistung und intensiven Läufen weit hinter den Werten der letzen Saison sind.

    Und auch wenn wir Zweikampfstark sind machen wir 0,0 daraus, das war mal eine Stärke.

    Gegen Leipzig zu verlieren ist normal aber Bielefeld und Augsburg war einfach so schlecht, da sehe ich schon Parallelen zu Leistungen aus den Abstiegssaisons.

  7. Estrella sagt

    Da schließe ich mich an…

    Unsere Laufleistung war sowohl gegen Augsburg als auch Bielefeld deutlich schlechter als beim Gegner.

    Da ist es wieder, das alte Problem der Grundtugenden. Wenn es nicht schön geht, dann eben über Kampf, Einsatz und Wille.

    Ito finde ich ebenfalls total stark, es unterstreicht allerdings die These, man(n) kann’s oder halt nicht…

    Castro hat Ruhe ins Spiel gebracht, Übersicht, laut Rino höchstselbst, den Druck von den jungen Spielern genommen und eine Struktur gegeben. Ein Emre Can ist es natuerlich nicht.

    Die Konter im letzten Jahr liefen überwiegend ueber Silas und Gonzales.

    Massimo, Teto und Tongy treffen leider immer die falsche Entscheidung, man kann phasenweise gar nicht mehr zusehen.

    Ich befürchte weiter, daß Rinos Matchplan zu leicht zu zerlegen und entschlüsseln ist.

    • Bernd sagt

      Das mit der Laufleistung kann ich aufklären, die ist nämlich schlicht und ergreifend der Tatsache geschuldet, dass wir in beiden Spielen lange in Rückstand lagen und bei >2/3 Ballbesitz Ball und Gegner haben laufen lassen. In Spielen mit anderem Spielverlauf wie gegen Gladbach oder Hoffenheim waren die Laufleistungen ziemlich ausgeglichen.

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