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Nicht nur Frust am Bospurus

Als wir diesen kleinen Blog im Jahr 2014 nach oder besser gesagt zum WM-Titel der deutschen Nationalmannschaft ins Leben riefen, war der VfB Stuttgart nach einem 0:1 gegen Bayern München (Tor in der 92. Minute: Claudio Pizzarro) auf Platz 15 eingelaufen. In der kommenden Saison ruhten die Hoffnungen auf dem neuen alten Trainer Armin Veh, das Ergebnis ist bekannt: Am 34. Spieltag retteten Daniel Didavi und Daniel Ginczek den VfB in Paderborn vor dem Abstieg – vorerst.

Dieser kurze Ausflug in die wenig erfolgreiche jüngere VfB-Historie sei gestattet, um zu illustrieren, wie absurd es – zumindest für mich – eigentlich ist, dass der, dass unser VfB in den letzten 13 Monaten auswärts gegen Real Madrid, Juventus Turin und Fenerbahce Istanbul gespielt hat und sogar eine der Partien für sich entscheiden konnte!

Jetzt also Fenerbahce Istanbul. Eine Stadt, die gleichzeitig in Europa und Asien liegt. Eine Stadt, die 16 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen hat. Eine Stadt, die mit Fenerbahce, Galatasaray und Besiktas gleich drei Fußballclubs von internationalem Format hat. Und nur zur Einordnung: Allein im Kadiköy-Viertel, in dem Fenerbahce beheimatet ist, leben knapp ein halbe Million Menschen. Das bedeutet auch: 18.ooo Menschen pro km². In Stuttgart sind es 3.000 pro km².

Dies nur als kurze Erklärung, warum ich schlichtweg nicht in der Lage bin, das Team von Sebastian Hoeneß zu teeren und zu federn, weil es unglücklich 0:1 im Şükrü Saracoğlu Stadı (das offiziell übrigens den leicht zu merkenden Titel “Ülker Stadi Fenerbahce Sükrü Saracoglu Spor Kompleksi” trägt) unterlag. Nicht, weil sich die Mannschaft von der Lautstärke und der feindseeligen Stimmung aus der Ruhe bringen ließ, sondern weil der VfB seine wenigen Chancen nicht nutzte und bei den Elfmeterentscheidungen nicht unbedingt übervorteilt wurde.



Aber blicken wir doch einfach mal drei Jahre zurück in den Oktober 2022: Pellegrino Matarazzo war kurz vorher entlassen worden und Michael Wimmer hatte übernommen. Und der VfB gab den perfekten Aufbaugegner gegen seit damals drei Spielen sieglose Dortmunder. 0:5 stand es am Ende. Wir wissen, wie es weiterging: Nach einer kurzen Phase der Orientierungslosigkeit, kam Sebastian Hoeneß, der VfB gewann 24 Stunden nach seiner Vorstellung das Pokalspiel in Nürnberg und setzte sich im Abstiegskampf schlussendlich deutlich in den Relegationsspielen gegen den HSV durch. Seitdem geht es eigentlich nur noch nach oben.

Aber zurück ins Hier und Jetzt: Der VfB hat sich wieder in die Riege der europäischen Clubs eingecheckt. Nach der Champions League Reise in der vergangenen Saison, als wir uns irgendwie so fühlten, als hätten wir uns die erst Klasse reingeschummelt, treffen wir in dieser Saison in der Europa League auf Gegner unseres Kalibers. Celta Vigo im Neckarstadion: Kein Problem. Auswärts in Basel: Trotz bester Torchancen verloren. Und jetzt also Fenerbahce Istanbul.

Eine Stadt, die so groß ist, dass daneben alles klein aussieht – sogar ein Spiel des VfB Stuttgart. Aber alleine die Tatsache, dass wir nicht als Touristen dorthin reisten, sondern, weil unser Club dort ein Spiel betreitet, ist etwas besonderes. Auf diese Momente haben viele Fans Jahrzehnte gewartet und jüngere Anhänger und Anhängerinnen wissen überhaupt nicht, wie sich so etwas anfühlt. Ist es nicht auch ein Stück weit ein Privileg, das erleben zu dürfen?

Selbstverständlich bedeutet das keinesfalls, dass man das Team nicht dafür kritisieren darf, dass es weder aus Basel noch aus dem Şükrü Saracoğlu Zählbares mitgenommen hat, keine Frage. Aber für mich ist der VfB Stuttgart immer noch auch eine Mannschaft, die 2020 in der zweiten Liga zwei Mal gegen Wiesbaden verloren hat. Sogar einige Spieler von damals sind noch dabei. Dass dieser VfB, dass unser VfB, auf einmal 75 Minuten im Bernabeu mithalten kann oder als Favorit nach Basel fährt, ist eigentlich surreal – vor allem, wenn unser Verein gleichzeitig auf Platz 4 der Bundesligatabelle steht.

Langer Schreibe kurzer Sinn: Vergesst vor lauter Ärger über unnötige Niederlagen nicht, die aktuelle Phase des VfB Stuttgart zu genießen. Wir reisen durch Europa, können unseren Club in den spektakulärsten Stadien Europas supporten und haben mehr Nationalspieler als je zuvor. Wie neidisch habe ich in den letzten Jahren auf die Europapokal-Abenteuer der Eintracht, Union und früher auch Köln geguckt, verbunden mit der Hoffnung, dass wir das irgendwann auch mal erleben dürfen.

Jetzt ist es soweit, also lasst es uns genießen!

Achja: Und plant unbedingt mal einen Trip nach Istanbul, denn es ist eine unfassbar faszinierende Stadt. Wie wäre es mit nächstem Mai?

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7 Kommentare

  1. Melanie sagt

    Danke! Als heute die Aufstellung kam, war es ja schon wieder “5 vor der Entlassung von Seb”. Ich kann das überhaupt nicht ab und reg’ mich furchtbar über diese Bruddel-VfBler auf! Ich halte das auch so, dass ich gerade einfach genieße. Klar reg’ ich mich uff, wenn es nicht so läuft wie gewünscht. Und dann: denke ich nur ein kleines bissle an die gruselige Sch****, die wir die letzten Jahre im wahrsten Sinne des Wortes mitgemacht haben. Liege hier nach den nächsten 3 Punkten mut meinem Mann, der heute, als ich schon unterwegs zum Stadion war, aus Gladbach zurückkam. Die hätten unsere “Sorgen” grad echt gern…

  2. Konny sagt

    Es gibt auf der ARD Mediathek (wie ich finde) tolle Folgen vom VfB.
    Rise and Fall of VfB – sehr berührend…

    Das geht so ein bisschen in die Richtung. Die Bewusstwerdung, dass wir uns gerade mit Sebastian Hoeneß in einem goldenen Zeitalter befinden.

    Es ist so ein bisschen einerseits / andererseits. So ein Spiel wie in Istanbul oder Basel hätte halt nicht wirklich verloren werden müssen… ich glaube, dass es normal ist, dass man sich da (trotzdem) auch mal die Haare rauft. Sport lebt blöderweise vom Sieg 😬

    Ja Gladbach ist (leider) sehr weit unten, da kann man nur alle Daumen drücken, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden und Kleindienst bald wieder fit ist.

  3. Ich kann das auch verstehen.

    Fenerbahce Istanbul ist eben auch ein Club mit einem extrem hohen Anspruch als Rekordmeister.

    Der Kaderwert liegt ungefähr auf dem Niveau des VfB.

    Dazu dieses fanatisierte, unfaire Publikum…

    Wir haben mit unserer jungen Mannschaft nur ein Tor – ein 11er – zugelassen.

    Wir erleben mit der aktuellen sportlichen Leitung ein gewisse Konstanz. Schön wäre, wenn das NLZ irgendwie besser angedockt wäre. Gemeinsame Spielanlage – one touch Fussball? Keine Ahnung – bin da zu weit weg.

    Bin ein bisschen neidisch auf den FCB mit Musiala und Karl…

  4. Achim Herzblutfan sagt

    Hallo @buzze
    Danke für deinen Artikel. Ich neige ja manchmal dazu mit unseren Jungs mit deftigen Worten ins Gericht zu gehen.
    Ich verspreche Besserung.
    Dein Artikel erdet uns Fans wieder.😍

    • @buzze sagt

      Es soll ja auch gar nicht darum gehen, dass man Team oder Trainer nicht kritisieren darf. Ich finde es aber erstaunlich, wie wenig Vertrauen Hoeneß entgegen gebracht wird. Die Aufstellung gegen Wolfsburg? Viel zu defensiv, das kann nichts werden! Die Aufstellung gegen Mainz? viel zu viel Rotation, das kann nichts werden! Als ob der Trainer eine Formation aufs Feld schicken würde, von der er nicht denkt, dass sie gewinnen kann. Dass zehn neue Spieler ein riskantes Projekt sind, ist aber natürlich auch klar.

  5. Fritz sagt

    Das ist natürlich völlig korrekt, ich würde aber gerne folgenden Punkt anmerken:
    Egal in welchem Bereich man sich befindet, sei es Wirtschaft, Wissenschaft, Sport, oder Kunst, wo immer Leistung und Wettbewerb eine Rolle spielt, setzten sich diejenigen durch, die sich nicht mit dem Status Quo zufrieden geben, die ihr Potential konsequent abrufen und sich dabei kontinuierlich und schneller als die Wettbewerber verbessern.
    Natürlich kann man trefflich darüber streiten, ob man das besser über positive Motivation oder über unerbittliches Ausmerzen von Fehlern erreicht; vermutlich wird die Wahrheit irgendwo dazwischen liegen.
    Was manchmal als “Bruddelei” bezeichnet wird, ist vielleicht nichts anderes als die Ueberzeugung, dass es noch besser geht. Das ist dann im übrigen sicher auch einer der Gründe, warum es so viele schwäbische Weltmarktführer gibt…

    Ich glaube, wir sagen eigentlich dasselbe, nur vielleicht mit leicht unterschiedlicher Gewichtung.

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