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Glücksfall Labbadia

Wataru Endos 2:1 in der 92. Minute am 34. Spieltag der Saison 21/22 dürfte für viele VfB-Fans der emotionalste Augenblick ihres Fanlebens sein. Umso enttäuschender war es, dass es nicht gelang, die kollektive Kraft dieses einmaligen Moments in die anschließende Saison zu überführen. Im Gegenteil. Und ein Jahr später?

Heute vor 12 Monaten wurde die Verpflichtung von Bruno Labbadia bekannt gegeben. Wir schrieben damals „Alles auf Null gestellt“ und die zweite Amtszeit von Labbadia war dann auch tatsächlich eine von vielen erwaretete Nullnummer, die nach knapp fünf Monaten, zwölf Spielen und neun Punkten endete.

Wir mussten genau so leiden wie die Mannschaft:
Unter dem gleichermaßen uninspirierten wie unerfolgreichen Fußball, dazu unter den vielen Ausreden des Managements und der Trainerbank. Hätte uns damals jemand gesagt, dass der VfB exakt zwölf Monate später nach zehn Siegen aus dreizehn Spielen auf Platz 3 der Bundesliga-Tabelle steht und dazu noch überwiegend begeisternden Fußball spielt, wir hätten wohl die Telefonnummer einer Nervenheilanstalt gewählt.

Kein Wunder, denn 2022 hatte es der VfB eben nicht geschafft, aus der Euphorie des späten Klassenerhalts nachhaltig Energie zu ziehen. Neun Spiele ohne Sieg zu Saisonbeginn, dazu schwer nachvollziehbare sportliche und personelle Entscheidungen, Querelen in verschiedenen Gremien und eine nicht existierende oder zumindest irritierende Kommunikation: Ihr erinnert euch.

Im Nachhinein ist die Verpflichtung Labbadias im Dezember 2022 dennoch ein absoluter Glücksfall für den VfB Stuttgart gewesen:

Durch seine trostlose Bilanz, seinen old-school-Umgang mit der jungen Mannschaft und sein starrsinniges Verhalten bei Taktik und Aufstellungen wurde die Verpflichtung von Sebastian Hoeneß überhaupt erst möglich. Und damit der Startschuss für eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Denn im Sommer 2023 gelang, was im Jahr zuvor missglückte: Hoeneß schaffte es, den Schwung aus der erfolgreichen Relegation in die neue Saison zu überführen. Ohnehin gelang ihm fast(?) alles. Sogar, eine absurde Idee von Labbadia gewinnbringend umzusetzen, indem er Waldemar Anton situativ ebenfalls als Rechtsverteidiger aufbot. Das Ergebnis: In 21 Bundesligaspielen unter Hoeneß holte der VfB 43 Punkte. In insgesamt 27 Spielen seiner Amtszeit inklusive Pokal und Relegation stehen 18 Siege, 4 Remis und 5 Niederlagen auf seinem Zettel. Eine phänomenale Zwischenbilanz!

Außerdem wurde Chris Führich zum deutschen Nationalspieler und es würde uns nicht wundern, wenn Deniz Undav, Angelo Stiller und Waldemar Anton auch bei der EM 2024 seine Teamkollegen sind. Wann Brustring-Block, Herr Nagelsmann?

Sebastian Hoeneß hat bisher in der Saison 2023/2024 wahlweise ein “magisches Zweieck” (Süddeutsche Zeitung) geschaffen, bestehend aus Guirassy und Undav, ein “magisches Dreieck“ mit Millot, Guirassy und Undav kreiert oder gleich „Oceans Eleven“ zusammen gestellt, weil er die Mannschaft insgesamt auf ein völlig neues Niveau gehoben hat.

Bei Labbadia klappte nichts, bei Hoeneß fast alles.

Labbadias Morgenläufe verfehlten ihre Wirkung, das 4-3-3 passte überhaupt nicht zur Mannschaft, der Umgang mit dem Team erwies sich als absolut untauglich. Fabian Wohlgemuth konnte so immerhin sehen, wie man es nicht macht, und wusste aufgrund dieser Erkenntnisse, welche Ansprache die Mannschaft benötigt, welche Stellschrauben er in der Kaderplanung drehen muss und welche Spielweise für das Team ideal ist.

Mit Sebastian Hoeneß holte er dann den passenden, viellecht sogar den perfekten Trainer für den aktuellen Kader. Dass Hoeneß sein Spielkonzept ohne Wataru Endo umsetzen musste, weil der Japaner kurz vor seinem 100. Bundesligaspiel nach Liverpool wechselte, schien dem Coach allerdings ganz und gar nicht zu passen. Doch wider Erwarten wurde das durch den Abgang von “Legendo” entstandene Vakuum gleich durch mehrere Spieler (über)kompensiert: Durch Waldemar Anton als lautstarken Kapitän, durch Atakan Karazor als ordnende Hand im Mittelfeld und natürlich durch Angelo Stiller als nahezu perfekte Passmaschine.

Nach all’ der Scheiße in den vergangenen Spielzeiten ging es so für den VfB auf die Reise in ungeahnte Tabellenregionen.

Weil Serhou Guirassy zu Beginn der Saison aus einer Torchance mindestens zwei Treffer erzielte, weil sein Stellvertreter Deniz Undav in Guirassys Abwesenheit fast ebenso treffsicher ist, weil man mit Alex Nübel ein klares Upgrade im Tor verpflichtet hat und ja, vielleicht auch, weil der Spielplan zu Beginn der Saison recht dankbar war – sagt übrigens sogar Sebastian Hoeneß!

Waren spielerische Highlights in der Vergangenheit rar gesät, so ist es in dieser Saison fast einfacher, sich an das einzige Spiel zu erinnern, das nicht gut war: das 0:2 in Heidenheim. In allen anderen Partien konnte der VfB überzeugen. Selbst beim 1:5 in Leipzig spielte das Hoeneß-Team eine überragende erste Halbzeit. Drehte sich die Mannschaft in den letzten zwei Spielzeiten in einer Abwärtsspirale Richtung zweite Liga, ist es aktuell genau andersherum: Die Spieler beflügeln sich gegenseitig, die Fans feiern Team und Trainer, die Spieler den Support im Neckarstadion.

In den zwei letzten Saisons standen am Ende der Saison jeweils 33 Punkte zu Buche. Aktuell sind es bereits 30 nach nur dreizehn Spieltagen. Noch ist es zu früh, davon zu sprechen, dass dies der Anfang von etwas ganz Großem sein könnte. Trotz der sehr positiven Entwicklung dürfen wir nicht vergessen: der VfB ist und bleibt der VfB. Und aktuell ist auch personell zu viel in der Schwebe: Vom Sport-Vorstand bis zum Goalgetter.

Aber den aktuellen VfB feiern wir auf jeden Fall. Denn Trainer, Team und Verantwortliche haben es geschafft, dass wir nicht mehr ängstlich auf die nächste Partie schauen, sondern uns auf jedes Spiel freuen.

Selbst, wenn die kommenden Gegner Dortmund, Leverkusen und München heißen.

Zum Weiterlesen:
Was wohl passiert wäre, wenn der VfB nicht den “Umweg” über Labbadia genommen hätte? Als Nachfolger von Pellegrino Matarazzo wurde auch über Jess Thorup diskutiert, der so gut startete wie noch nie ein Trainer beim FC Augsburg.

The Guardian schriebt: “The turnaround is remarkable“ und blickt ins Stadion: “The Cannstatter Kurve sang “Nach all der Scheiße, geht’s auf die Reise, Stuttgart International” which translates to “After all this shit, let’s go on a trip, Stuttgart International”. Ausführlich wird auch Sebastian Hoeneß gelobt für seine taktische Flexibilität.

Bilder: Adam Pretty, Thomas Kienzle, Christan Kasper-Bartke/Getty Images

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22 Comments

  1. Norbert Gliche says

    Ein sehr gut geschriebenes Statement. Absolut treffend formuliert und völlig richtig Analysiert. Da ist nichts mehr hinzuzufügen, außer dass wir alle unserem VfB die Daumen drücken und für alle Veränderungen das Beste wünschen.

  2. Marcus Fichter says

    War zu dem Zeitpunkt der Labbadia – Verpflichtung S. Hoeneß nicht auch im Gespräch und auf dem Markt. Hab ich das noch richtig im Ohr, das Wehrle den Labbadia wollte ? Sei’s drum, wenn man zwei positive der Labbadia – Zeit abringen kann, dann 1. Wie man es nicht macht und 2. diebstarke körperliche Verfassung der Truppe.
    Man hat derzeit nie das Gefühl, das die nachlassen könnten, im Gegenteil, die können noch was drauf legen. Klar, im Erfolg ist alles einfacher, jeder Meter läuft sich leichter, trotzdem muß man das dem Bruno anrechnen. Doch genug von ihm.

    S. Hoeneß hat derzeit auch einen Lauf, egal was er anpackt, egal was er umstellt, es klappt ( meistens ). Wobei die Halbzeitansprache super sein muß. Z.B. gegen VW, da ist in der 2. Halbzeit nochmal ein Ruck durch die Truppe gegangen. Taktisch ein bisschen umgestellt und das Spiel wurde gewonnen.
    Und M. Friedl hat die Truppe bzw. S.Hoeneß ja geadelt als er meinte, außer gegen Bayern noch nie so viel hinterher gelaufen zu sein.
    In den kommenden 4 Spielen kann die Truppe sich belohnen bzw. da oben festsetzen. BVB im Pokal, Leverkusen, Bayern und dann Augsburg.

    Ich freue mich auf einen tollen Jahresabschluss!

    • soundzecke says

      Sorry aber ich finde es völlig absurd den Fitneßzustand der Mannschaft nach einer kompletten Vorbereitung dem alten Trainer von vor einem Jahr anzurechnen.

      • @abiszet says

        Vom Fitnesszustand steht mE nichts im Text. Wenn wir darauf hinweisen, ist es immer ironisch gemeint.

        • soundzecke says

          @abiszet
          Bei euch weiß ich das schon richtig einzuordnen.
          Ich meinte Marcus Fichter.

          • Marcus Fichter says

            Bin da bei Dir, ich meinte eigentlich auch das Ende der letzten Saison !

            Sorry!

    • Konrad says

      Ich hatte gelesen(ob es stimmt, weiss ich natürlich nicht), dass Mislintat bei Hoeneß vorfühlen sollte und weil er selbst andere Ideen hatte, die Familie Hoeneß irgendwie verärgert hat.

      Und weil jener Serhou auch nicht unbedingt wollte, wurde keine Kaufoption plus Folgebedingungen ect. verhandelt. Unter anderem deswegen und der bei Vertragsverhandlung anstehenden Relegation hat der VfB hier nicht das Heft des Handelns in der Hand.

      Ich muss ehrlich sagen, wenn er nicht erkennt, was er in Stuttgart für ein Standing hat und trotz Afrikaspiele im Winter gehen will, von meiner Seite, ade war schee… es wird wieder jemand geben, der die Lücke mit Leben erfüllt.(siehe Stiller / Mittelstädt)

      Wohlgemuth sagte das auch im Interview, dass man versucht solche Dinge immer mehr zu vermeiden…

      Wenn man Serhou verkauft, könnte man möglicherweise Nübel, Nübel, Nübel und Undav behalten…. wär ja auch ganz prima 😇

      Zu Labbadia: wie sagte meine Oma: “es ist immer alles für was gut..“

      Morgen hauen wir den Wut Terzic aus dem Neckarstadion und DFB Pokal 😇

      • Bernd says

        Laut Riky Palm gab es einen von Mislintat ausverhandelten Anschlussvertrag für Guirassy, der aber aufgrund fehlender Liquidität vom VfB nicht unterzeichnet wurde.

        • Konrad says

          Interessant 🤔 manchmal würde es mich echt interessieren, wie es wirklich war …

          • @abiszet says

            Die wirkliche Wirklichkeit? Alle haben ihre eigene Sicht, weil jeder eine eigene Agenda hat und die für die Wirklichkeit hält. Fehlende Liquidität im September für einen Anschlussvertrag, der ab dem 1. Juli gilt? Hört sich zumindest einmal abenteuerlich, wenn nicht zweifelhaft an.

          • Bernd says

            @abiszet: Da gibt es schon mehrere Konstellationen, in denen das passieren könnte. Eine ist, dass ein sofort fälliges Handgeld vereinbart wurde, dass der VfB nicht zahlen konnte. Oder dass eben für den Juli eine Liquiditätslücke gedroht hat, die Zusatzeinnahmen durch den DFB-Pokal waren im September ja noch nicht absehbar.

            Wenn Mislintat einen Vertrag ausgehandelt hat, der für die Gremien des VfB rote Linien überschritten hat, dann würde mich das jetzt nicht großartig überraschen. Aber ebensowenig würde mich überraschen, dass der Aufsichtsrat einer Budgeterhöhung nicht zustimmen wollte oder mangels Handlungsfähigkeit nicht konnte. Oder eben (und das ist die wahrscheinlichste Variante), dass für den Winter einiges an Liquidität zurückgehalten wurde, damit wir heute das Jubiläum feiern können und noch ein paar Millionen für Kaderleichen und Co-Trainer verbraten werden konnten.

      • Schoafseggel says

        Ich muss ehrlich sagen, wenn er nicht erkennt, was er in Stuttgart für ein Standing hat und trotz Afrikaspiele im Winter gehen will, von meiner Seite, ade war schee… es wird wieder jemand geben, der die Lücke mit Leben erfüllt.(siehe Stiller / Mittelstädt
        *SUPER…. Du sprichst mir aus dem Herzen!*

    • Das mit Bruno und der Fitness ist doch eine Mär. Wenn Hoeneß keinen Fokus darauf legen würde, wäre mehr als ein halbes Jahr und eine Sommerpause später eher nichts mehr von der Fitness übrig.

      • @abiszet says

        @bernd
        Kann alles sein, richtig. Kann auch sein, dass kurz vor Ende des Transferfensters keine Zeit mehr blieb für einen Anschlussvertrag. Kann sein, dass sich der VfB und Serhou zu dem Zeitpunkt nicht einig wurden. Kann sein, dass der VfB die Entwicklung abwarten wollte. Kann sein … Kann sein …

        • Konrad says

          Es könnte allerdings auch sein, dass Mislintat aufgrund der ausbleibenden Vertragsverlängerung mit ihm selbst, einfach keine Lust hatte sich da reinzuhauen, zumal es ja nicht zwingend sein Wunschspieler gewesen sein soll…

          • @abiszet says

            @Konny Das ist ein bisschen das, was ich “gehört” habe: Mislintat wollte aufgrund seiner unklaren Zukunft keinen Vertrag “hinterlassen”, den ein Nachfolger womöglich anders gestaltet hätte.

  3. soundzecke says

    Auf gut deutsch kann man sagen das die Verantwortlichen zu ihrem Glück gezwungen werden mussten.
    Labbadia war eine katastrophale Fehlentscheidung und ich sehe auch in der Nachbetrachtung nichts Gutes dran.
    Für mich sieht es so aus das der Verantwortliche der Labbadia Verpflichtung beinahe vereinschädigendes Verhalten zeigte.
    Und der Hoeneß Befürworter zeigte wohl Sachverstand.
    Aber trotz der scheinbar neuen Transparenz hört man über diese Vorgänge immer noch gar nichts.

    • fritzo62 says

      Schaut Euch die x-Goals unter Labbadia an: mit einem Guirassy oder Undav hätte er die Klasse locker gehalten. Ich halte im übrigen nix davon, immer wieder die Themen Labbadia oder der andere, Sven M.?, hervorzuholen, vorwärts gucken ist cool.

  4. soundzecke says

    @buzze
    Beim Amtsantritt vom Neckarläufer gibts nichts zu feiern, der Feiertag wäre der 03.04.

  5. Jochen says

    Zum Schwur kommt es, wenn der VfB mal wieder 5 Spiele nicht gewinnt. Das kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Mal sehen, ob die vielen Hoeneßjünger dann immer noch so 1000 % zum Trainer stehen. Das geht schnell, siehe Urs Fischer. Ich rate und hoffe zu Augenmaß. Wir werden Guirassy, Millot, Fuehrich etc. zeitnah ersetzen müssen. Unsere Begeisterung setzt nicht die Regeln dieser Haifischbranche außer Kraft. Und lasst den Labbadia mal in Ruhe. Rino hat zuvor auch nix mehr gerissen. Und bei Hoeneß läuft es seit einem halben Jahr (schön) und die Fans singen international (Wahnsinn). Ich hoffe auf die ausgeglichene und unaufgeregte Führung von Herrn Wohlgemuth.

  6. […] Der Vertikalpass schließt Enzo Millot in ein neues magisches Dreieck ein, gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass der Trainer eigentlich „Oceans Eleven“ zusammengestellt habe. Welches Bild man auch immer zeichnen möchte, Millot darf dabei auf keinen Fall fehlen. Der junge Franzose blüht unter Sebastian Hoeneß immer mehr auf und hat maßgeblichen Anteil am Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale. […]

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