Mini-Feature, vp History
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Die laute Goschn

Jürgen Sundermann, der Erfinder der Jungen Wilden Ende der 70er Jahre, stand auf autoritäre Spieler. Weil er sich selbst als Autorität sah und Spieler benötigte, die dies während der 90 Minuten auf dem Platz für ihn übernahmen. Denn auch wenn er mit Trikot auf der Bank Platz nahm, eingreifen konnte selbst Sundermann nicht. Zu seiner Zeit gab es zwei Autoritäten im Team: Dragan Holcer und Roland Hattenberger.

Während der Jugoslawe eher ruhig führte, mit Blicken und kleinen Gesten, war sein österreichisches Pendant ein Mann des Wortes. Er konnte auch einmal laut werden, wenn ihm etwas nicht passte. Zusammen mit Hermann Ohlicher und Georg Volkert gab er den Ton an.

51 Länderspiele hat er auf dem Zettel und zwei WM-Endrunden (1978, 1982).
Wobei er 1978 verletzungsbedingt ohne Einsatz blieb, 1982 dagegen stand er in vier von fünf Spielen auf dem Platz. Wie Kevin Kuranyi und Wataru Endo absolvierte Hattenberger 99 Bundesligaspiele im VfB-Dress. In seinen insgesamt 125 Pflichtspielen zwischen 1977 und 1981 für den VfB gelangen dem Mittelfeldspieler 10 Treffer.

Zusammen mit Erwin Hade­wicz hielt er Märchenprinz Hansi Müller den Rücken frei, so dass der machen konnte, was er wollte. Wenn der Mittelfeldregisseur allerdings zu selbstverliebt agierte, wurde er vom Österreicher ordentlich zusammen gestaucht. “Auch wenn es nicht hilft, so schadet es nicht“, dachte sich der Österreicher, denn Müller pflegte trotzdem seine Egozentrik. Hattenberger war dennoch einer, auf den die jungen Wilden Müller, Karlheinz Förster, Bernd Martin und Bernd Klotz hörten, meistens war er auch nicht zu überhören (“Pudel die net so auf!“).Verbal war der Österreicher also immer gerade heraus (eben “a Goschn auhengan“), auf dem Feld agierte er ebenso schnörkellos. Er war für die einfachen Dinge zuständig: rennen, grätschen, verteidigen, mit seiner kompromisslosen Spielweise verschaffte sich „Hatti“ Respekt bei Gegen- und Mitspielern. Er war ein gnadenloser Abräumer im Mittelfeld, bis einer weinte.

„Beim VfB hatte ich sportlich und finanziell meine beste Zeit. Wir spielten immer um den Titel mit und hatten im Schnitt 54.000 Zuschauer.“, erinnert er sich. Auch große Europapokalabende erlebte er. So wie in der ersten Runde des UEFA Cups 1979 als der VfB gleich auf den AC Turin traf. Das Hinspiel endete 1:0 (Tor: Walter Kelsch), im Rückspiel ging es nach Claudio Salas 1:0 in die Verlängerung, in der Francesco Graziani (114.) traf. Der VfB also kurz vor dem Ausscheiden, als Hattenberger in der allerletzten Sekunde einen Ball in den Turiner Strafraum flankte. Im Getümmel bugsierte Hermann Ohlicher den Ball über die Linie und machte so den Einzug in die zweite Runde klar.

Die Tifosi alles andere als faire Verlierer: “Nach dem Abpfiff rannten wir um unser Leben“, so Hattenberger. “Eine Stunde lang schlossen wir uns in der Kabine ein, dann fuhren wir im Geleitschutz der Polizei mit verhängten Fensterscheiben aus dem Stadion und aus der Stadt.“ Der VfB kam in der Saison im UEFA Cup bis ins Halbfinale, wo er gegen Borussia Mönchengladbach knapp scheiterte.

Das Line-up gegen Turin:
Helmut Roleder – Bernd Martin (91. Erwin Hadewicz), Dragan Holcer, Karlheinz Förster, Bernd Förster – Roland Hattenberger, Hermann Ohlicher, Hansi Müller – Walter Kelsch, Bernd Klotz, Georg Volkert (110. Bernd Schmider) – Trainer: Lothar Buchmann.

Roland Hattenberger war kein spektakulärer Spieler.
Er sah sich zwar als wichtigen Teil des Teams, verstand seine Aufgabe aber immer darin, andere zum Leuchten zu bringen und ihnen die Freiheiten zu geben, um spielentscheidende Momente zu kreieren. Er überzeugte mit Spielintelligenz, Disziplin und Verlässlichkeit und machte die Kreativität der Kollegen oft erst möglich – und blieb trotzdem weitgehend unbeachtet. Denn er spielte in einer Zeit, in der die defensiven Mittelfeldspieler noch nicht zum Hype geworden sind.

Galten sie früher als große Kämpfer, die das Spiel des Gegners stören sollten, sind sie mittlerweile die Taktgeber, die zugleich das Spiel ihrer Mannschaft defensiv und offensiv ordnen. Sie hießen damals ganz unglamourös “Staubsauger vor der Abwehr” und nicht “Holding Six“. Die Sechs trug Hattenberger zwar, aber nur weil die Rückennummern noch nicht fest vergeben waren, sondern sich auf die Position bezogen. Die 10 für den Spielmacher (Müller), die 11 für den Linksaußen (Volkert), die 4 für den Vorstopper (KH Förster). „Hatti“ war kein Box-to-Box-Player, er kippte nicht ab, er räumte auf und er räumte auch ab, bevorzugt gegnerische offensive Mittelfeldspieler.

Der wunderbare Autor Bernd Sautter schreibt in seinem Buch „Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“: „Die Sechs ist die schwäbischste aller Positionen. Gründlich. Zuverlässig. Unauffällig“. Und die Wahrheit ist: Es ist Sautters großer Irrtum, dass er in seinem Werk Hattenberger kein eigenes Kapitel, noch nicht einmal einen Absatz gewidmet hat. Er wird sicher zugeben, dass Hattenberger einer der Helden auf der Sechs in der Geschichte des VfB ist, neben Pavel Pardo, Srecko Katanec, Carlos Dunga, Jose Basualdo, Zvoni Soldo und natürlich Guido Buchwald und Wataru Endo.

Heute feiert Roland Hattenberger seinen 75. Geburtstag.
Herzlichen Glückwunsch!

Zum Weiterschauen:
Immerhin vom Hinspiel gegen AC Turin gibt es ordentliche Bewegtbilder, die einen guten Eindruck vermitteln über den Fußball dieser Zeit. Etwa bei 4:00 Minuten macht Hattenberger (Rückennummer 6) ein Freistoßtrickle. Die Bilder des Rückspiels sind etwas diffus, Spieler sind mehr zu erahnen als zu erkennen. Aber die Tore, die sind einigermaßen zu sehen.

Zum Weiterlesen:
Weitere Texte über Spiele, Spieler, Trainer und Akteure aus der VfB-Geschichte findet Ihr in unserer “vp-History.

Bild: Imago

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