Sebastian Hoeneß war zum ersten Mal in dieser Saison ratlos: Die Kurve hatte ihn auf den Zaun gebeten. Da stand er, hielt ein Mikro in der Hand und wirkte ein bisschen unsicher. Dann lächelte er seine zurückhaltendes Lächeln und sagte: „Ich muss ehrlich sagen, ich weiss gar nicht was ich tun soll … ich lass’ einfach mal mein Herz sprechen“. Dann bedankte er sich für den Support und lenkte, wie es seine Art ist, den Fokus auf die Mannschaft.
Womöglich ist sein Geheimnis, dass er auch mit seinem Herzen coacht. Denn es muss ein Geheimnis geben, wie er in gut einem Jahr aus einem Tabellenletzten einen Tabellendritten geformt hat, der in einer Saison ohne außerirdische Leverkusener um die Meisterschaft spielen würde. Womöglich hat ihm auch sein Herz gesagt, er soll rund zwanzig Minuten vor Schluss Mo Dahoud, Woo-Yeong Jeong und Silas einwechseln. Für mich war das das Signal, dass nichts mehr gehen würde. Denn zuletzt hatten die Einwechslungen wenig Wirkung aufs Spiel. Und ich wurde auch gleich bestätigt, als Silas bei einem vielversprechenden Konter mitsamt dem Ball ins Aus gesprintet ist. Aber mein Herz schlägt anders als das von Sebastian Hoeneß.
In der 83. Minute spielten nämlich genau diese drei eingewechselten Spieler das 2:1 heraus: Dahoud mit einer schönen Verlagerung auf Silas. Der den Ball gut verarbeitete und an der Strafraumkante Zeit zum Flanken hatte. Sein mit extremem Drall getretener Ball landete am zweiten Pfosten, wo Jeong einköpft und Manuel Neuer ausnahmsweise nicht gut aussehen ließ. In der Nachspielzeit erzielte Silas sogar noch das 3:1, weil ihm Serhou Guirassy den Ball in den Lauf grätschte und der zuletzt formschwache Kongolese sicher verwandelte.
Die Freude ist groß, der erste Heimsieg gegen Bayern München seit 2007
Aber ganz ehrlich: Das war ein Muss-Sieg gegen gelangweilte Bayern, der VfB muss diesen FCB schlagen. Denn der hatte keinerlei Interesse am Spiel, die Bayern-Akteure wollten möglichst Kraft sparen, wenig Stress und niemand sollte sich verletzten, was leider nicht so funktionierte. Sie wirkten so, als ob sie schon den Abendanzug für die Champions League trugen und deshalb sah vieles hölzern und unpassend aus, was sie im Neckarstadion veranstalteten. Es sah ganz so aus, als ob sich die Bayern ihre Lackschuhe nicht dreckig machen wollten.
Selbst die Schwalbe von Serge Gnabry im Strafraum, als ihn Waldemar Anton zärtlich übers Gesicht wischt: hölzern und unpassend. Nur Schiedsrichter Tobias Welz erkannte sofort ein elfmeterwürdiges Foul und zeigte auf den Punkt. Der VAR Benjamin Brand sah darin auch keine Fehlentscheidung, so dass Harry Kane Kane-Dinge tat: Einen Elfer sicher verwandeln. Es ist zum dritten Mal in Folge die Geschichte des Spiels, dass der VfB nicht nur gegen einen sportlichen Gegner spielt, sondern auch einen Unparteiischen gegen sich hat. Glücklicherweise gelang es dem VfB im Gegensatz zu den Spielen gegen Werder Bremen und Leverkusen, ein bisschen besser zu sein als das Schiedsrichterteam. Immerhin ging das Spiel nicht so aus wie von uns vorher gesagt.
Natürlich war der VfB auch besser als Bayern.
Aber es fiel ihm schwer, gegen tiefstehende Münchener Chancen zu kreieren. Vor allem in der zweiten Halbzeit, da sah es zeitweise so aus, als ob der VfB gegen einen Abstiegskandidaten spielte, der sich mit einem parkenden Bus ein Remis ermauern wollte. In der ersten Halbzeit war noch deutlich mehr Dynamik drin, vor allem wurden verlorene Balle mit großem Einsatz gejagt. Diese Leidenschaft fehlte im zweiten Durchgang, weil der Rekordmeister immer mehr die Luft aus dem Spiel nahm. Er ließ sich lediglich zu ein, zwei Kontern herab. Aber da liefen nie mehr als drei Bayern Spieler mit, der Rest blieb stehen und ruhte sich aus. So mussten Eric-Maxim Choupo-Moting (48.) und Kane (78.) jeweils alleine den Abschluss suchen, was sogar gefährlicher war als das meiste, was sich der VfB erspielte. Klar, Chris Führich und Deniz Undav versuchten es mit ihren Signature-Tricks, der eine das lange Eck anvisierend, der andere mit der Picke in Bolzplatz-Attitüde, aber das brachte Neuer überhaupt nicht aus der Ruhe.
Wie beim 2:1 machte Neuer auch beim 1:0 keine gute Figur, als nach einem Doppellupfer der Ball im Tor lag: Undav mit einem Heber auf den durchgelaufenen Leonidas Stergiou und der wiederum hob den Ball am deutschen Nationaltorhüter vorbei. Bekommt dafür eigentlich Guirassy auch einen Scorerpunkt? Er hatte vor dieser Szene Eric Dier vom Platz geschossen. Normalerweise macht er diese Chance locker rein, hämmerte den Ball aber auf die Stirn des britischen Abwehrspielers. Genau auf die Stelle, an der er sich kurz zuvor im Kopfballduell mit Guirassy eine Platzwunde zuzog. Während der Bayern-Spieler am Spielfeldrand behandelt wurde, erzielte Stergiou in Überzahl die Führung.
Die Bayern in Gedanken schon beim Halbfinalrückspiel in Madrid als Hoeneß auf sein Herz hörte und die Einwechslungen vornahm: Er wollte das Spiel damit gewinnen, während die Bayern schnell nach Hause wollten. Er zog Angelo Stiller für die letzten 20 Minuten wie schon in Dortmund in die Innenverteidigung und gab damit seiner Mannschaft das Signal, dass ein Punkt ihm zu wenig sei.
Das ist vielleicht auch der neue VfB, der nicht so schnell zufrieden ist mit sich selbst. Der immer mehr rausholen will. Das Team hat Freude am Spiel und Freude an sich selbst, ohne überheblich zu werden. Die Mannschaft bleibt fokussiert, konzentriert und zielstrebig. Es zeichnet sie in dieser Saison aus, dass sie schon früh gemerkt hat, dass sie etwas Besonderes schaffen kann. Das Ergebnis sind Leistungen wie wir sie nach den letzten Jahren nicht für möglich gehalten hätten. Und ein Tabellenplatz von dem wir nicht einmal zu träumen gewagt hätten.
Zum Weiterlesen:
Im VertikalGIF „Bye Bye Bayern“ (inkl. Video von Hoeneß auf dem Zaun) gehen uns so langsam die Superlative für diese Saison aus. Der VfB gewinnt zum ersten Mal seit 17 (siebzehn!) Jahren daheim gegen die Bayern und es gibt sogar noch die Chance auf die Vizemeisterschaft. Es ist einfach ein kollektiver Traum in Weiß und Rot.
Stuttgart.International sieht eine geschlossene Mannschaftsleistung, (…) “Garanten für den 21. Saisonsieg sind diesmal nicht die üblichen Verdächtigen, sondern Spieler, die bisher selten im Mittelpunkt standen“.
Die organisierte Fanszene des VfB Stuttgart hatte alle Fans und Mitglieder zu einer Demonstration aufgerufen. Ähnlich wie bei der „Karawane Cannstatt“ wurde vom Cannstatter Bahnhof zum Stadion marschiert. Vor der Haupttribüne wurde lautstark gegen die vereinspolitischen Verwerfungen protestiert.
Bild: Thomas Kienzle / AFP
Wenn das Herz ❣️des Meisters spricht, ist es vielleicht mal Zeit zu schweigen, still zu geniessen und Bewertungen sein zu lassen – vielen Dank für die überragende Saison, die wunderbare Art Fußball zu spielen und der sensationelle Einzug in die CL – man kann sich nicht oft genug vor der Leistung aller verneigen 🙏 Danke dafür, es hat mal seit langer (Leidens)Zeit mega super Spaß / Freude gemacht VfB Fan zu sein 🤍❤️⚽️
[…] Weiterlesen: Der Vertikalpass schreibt über die Mannschaft: “Es zeichnet sie in dieser Saison aus, dass sie schon […]
Kann mich nur dem Kommentar von @Konrad
voll und ganz anschliessen.
Eine legendäre epische Saison
@Konrad @Bacardihardy
Ich sag’s mit Friedrich Schiller: So nehmet auch mich zum Genossen an, Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der Dritte.
Jedes weitere Wort ist eines zu viel !