Jürgen Sundermann, für viele Fans im fortgeschrittenen Alter immer noch der Wundermann wegen seiner Verdienste um den Aufstieg 1977, feiert heute seinen 80. Geburtstag. Da können wir schon ein bisschen nostalgisch werden, oder?
Dass wir dazu einen Text nahezu unverändert veröffentlichen, der exakt fünf Jahre alt ist, darf nicht als Zeichen mangelnder Wertschätzung verstanden werden. Ganz im Gegenteil: Was kann schöner sein, als mit 80 Jahren noch genauso fit zu sein wie mit 75. Oder wie Sundermann es selbst im aktuellen Interview sagt:
„Allet wunderbar. Bei meinem 75. hat mir mein Arzt gesagt, dass ich 135 Jahre alt werde. Jetzt meint er, es werden noch ein paar mehr.“
Meine Erinnerungen an den Aufstieg 1977 sind altersbedingt ein bisschen nebulös. Drei Dinge sind mir aber noch sehr präsent: Die schönen Trikots mit dem Frottesana-Schriftzug (erster Trikotsponsor von 1976 bis 1979). Egal ob weiss oder rot, kurz oder langärmelig – wenn schon Werbung, dann ist das für mich das beste Trikot; nichts im Brustring platziert, der Schriftzug überzeugt mit perfekter Größe und optimalem Stand, es stört kein zweites Logo.
Das Zweite: Kurz vor der neuen Saison in der ersten Liga präsentierte sich der VfB auf der Königstraße, ich weiss nicht mehr wo, ich weiss nur, die Spieler standen rum, meine Mutter und ich mittendrin, die Spieler schon damals Hipster in Jeanshosen mit Schlag, Bernd Martin trug eine coole Fliegersonnenbrille, Präsident MV mit offenem Hemd und einem riesigen Kragen, natürlich mit einer Roth-Händle zwischen den Lippen. Die meisten VfB-Spieler schauten auf den Boden, vermieden Blickkontakt. Aber die Fans (kaum eine Handvoll) konnten die Idole ansprechen, nach Autogrammen fragen und so holte ich mir die Unterschriften von Helmut Dietterle, den Förster-Brüdern und Jürgen Sundermann. Alle signierten in dem wunderschönen Aufstiegsbuch “Unser VfB” von Günter Wölbert, aus dem auch die hier eingebauten Fotos stammen. Die Macher des Buchs mögen es mir verzeihen, es hat für mich einen großen nostalgischen Wert und alle paar Jahre blättere ich drin rum, meist wenn der VfB mich enttäuscht.
Und schließlich die dritte Erinnerung: Das erste Bundesligaspiel der Saison 1977/1978 gegen Bayern München. Ich saß mit meinem Vater auf der Gegengerade, schummelte mich ins Stadion, weil ich noch so klein war und die Stimmung haute mich um: Das Neckarstadion bis zum Rand gefüllt mit über 70.000 Zuschauern, ein herzzereissender Spielverlauf und mein VfB spielte groß auf gegen Sepp Maier, Gerd Müller, Georg Schwarzenbeck, Branko Oblak und Uli Hoeness. Nach dem 3:3-Ausgleich durch Rummenigge weinte ich.
Ein Jahr später, ich war wieder zum Saisonauftakt im Stadion, das Publikum euphorisch wegen eines begeisternden 4:0 gegen Nürnberg. Zwei Tore durch Georg Volkert, der bei mir in der Nachbarschaft wohnte und ich höre heute noch wie die Fans sangen: “Schorschi, Schorschi noch einmal, es war so wunderschön. Schorschi, Schorschi noch einmal, wir wollen Tore sehn’.”
Zurück zu Jürgen Sundermann! Er übernahm den VfB 1976, führte ihn zurück in die Bundesliga, wurde auf Anhieb Vierter und im Jahr darauf Vize-Meister. Prunkstück in der Aufstiegssaison war der 100-Tore-Sturm. Dabei erzielte Ottmar Hitzfeld (22 Saison-Tore) im Heimspiel gegen den SSV Jahn Regensburg sechs Treffer (Endstand 8:0). 1979 verließ Sundermann den VfB, nach einer bleiernen Saison mit Lothar Buchmann (immerhin Vierter in der Saison 1979/1980) kehrte er für zwei Jahre zum VfB zurück, wurde Dritter und Neunter. Der Zauber war aber irgendwie verflogen. Den ganz großen Erfolg fuhr Helmut Benthaus zwei Jahre später mit der Meisterschaft ein.
In der zweiten Saison der zweiten Liga 1976 war das Geld knapp und Sundermann erfand die VfB-DNA, in dem er auf den Nachwuchs setzte. Die damaligen jungen Wilden hießen Hansi Müller, Karlheinz Förster, Bernd Martin, Arno Schäfer, Markus Elmer und Bernd Schmider. Förster würdigt Sundermann: „Ich persönlich habe ihm viel zu verdanken. Ich habe viel von ihm gelernt, dass man nie aufgeben darf und immer weiter an sich arbeiten muss – auch und gerade im Erfolg.“
Sundermanns Stimme dröhnte den Spielern im Kopf, er war emotional und mitreißend, niemand konnte sich seiner Begeisterung entziehen. Dazu hatte er ein untrügliches Gespür für Menschen und Stimmungen innerhalb einer Mannschaft. Sundermann versöhnte die beiden Sturm-Rivalen Ottmar Hitzfeld und Hermann Ohlicher, er integrierte die ausländischen Nationalspieler Roland Hattenberger und Dragan Holcer, der Wundermann fand immer den richtigen Ton, mit dem er den manchmal selbstzufriedenen und zur Überheblichkeit neigenden Hansi Müller forderte und förderte.
Sundermann gibt gerne zu, dass er von Taktik nicht viel hält, die Einstellung zum Spiel sei es, die über Sieg oder Niederlage entscheidet. Hansi Müller: “Wir haben Harakiri-Fußball gespielt. Daheim haben wir alles niedergerannt – auswärts haben wir den lieben Gott gebraucht. Wir konnten unseren Stil nicht umstellen, wir kannten keine Taktik. Wir haben auch im Training nie taktiert, da gab es nur eins: immer voll drauf.“ Da verwundert es nicht, dass Sundermann dem neuen VfB-Trainer Matarazzo noch skeptisch gegenübersteht: “„Er gibt viele Anweisungen. Aber in meinen Augen überträgt er noch nicht so richtig Freude und Begeisterung auf die Spieler“ sagte er im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten.
In sofern ist Sundermann so etwas wie ein Vorbild für Jürgen Klinsmann, der ebenfalls Motivation, Zusammenhalt, Mentalität und Optimismus für die Leitgedanken des Fussballs hält. Taktik ist ihm schon auch wichtig, kommt aber an zweiter Stelle. Sundermann sagt: “Früher hat es ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben, das fehlt heute. Die Spieler bekommen wegen der taktischen Schemata nur noch wenige Möglichkeiten, eine kreative Spielweise zu entwickeln. Das fängt schon in der Jugend an.“
“Ich habe mein Leben lang nur mit Fußball zu tun gehabt und ansonsten von nichts eine Ahnung“, blickt Sundermann zurück. Aber davon viel. Schon früh erkannte er die Wichtigkeit der Regeneration und arbeitete mit dem ernährungsphysiologischen Institut der Uni Hohenheim zusammen.
Noch heute ist er eng mit dem VfB verbunden, besucht regelmäßig das Training, ist auch als Scout unterwegs, schaut viel Heimspiele. Das ist vielleicht auch ein Problem des VfB: Viele Ehemalige (Spieler) sind präsent, “schwätzet nei“, klüngeln nach dem Spiel im VfB-Clubraum. Nicht selten sieht man da die Helden der vergangenen Tage wie Karl Allgöwer, Helmut Roleder, Guido Buchwald, natürlich Hansi Müller und Hermann Ohlicher, wie sie die Köpfe zusammen stecken, hier wird (auch) Vereinspolitik gemacht.
Herzlichen Glückwunsch zum Gebutrstag, Herr Sundermann! Bleiben Sie gesund und erklären Sie dem aktuellen Team bei Gelegenheit mal, wie das mit dem Aufstieg funktioniert! Wir freuen uns, wenn wir Ihnen diesen Text auch zum 85. Geburtstag unverändert widmen können!
Lieber Stefan Groß, vielen Dank für die Scans aus Wölberts Buch “Unser VfB”.
Titelbild: imago images / Sportfoto Rudel