Ist es zu ruhig beim VfB? Was für eine absurde Frage, sollte man meinen. Es gab in den letzten Jahren genug Aufregung auf und neben dem Spielfeld. Angesichts von Platz 15 mit einem Punkt Vorsprung auf den direkten Abstiegsplatz und einem trostlosen 0:0 gegen den abgeschlagenen Letzten der Tabelle ist es aber erstaunlich unaufgeregt rund um die Mercedesstraße.
Die Ruhe und Besonnenheit liegt zum einen daran, dass es nachvollziehbare Gründe für die derzeitige Lage gibt: Dauer-Verletzte, Corona, schwieriges zweites Jahr, angespannte finanzielle Lage, usw. Damit lässt sich fast alles erklären. Zum anderen liegt es an den Personen. Thomas Hitzlsperger, Sven Mislintat und Pellegrino Materazzo halten kommunikativ den Ball flach, beschwören den Zusammenhalt und entwickelten eine Art Wagenburgmentalität. Sie wollen zudem Druck von den jungen Spielern nehmen, damit diese sich spielerisch und persönlich entfalten können.
Der VfB muss allerdings aufpassen, dass er nicht ganz gechillt in die zweite Liga absteigt. Man sitzt in der Lounge des Tabellenkellers und nicht in einem Aufzug, der automatisch ins Tabellenmittelfeld fährt. Und es heißt schließlich immer noch Abstiegskampf nicht Abstiegschill.
Den Spielern werden optimistische und luftige Melodien vorgespielt, durchaus tanzbar und motivierend, feurige und mitreißende Rhythmen sind auf dem Spielfeld deshalb kaum zu sehen. Durchgelockert, souverän will der VfB auftreten, er will vermitteln, stets Herr der Lage zu sein. Nur die Ruhe selbst, auch bei einer späten Niederlage wie gegen Köln oder einem leidenschaftslosen Auftritt wie in Fürth. Maximal vorbildliche Einstellung, nur: Ist das der richtige Weg, die Mannschaft in Watte statt an der Ehre zu packen („Leute, es ist Fürth!“)? Altgediente VfB-Fans können ein Lied davon singen: Die Wohlfühloase Bad Cannstatt war dem sportlichen Erfolg selten förderlich.
Während Mislintat nach außen stets das Gute (über)betont, ist bei Hitzlsperger („Die Spieler müssen sich straffen“) und Matarazzo (Unzufriedenheit mit den Kaderplätzen ab 15) zwischen den Zeilen durchaus kritische Töne vernehmbar.
Bei Kritik – von außen wie von innen – kommt gerne mal der Ruf, jetzt bloß keine Unruhe reinzubringen. Schließlich müsse unbedingt zusammen gehalten werden, es sollen alle bitte an einem Strang ziehen. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Kleine Erfolge dürfen nicht weiter heroisiert werden, der VfB braucht Real Talk! Denn Kritik kann auch Ansporn sein, kann Anregungen geben, etwas zu verändern. Kann Inspiration sein, über sich nachzudenken, kann Raum schaffen, um sich zu verbessern. Aber auch Bestätigung sein, sich auf dem richtigen Weg zu befinden.
Der VfB braucht keine Slow-Tempo-Beats, er muss mehr Up-Tempo auf den Platz bringen und benötigt einen Game-Changer oder besser Season-Changer. Das gelingt nicht mit Feelgood-Atmo und der puren Hoffnung auf bessere Ergebnisse durch die Rückkehr verletzter Spieler. Behutsamer Aufbau schön und gut, aber es müssen Punkte her. Nicht in Zukunft, sondern jetzt.
Der VfB benötigt ein Leistungsklima, in dem Spielern wie Tanguy Coulibaly, Roberto Massimo, Philipp Förster und Chris Führich unmissverständlich klar gemacht wird, dass sie performen müssen. Für ihre eigene Entwicklung wie auch für die des VfB. Es muss ein leistungsorientiertes (kein schwieriges) Umfeld geschaffen werden, in dem Spieler wie Orel Mangala und Borna Sosa begreifen, dass sie erst den nächsten Schritt beim VfB machen müssen, bevor sie sich bei größeren Vereinen beweisen können. Die Wagenburg-Mentalität von Mislintat sollte nicht nur kommunikativ spürbar werden, sondern zu einer verschworenen Gemeinschaft führen, die beweisen will, dass die letzte Saison kein Zufall war. Dieser Ehrgeiz war in der aktuellen Runde noch nicht zu spüren. Das Spiel gegen Fürth hat gezeigt: Es fehlt dem Team die Gier und in manchen Situationen auch die nötige Leidenschaft und Widerstandskraft. Neben einigen handwerklichen Verbesserungen (z.B. frühere Einwechslungen) ist es entscheidend, dem Team diese Energie zu vermitteln.
Chillout-Area hin, Leistungsklima her, die strukturellen Herausforderungen des Kaders werden damit nicht gelöst: Nicht, dass der junge und wilde Weg verlassen werden soll, aber es ist sehr gefährlich auf die „gefühlten Neuzugänge” Sasa Kaljdzic, Li Egloff und Silas zu setzen, auf Enzo Millot und Naouriou Ahamada. Und auf den aufgerückten Alexis Tibidi und den hochveranlagten Ömer Beyaz, beide übrigens 18 Jahre alt. Also auf die starke Form lange Verletzter zu hoffen und auf die schnelle Entwicklung unberechenbarer Wundertüten.
Das wird aufregend genug und deshalb ist für VfB-Fans ein Chillout-Sampler womöglich doch keine so schlechte Idee, damit am Ende mit einer Club-Fete der Klassenerhalt gefeiert werden kann.
Egal, welche Töne der VfB anschlägt: Am Ende der Saison muss er mindestens auf Platz 15 der Bundesliga-Charts landen, damit es keinen Abgesang auf den aktuellen Weg gibt.
Zum Weiterlesen:
Passend zum Text schlägt Matarazzo in der Spieltags-PK plötzlich ganz neue Töne an, nämlich deutlich schärfere. Er spricht in Bezug auf das Fürth-Spiel von Leistungen, “die man in unserer Situation nicht akzeptieren kann”. Die StN (Plus) schreibt, dass zumindest Matarazzo “den Ernst der Lage begriffen hat. Und nicht immer nur alles schönredet, wie von Teilen der Fans kritisiert wird.“
“Für den VfB ist es keine Selbstverständlichkeit, in der Bundesliga die Klasse zu halten“, Christian Gentner im kicker-Interview
Bilder: Alexander Hassenstein, Matthias Hangst, Getty Images
Den Ernst der Lage finde ich sehr gut dargestellt. Ob er schon in den Köpfen aller Spieler angekommen ist, wage ich zu bezweifeln. Einzig der absolute Wille von Sasa gibt mir momentan Hoffnung. Möge er die anderen mitreißen. Und ruhig mal die unbeschwerten Beyaz oder Li von Anfang an reinschmeissen, weniger als bei Förster oder Massimo kann es kaum werden.
[…] deren Leistung man, Zitat: “in unserer Situation nicht akzeptieren kann”. Rumms. Der Appell der Kollegen vom Vertikalpass, denen es bisher zu ruhig war, hatte offensichtlich […]
Guter Artikel, interessant finde ich, dass es nur 2 Kommentare gibt – offensichtlich bin ich nicht der Einzige der Schwarz sieht ….
Ja, für das Spiel gegen Leipzig sehe ich auch schwarz.
Ansonsten ist es immer dasselbe Spiel: Wer es tabellarisch für fatal hält und unzufrieden ist mit einem 0:0 gegen den nach Tasmania schlechtesten Bundesligisten aller Zeiten, findet alles Mist, von Mislintat bis Matarazzo, von Müller bis Mavropanos – am besten noch mit schwieriges Umfeld anbrüllen, wie es Joachim im anderen Kommentar so unqualifiziert tat. Es ist offensichtlich schwer zu begreifen, dass sich nicht alles in schwarz und weiss, in gut und schlecht einteilen lässt. Bei allen nachvollziehbaren Schwierigkeiten (Dauer-Verletzte, Corona, schwieriges zweites Jahr, angespannte finanzielle Lage) gibt es dennoch Punkte, die nicht gut sind und die anzusprechen für viele offenbar ein Problem ist und die das mit dem üblichen Broddeln und “zu hohen Erwartungen” verwechseln. Diese Erwartungen werden auch regelmäßig von Ex-VfB’lern angesprochen, wie zuletzt Huub Stevens oder Christian Gentner, dabei träumt niemand von internationalen Plätzen, sondern einfach von einem Klassenerhalt, der die Nerven schont.
Aber soweit sind wir leider noch nicht. Schon mer mal, wie Matarazzo und Mislintat weiter die Zügel anziehen. Für Leipzig wird es sehr sehr schwer, wie Estrella schreibt: Nkunku ist eben eine andere Hausnummer als Hrgota letzte Woche …
Ich habe mich bisher mit einem Kommentar zurück gehalten, weil ich in Sachen Kritik am schwierigen Umfeld erstmal in mich gegangen bin…
… trotz allem darüber nachdenken komme ich zu keiner neuen Erkenntnis.
Es macht mir gerade keinen Spaß zuzuschauen und den Verantwortlichen zuzuhören.
Früher, selbst in Liga 2, hätte ich nicht mal den Gedanken gehabt, ob ich lieber das sonnige Winterwetter für in einen Ausflug in den Schnee nutze oder meinen VfB schaue…
Vor meinem inneren Auge sehe ich schon jetzt Nkunku 10 – 20 mal unsere Verteidigung zu überlaufen und frei vor Müller stehen, der den Ball nicht festhalten kann…
Szoboszlai mag den VfB besonders gerne und sagt köszönöm..
Rino wechselt in der 88 Minute jemanden aus, der vorher 85 Minuten nicht im Spiel war.
Während Gonzo ein Traumtor für Bielefeld schiesst…🤪
Mislintat erzählt nach der sehr klaren Niederlage, daß die top Jungs mit top Talent, top Stimmung, top Truppe und maximaler Challenge 22 Minuten super gegen einen CL Kandidaten mit gehalten haben. Bin maximal stolz auf die Jungs.
Und ich denke, Mensch wäre ich doch lieber spazieren gegangen…
Gerne lasse ich mich eines besseren belehren und überraschen. Allein mir fehlt der Glaube… Top schwieriges Umfeld 😅
Tja wie erwartet – die Älteren erinnern sich noch an ein Tor des VfB – die nächsten 3 Niederlagen werde ich mir nicht anschauen und Estrellas Ansatz wählen – mir fällt schon was ein …
Hallo Stephan,
ich habe es angeschaut, die Hoffnung auf eine Überraschung ja stirbt doch zuletzt…
… es war soweit klar, daß wir nicht punkten.
Heute hatten wir tatsächlich Pech, andererseits gewinnt Leipzig humorlos ohne besondere Verausgabung. Wenn die hätten müssen, wäre noch was gegangen…
Bei uns leider nicht… 🙄😥
Mir ist nicht klar warum PM vor den 4 spielen jetzt so ein Fass aufgemacht hat – bin immer noch ein Fan von Vehs Ansatz mit der A-Jugend bei Bayern damals – gegen die Gegner gegen die wir eh immer verlieren (Bayern, Bielefeld, Leipzig, Freiburg und Leverkusen) könnte man doch mal das Team für Liga 2 ausprobieren: Bredlow-Stenzel, Anton, Maglica, Mola – Karazor, Ahamada – Fürich, Beyaz, Egloff – Kuol (Polster) – das hätte nur Vorteile und wäre ehrlich
So hart es sich anhört …
Und auch wenn es gestern gegen Leipzig optisch besser ausgesehen hat. Es wird auch oder gerade in der 2. Liga nicht reichen. Da braucht es richtig bissige, giftige Spieler, die haben wir nicht.
Wir haben lauter liebe nette harmonisch orientierte Personen. Daher ist es ja eine top Truppe mit top Team Spirit.
Es braucht aber halt auch Mal einen giftigen Kimmich oder einer der mal klar sagt, Trainer, was Du willst können wir nicht…
… und es funktioniert ja auch nicht. Ich war nie großer Gonzalez Fan, aber der war giftig, wollte gewinnen, den Ball und Tore schiessen. Ich sehe das aktuell nicht.
Fühle den absoluten Willen zu wollen nicht. Leipzig hat sich doch gestern tod gelacht und das war genau deren Plan. Lass den VfB machen, wird meist eher nichts wir sparen Mal schön Kräfte.
Letztes Jahr waren wir im Konterfußball gut, klar wir hatten Silas. Einen guten Konter habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Das ja kann entweder nicht alles weg sein oder der Match Plan von Rino ist für andere zu leicht durchschaubar, was ich persönlich vermute. Und Rino kann leider im Spiel nicht wie ein Streich oder Nagelmann die Idee umstellen.