Asgeir Sigurvinsson sagte unlängst dem Bayern-Magazin „51“ zu seinem Wechsel von Standard Lüttich 1981 nach München: „Fast wäre ich beim 1. FC Köln gelandet. Aber dann hat Uli Hoeneß angerufen und ich musste nicht lange überlegen“. Ich musste ebenfalls nicht lange überlegen: Sigurvinsson war der größte Zehner des VfB, sorry Hansi Müller, sorry Krassimir Balakov.
Bereits 1980 erschien ein Buch über ihn mit dem Titel „Knattspyrnuaevintyri Eyjapeyjans“, auf Deutsch: „Das Fußballmärchen des Inselbübchens“, es steht wohl in jedem Bücherregal eines sportlich interessierten isländischen Haushalts – und in Island interessiert sich jeder für Sport. Geboren auf Vestmannaeyjar, auch Schauplatz eines Europapokalspiels des VfB 1997 (Endstand 1:3, 2x Fredi Bobic, Jonathan Akpoborie), pfiffen Sigurvinsson ständig heftige Stürme um die Ohren, als Schulkind bekam er manchmal sogar windfrei. “Wir mussten immer aufpassen, dass es uns den Ball nicht vom Fuß weht. Wahrscheinlich hatte ich deshalb eine so enge Ballführung”, sagte Sigurvinsson in einem Interview.
Und wie spielte er ohne Wind?
Voller Eleganz, frei von Eitelkeit und Exzentrik, wenn man von den trotzig herunter gerollten Stutzen absieht. Nachdem Hansi Müller über den Brenner ging zu Pizza, Pasta und Prosecco nach Mailand, bezeichneten ihn kurz nach seiner Ankunft beim VfB 1982 die Journalisten ganz einfallsreich als „Eismeer-Zico“. Benannt nach dem genialen brasilianischen Mittelfeldregisseur, der in der wohl besten Selecao aller Zeiten mit Socrates, Falcao, Cerezo und Junior spielte.
Sigurvinsson kam nach nur einem Jahr in München vom Rekordmeister nach Stuttgart und es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass Paul Breitner für den Transfer zum VfB gesorgt hatte. Der Weltmeister von 1974 fürchtete wegen des Isländers um seinen eigenen Platz im Team. Kein Wunder, neben Sigurvinsson wirkte Breitner wie ein Holzfuss.
In München wurde Sigurvinssons Klasse nie erkannt und gewürdigt, vor allem nicht vom zynischen Trainer Pal Csernai. Der ignorierte ihn die meiste die Zeit und wenn er ihn spielen ließ, überzog er ihn mit unsachlicher Kritik. „Ich hatte nie ein Chance“, sagte Sigurvinsson 1983 dem Fußballmagazin und gab zu, dass ihn Selbstzweifel plagten – bis er beim VfB sein Glück fand.
In unserer Fußballfibel schrieben wir:
“Der Isländer hatte die Haare schön wie Johan Cruyff, den Blick für den freien Raum wie Bernd Schuster und die Anpassungsfähigkeit eines Chamäleons. Er machte immer genau das, was das Spiel des VfB erforderte. Er ließ sich in das defensive Mittelfeld fallen, um der gegnerischen Manndeckung zu entgehen. Er wich auf den Flügel aus, wenn der Gegner die Zentrale verteidigte. Er konnte sich mit kurzen Pässen nach vorne kombinieren und mit langen Pässen das Spielfeld öffnen. Es sah immer so leicht aus bei ihm. Am Ende flog der Ball punktgenau dort hin, wo er ihn gerne haben wollte. Außenrist, Innenrist, Vollspann – die Schönheit seiner Pässe und die Eleganz seiner Bewegungen sind bis heute unerreicht.“
Islands Fußballer des Jahrhunderts war ein guter Freistoßschütze, aber in dieser Disziplin übertreffen ihn Hansi Müller und Krassimir Balakov wirklich. In seinem linken Fuß steckte jedoch noch ein bisschen mehr Gefühl, damit dirigierte er das Spiel des VfB, wurde Denker und Lenker und bescherte dem Club mit dem Brustring wunderbare Jahre. Er zauberte auf dem Rasen und verzauberte die Fans.
Er war dabei alles andere als eine Diva, mehr der Typ „stiller Regisseur“, ein echter „Schweigurvinsson”. Er kommunizierte durch sein Passspiel, denn seine Regieanweisungen bestanden nie aus großen Gesten oder markigen Worten, sondern immer aus Ideen und Pässen, die seine Mitspieler besser machten. Natürlich wurde er Meister mit dem VfB (1984), stand 1986 im DFB-Pokalfinale, 1989 im UEFA Cup-Finale gegen Diego Maradonas Neapel und war die prägendste Figur in seinen acht Jahren beim VfB. Und seine Mitspieler hießen Didier Six, Hermann Ohlicher, Karl Allgöwer, Karlheinz Förster, Jürgen Klinsmann und Guido Buchwald – aber auch Nico Claesen, Andreas Merkle und Hans-Peter Makan. 1990 beendete er seine Karriere beim VfB nach 241 Pflichtspielen. Der ehemalige Nationaltrainer Islands ist sicher der feinste Fußballer des Vereins mit dem Brustring.
Nachdem Sigurvinsson den VfB zum Meister gemacht hatte, rief Uli Hoeneß erneut an. Der VfB-Regisseur musste wieder nicht lange überlegen und sagte dem Bayern-Manager ab. Damit wurde Sigurvinsson endgültig zur VfB-Legende.
Heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, Siggi!
Zum Weiterlesen:
In unserer Rubrik “vp-History“ findet Ihr viele Porträts zu Legenden des VfB. Von Schlienz bis Klinsmann, von Günther Schäfer bis Osorio, von Didier Six bis Wiggerl Kögl.
Die Süddeutsche Zeitung nennt Sigurvinsson den „Beckenbauer vom Nordatlantik“ und stellt fest, dass er seine schwäbische Vergangenheit nicht verleugnen könne, so oft wie er „a bissle” sagt. Zur SZ meinte Sigurvinsson 2010, dass es “der größte Fehler war, den der VfB je gemacht hat“, als man damals zwar an Rudi Völler vom TSV 1860 München dran war, ihn aber doch nicht verpflichtete und der schließlich zu Werder Bremen wechselte.
Bild:
Imago
Meine Reihenfolge sieht ein bisschen anders aus.
1. BALAKOV: Nichts geht über das Magische3eck, die Freistösse hat Krassimir so sicher versenkt wie andere Elfmeter, er ist trotz Zoff mit Rangnick geblieben, und Felix Magath hat seine Fähigkeiten wieder voll zum Vorschein gebracht.
2. SIGURVINSSON: Spielt Sigurvinsson gut, dann spielt auch der VfB gut war mal eine Schlagzeile in den Medien, seine Übersicht und die Pässe in die Tiefe waren ein Traum, schade das die Zeit der großen 10er vorbei ist.
3. HANSI MÜLLER: Als Jugendspieler hat er mir damals unheimlich gefallen, auch wenn man immer den Eindruck hatte das ihm ein bisschen die Geschwindigkeit fehlt. Leider hat er bei der WM 78 mit einem katastrophalen Seitenwechsel die Schmach von Cordoba eingeleitet. Sein größter Erfolg dann 2 Jahre später bei der Europameistermannschaft. Als Müller nach Mailand gewechselt ist war ich unheimlich enttäuscht, und als Funktionär hat er mir überhaupt nicht gefallen, aber das ist eine andere Geschichte.
Beim anderen Text zum Pauli-Spiel wünscht sich jemand Andrich als Neuzugang. So hat jeder seine Vorlieben. :-)
Habe es gelesen, und einen Führungsspieler wie Andrich könnten wir auch gut gebrauchen, aber er hat Vertrag bis 2028 und dürfte vom Gehalt her nicht zu finanzieren sein, zudem wird er bald 31 Jahre alt. Deshalb denke ich das Andrich ein Wunschspieler bleiben wird.
Ja, das war ich. Ich schrieb aber auch „als Ersatz für Stiller“. Mit Stiller wäre Karazor draußen…
Und Andrich will EM spielen – da hilft ihm die Bank in Leberkusen nicht.
Ein zentrales Mittelfeld mit Karazor und Andrich (als Ersatz für Stiller):
Da würde mich die Meinung von Sigurvinsson interessieren ;-)
Siggi war der Grund für mich als Norddeutscher VfB Fan zu werden! Er war einfach grandios und für mich natürlich somit auch #1 aller unserer Spieler!
Schöner Artikel, der nostalgische Gefühle weckt. Mein großer Bruder, kein Fußball-Fan, zog mich damals immer auf mit: Arschgeier. Schlimm für mich mit 8.
Es gibt eine Szene, die beispielhaft ist, für Siggis Genialität: sein 2nd Assist zum wohl schönsten VfB Tor der Geschichte. Ein unfassbarer Ball auf Schäfer, der ihn natürlich auch perfekt verwertet.
https://youtu.be/ARiBSZd9ZkA?si=1rDHoOOUMwwpBrV8
Du hast völlig Recht: diese langen Bälle übers halbe Feld direkt in den Fuß des Mitspielers, das war seine Spezialität. Hiroki Itos Flugball auf Leweling vor dem 1:1 gegen Dortmund November 2023 erinnerte mich an Siggi.
Ja absolut. Es steckte etwas Sigurvinsson in Ito…
Hansi Müller brachte mich 1979 als Nordlicht zum VfB. Somit kann es für mich emotional gesehen nur den schönen Hansi auf der “1” geben. Keine Ahnung, wie meine Eltern es geschafft haben, ein handsigniertes Müller Poster zu erstehen. Jahrelang “mein Schatz – Gollum”!
Sportlich wertvoller als Müller war über die Jahre aber vermutlich Balakov. Seine Vorlagen, Tore, seine Rolle im Magischen Dreieck, für mich ein nahezu perfekter Spieler. In seiner Vita steht immerhin der DFB-Pokal Sieg 1997.
Aber ihr habt vermutlich Recht, dass Sigurvinsson objektiv gesehen der Beste der Drei war. Leider fiel seine Prime in die Zeit von Sportschau, ZDF Sportstudio und ergänzend kicker und BamS. Mit der heutigen Medienlandschaft wäre der Isländer damals noch viel stärker im Fokus gewesen. Und als Hamburg Jung konnte ich den VfB mit Sigurvinsson in meinen Anfangsjahren leider nur einmal pro Saison gegen den HSV im Volkspark Stadion live sehen. Trotzdem sind mir die Meisterschafts Bilder 1984 von Benthaus und Sigurvinsson noch sehr präsent.
Ich tue mich etwas schwer, denn jeder der drei Genannten hat eine Ära geprägt. Ob der ruhige Isländer, ob der technisch versierte Bulgare oder gar der schöne Hansi, alle hatten sie ein linkes Zauberfüsschen und erlebt habe ich sie alle. Gerne denke ich, auch mit ein bisschen Wehmut, an diese Zeit zurück.