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Stadion und Mannschaft spielen Doppelpass

Love Borna Sosa, hate … nein, soweit will ich überhaupt nicht gehen. Aber ganz ehrlich: Ich kann Augsburg nicht leiden. Weniger weil der FCA in der Vergangenheit nicht selten der Trainerkiller war, sondern weil sie einen Fußball spielen, der dem VfB Stuttgart nicht liegt. Sie sind Meister der Manndeckung, Könige der Standards und Experten in Sachen Rudelbildung. Sie sind gut beim Laufen, Sprinten und Kämpfen. Alles Dinge, in denen der VfB nicht so gut ist.

Worin Augsburg besonders gut ist: Im Hinfallen und liegen bleiben, am besten nach Kleinigkeiten. Hätte nur noch gefehlt, Stefan Reuter hätte es in der Coachingzone genauso getan, nachdem ihn Sven Mislintat böse angeschaut hat. Zuzutrauen ist es ihm, also Reuter. Gerade am Anfang des Spiels macht dies dem VfB zu schaffen. Insbesondere nach dem – klar – frühen Rückstand. Wir kennen das. Dan-Axel Zagadou irrlichtert unter einem hohen Ball herum, nachdem dieser aufsprang – überhaupt fiel mir auf, dass oft hohe Bälle nicht direkt verteidigt werden, man sie aufprallen lässt und sich damit in Schwierigkeiten bringt. Dass dann Florian Müller das kurze Eck aufmacht, wundert uns auch nicht besonders, wie elegant der sonst eher grobe Florian Niederlechner vollendet jedoch schon.

Spiel also gelaufen, wie in Dortmund? Dieses Mal nicht, der VfB schüttelt sich, er nimmt die unangenehme Art der Fuggerstädter an, kämpft sich zurück und schafft früh den Ausgleich: Borna Sosa flankt, wer sonst? Aber er flankt mit rechts, und zwar so gut, dass Serhou Guirassy nur einköpfen muss.

Was allerdings auffällt: Das riesige Loch im Mittelfeld des VfB. Als ob Trainer Michael Wimmer es zur No-Go-Area auserkoren hat. Wataru Endo lässt sich oft beim Spielaufbau in die letzte Kette fallen und fehlt dadurch als Anspielstation. Alle anderen Akteure stehen auf Ihren Positionen. Betonung auf: stehen! Es fehlen im Spielaufbau Brückenspieler, die den Ball vom einen Mannschaftsteil in den anderen bringen. Wenn nicht zufällig Endo oder Naouirou Ahamada oder Chris Führich mit Ball durchs Mittelfeld sprinten – und aufgrund des leeren Raumes kaum Gegenspieler haben – wird der lange Ball zum Mittel der Wahl. Der Doppelochsen-Sturm mit Guirassy und Luca Pfeiffer bietet sich dafür auch an und sie machen auch viele Bälle fest. Es scheint also nicht nur zu passieren, sondern sogar Spielstrategie gewesen zu sein.

Ob dazu auch gehört hat, sich am Anfang der zweiten Halbzeit das Spiel des FCA aufzwängen zu lassen, ihnen den Ball zu überlassen und sich viel zu passiv zu verhalten? Ein Glück kann Augsburg nicht viel mehr als kämpfen, laufen, sprinten und sich auf den Boden legen. Bei den Standards hatte ich dennoch ein bisschen Angst, aber das lag nicht an der Stärke des FCA.

Das Faszinierende des Spiels:
Sowohl Mannschaft als auch das gesamte Stadion haben zum gleichen Zeitpunkt gemerkt – heute geht noch was. Vor allem in den letzten 20 Minuten spielen Team und Stadion Doppelpass. Was an Energie von den Rängen kommt, steckt die Mannschaft mit Wucht in Torchancen. Und nach jeder Torchance wird es immer lauter. Endo hätte Doppeltorschütze werden können, doch zwei Mal rettet der grobe Niederlechner auf der Linie. Guirassy hätte Torschütze des Monats werden können mit seinem Fallrückzieher, zuvor vergibt er zentral aus zehn Metern. Pfeiffer köpft an die Latte und der FCA-Keeper Tomas Koubek – sonst die Nummer zwei hinter Rafal Gikiewicz und lange links liegen gelassen und schlecht behandelt – nervt extrem: Er pariert außergewöhnlich gut gegen Pfeiffer und Waldemar Anton.

Mannschaft und Stadion spielen die Augsburger in den letzten Minuten kaputt. Das Team von Enrico Maaßen wird durch die Laustärke immer weiter zurück gedrängt, Abwehrversuche sind nicht mehr als hilflose Befreiungsschläge. Nach jeder Chance brüllt sich das Stadion den Frust von der Seele. Auf diesem Soundteppich gelingt Tiago Tomas eine geniale Vorlage auf Waldemar Anton, der dieses Mal Rechtsverteidiger spielt und im Strafraum auftaucht. Buchstäblich mit letzter Kraft und letzter Minute wuchtet er den Ball ins lange Eck.

Den Ton für das Spiel hat vor dem Anpfiff das Commando angespielt mit einer beeindruckenden mehrteiligen Choreo, die Gegengerade und Untertürkheimer Kurve faszinierte. Props gehen auch an den gut gefüllten Augsburger Block, der sich aus Respekt während der Choreo zurück gehalten hat. Ich weiss nicht, ob sich auch die Frankfurter oder Dortmunder so verhalten hätten. 25 Jahre Commando Cannstatt bekommt so den Rahmen, den es verdient!

Dank der Verbindung von Mannschaft und Stadion ein Sieg also in der Nachspielzeit, wir kennen das. Es ist immer wieder ein außergewöhnliches Erlebnis, aber immer schafft dieses Team einen solchen Kraftakt nicht. Die Spielweise des VfB geht echt an die Substanz, und zwar bei allen Beteiligten, das lässt sich nicht oft wiederholen, im Jahr 2022 genau vier Mal, zwei Mal gegen Augsburg sowie gegen Gladbach und Köln, nur das 4:1 gegen Bochum ein eher gefahrloser Sieg. Der VfB muss, unter welchem Trainer auch immer, in Zukunft einen Modus finden, in dem weniger Wildheit und Chaos herrschen, sondern mehr Struktur, Statik und Balance reinkommt, wobei das Signal von der Bank mit der Einwechslung von Tomas und Li Egloff genau das richtige war.

Zum Weiterlesen:
Stuttgart.International schaut weniger aufs Spiel als auf die Gesamtsituation und meint nicht nur “Wehrle hat sich in eine Lage manövriert, in der er fast nicht mehr gewinnen kann.“, sondern sieht in allen Führungsbereichen massive Defizite. Auf dem Spielfeld natürlich auch. Und gesteht in Bezug auf die Kommunikation in den letzten Wochen: “Da ist es mir ehrlich gesagt lieber, wenn gar nichts gesagt wird.”

Zum Weiterschauen:
Wer den Wahnsinn der letzten Minuten nochmal sehen will, hier ist eine Zusammenfassung.

Bild:
Christian Kaspar-Bartke/Getty Images

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19 Kommentare

  1. Konny sagt

    Was ist los? Heute keine Kommentare?

    Es ist aber tatsächlich gar nicht so einfach, die passenden Worte zu finden.
    Einerseits fallen mir tausend Steine vom Herzen und selten so froh gewesen, dass mein
    Tipp nicht stimmt. Andererseits gibt es schon den einen oder anderen Kopfschüttler.

    Vor dem 0:1 denkst Du, nö
    Bei manchem Abwehrverhalten, doppelt nö
    Bei der Chancenvergabe, dreimal nö

    Und dann einfach nur froh, dass Antons Schuss drin und das Spiel zu Ende ist.

    Mir geht es wie dem Verfasser, Augsburg ähnlich sympathisch wie Union.
    Niederlechner auf der Sympathiescala (1 sympathisch – 10 unsympathisch)
    eine glatte 15 (mindestens)

    Mislintat verhält sich verbal merkwürdig verdächtig zurück, ist da schon was im Busch?
    Jogi und Schneider im Stadion? Auch was im Busch?

    Zu Wimmer habe ich leider noch kein seriöses Bild. Startaufstellung fand ich komisch,
    ich hätte Silas mal draußen gelassen und eher Ata als Abwehrchef gebracht. Wimmer hat
    drei Siege, das Spiel gestern war nicht so einfach wie es aussah. An seinem Statement “Krämpfe am Schluss müssen Benchmark für die nächsten Spiele sein”, werden wir ihn sicher noch messen…

  2. Horst sagt

    finde auch,dass die Twin Towers vorne drin eine sehr interessante Variante sind, um die Edel-Flanken von Borna zu verwerten. Beide Transfers ohne Risiko und mit immer erkennbarerem Potential. Entgegen aller Unkenrufe auch Pfeifer, der ja zu seinem Gardemaß hinzu noch ein guter Kicker zu sein scheint, der auch aus dem Raum kommen kann, Sasa lässt grüßen. Das Diamantenauge ist also wohl noch nicht ganz erloschen. Wohltuend auch, dass er nach den Spiel mal die ganze Journaille hat stehen lassen und gleich heim auf Feierabendbierchen ist.
    Hoffentlich kann jetzt die gezeigte Mentalität mal über die nächsten Spiele aufrechterhalten werden und es folgt in Gladbach nicht das nächste Katastrophenspiel. Dann können wir vielleicht doch noch einigermaßen beruhigt in die lange Pause gehen. Und die anstehenden wichtigen Entscheidungen werden dann hoffentlich mit der notwendigen Ruhe und Weitsicht getroffen.

  3. Fritz sagt

    Man ist wirklich hin und gerissen zwischen der in den letzten 25 Minuten gezeigten Fähigkeit, Torchancen zu generieren, und der Leistung eines Absteigers zuvor. Und Müller ist immer noch der grosse Schwachpunkt.

  4. Ich habe das Spiel eigentlich etwas besser gesehen. Wann hatten wir mal so viele Torschüsse.
    Klar, in der Abwehr herrscht dringend Handlungsbedarf, aber die Maßnahme mit den beiden Brechern vorne hat den Spielaufbau vereinfacht und damit auch die Fehler im Spielaufbau minimiert. Gegen Mannschaften wie Augsburg muss man, wenn man verunsichert ist, so spielen.

  5. Konny sagt

    @abiszet / Qatar

    Du hattest via Twitter für Deine Veranstaltung Morgen (viel Glück dazu 🙏) nach der Meinung zu der WM in Qatar gefragt. Ich habe kein Twitter / Insta und hoffe, dass es für Dich o.k. ist, wenn ich Dir hier antworte. (Kannst es natürlich gern sofort hier rauslöschen)

    => Leider kann ich an der Vergabe nach Qatar nichts ändern. Das ist schon ein Ist –
    Zustand.

    Seit einigen Jahren fehlt mir persönlich der Bezug zur “Mannschaft”. Wenn ich Länderspiele schaue, häufig die, bei denen ein VfB Spieler mitwirkt. Da die National-mannschaft stark bayernlastig ist und jetzt überall wieder dieses “steht Neuer im Tor”? omnipräsent ist, hab ich deswegen schon keine Lust mehr. Was weniger an Qatar, als mehr an den Nationalspielern liegt, zu denen ich keinen Bezug habe.

    Japan mit Ito / Endo werde ich auf jeden Fall anschauen. Kroatien mit Borna.
    Und dann je nachdem, ob mich ein Spiel generell interessiert.

    Abschalten werde ich definitiv bei der Expertise von TH (Thomas Hitzlsperger),
    seine stets lächelnde Unverbindlichkeit reicht mir bereits.

    Qatar / Brasilien …. grundsätzlich gehören die Länder auch zur Welt, so gesehen war
    die letzte Veranstaltung in Russland schon falsch. Denke nicht, dass dort die Menschenrechte wesentlich höher gehängt werden… Man kann es nur das nächste Mal anders / besser machen und vorher über weitreichende Konsequenzen nachdenken.
    Was ich (diesmal) klar nicht mache, ist große Deutschlandfahnen oder Fanartikel ans Haus zu hängen. Da ist Weihnachtsschmuck angesagt und das bleibt in dieser Zeit heilig.

    Es gibt auf der Welt (leider) so viel Ungerechtigkeit, Krieg, Unfrieden. Durch das Betätigen oder Nichtbetätigen eines An / Aus Knopfes auf meiner Fernbedienung werde ich das in zwei oder drei Wochen aus meiner Sicht eher nicht verändern und deshalb andere Wege suchen, einen kleinen Beitrag zu einer “besseren” Welt zu finden.

  6. Ronny sagt

    Es ist bedauerlich, dass bei Niederlagen dieses Forum um ein Vielfaches höher frequentiert ist als nach einem erfolgreichen Spieltag ! Vielleicht hat jemand eine Erklärung dafür ?

      • Stephan sagt

        hab au nix geschriebn – gebs zu – bin schwieriges Umfeld – am Freitagabend schreib ich wieder was – versprochen

    • Der Groundhopper sagt

      Nach Siegen gilt eher das Motto: Schweigen und genießen
      Im Falle von schlechten Ergebnissen hingegen kann es sehr hilfreich sein, im Kreise von Leidensgenossen einfach mal seinen Frust von der Seele zu tippen.
      Hoffen wir also, dass die kommenden Spiele auch eher wenig Anlässe fürs schreiben geben werden ;-)

    • Elmar sagt

      es ist doch einfach zu beschreiben. Wenn Du ein Auswärtsfahrer bist, und dann so eine Performance wie in Dortmund siehst, dann ist das Forum durchaus ein Ventil seine Eindrücke los zu werden. Wie oben beschrieben, man darf auch mal genießen und schweigen bei Sieg, last Minute. Morgen in Gladbach nicht, dann wieder kommende Woche Leverkusen. Schauen wir mal, glaub mir……es gibt die nächsten Wochen genug Themen über die wir uns austauschen werden !

  7. Bacardihardy sagt

    Es lief ja lange Zeit ziemlich mies, jetzt hat man mal 3 von 4 Spielen gewonnen und die Stimmung hellt sich dann doch auf. Zuvor hatte sich doch viel Frust aufgebaut, deshalb vielleicht die vielen Kommentare. Jetzt geniesst man den Moment und hofft, dass es sich zum guten wendet, so zumindest bei mir.

    • Konny sagt

      Wahrscheinlich haben Sie deswegen gestern extra verloren… Sie lesen so wshnsinnig gerne unsere Kommentare 🤪

  8. Elmar sagt

    Also wenn die so weitermachen- mit dem Trainer – ganz sicher Abstieg. Was besprechen die eigentlich seit Monaten ? Da nehme ich auch seinen EX Chef mit rein: wie kann man so viele Gegentreffer in der frühesten Phase eines Spiels bekommen. Gar nix besprechen die oder sie hören einfach nicht zu, dann ist jeder Trainer eh schon gescheitert!

  9. Stephan sagt

    Ich bleib dabei – Magath – mit dem Wimmer/Pellegrino Style holst Du auswärts keinen Punkt mehr die Saison

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