Mini-Feature, Vor Ort
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Sehnsucht: Liga zwei

Gazi Stadion auf der Waldau

Es gibt bekanntlich nicht viel, was die Fans der “Roten” und der “Blauen” eint. Doch aktuell könnte man meinen, dass beide Fanlager hoffen, ihre Farben in der kommenden Saison in Liga Zwo spielen zu sehen. Höchste Zeit also, dahin zu gehen, wo es weh tut und wo Fußball noch Wadenkrampf und Bluterguss ist und kein Selfie-Scheiß im Mannschaftsbus. Die Rede ist von der Drittliga-Partie der Stuttgarter Kickers gegen Arminia Bielefeld.

Als Kind der A2, aufgewachsen zwischen den Abfahrten Ostwestfalen/Lippe, Bad Salzuflen und Herford Ost, bin ich natürlich Arminia-Fan. Das Schöne daran: Es wird nie langweilig. Vier Ligen und Gegner vom DSC Wanne-Eickel bis Bayern München bieten ein breites Spektrum der Unterhaltung. Als ich zu Zweitligazeiten studierte, konnte ich mir gleich nach der Vorlesung noch schnell das Montagsspiel auf der Alm angucken und musste nicht mal das Auto umparken. Ich erinnere mich gut an das damalige Zweitliga-Spitzenspiel gegen TB Berlin mit Hermann Gerland als Trainer. Ging damals übrigens 3:1 aus. Berlin traf bereits früh, aber Tore von Rydlewicz und Labbadia (Doppelpack!) drehten die Partie. Das Team von Thomas von Heesen war damals sensationell: Georg Koch im Tor, dazu u.a. Silvio Meißner, Jörg Böhme, Bruno Labbadia und Giuseppe Reina.

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Seit ich in Stuttgart wohne, habe ich die Bielefelder nur einmal live gesehen und das ist auch schon eine Ewigkeit her: Am 6. Spieltag der Saison 2002/2003 machte der VfB Kevin Kuranyi kurzen Prozess mit den Arminen. Seitdem weilten die Bielefelder mit den Stuttgarter Teams entweder nicht in der selben Liga oder ich war anderweitig verhindert.

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Am vergangenen Samstag konnte ich nun drölf Fliegen mit einer Klappe schlagen:

• Endlich mal wieder die Arminia sehen
• Das Spitzenspiel der 3. Liga bestaunen
• Das erste Heimspiel im neuen Stadion auf der Waldau

Ich hatte mir im Vorfeld überlegt, mir einen Ticket für den Gästeblock zu besorgen, hatte mich dann aber doch für den neutralen Block C entschieden. Das stellte sich auch als gute Wahl raus. Neben mir freundliche Rentner, vor mir jemand, der ständig in einer What’s App VfB-Fangruppe textete und hinter mir ein weiblicher Fan, die ihren Mann fragte, wann sie denn endlich mit dem Pöbeln und Beschimpfen anfangen dürfe. Alles gut also. Eigentlich wollte ich ja auch gleich noch die neue und bereits im Vorfeld hoch gelobte Schräglagen-Gastronomie testen, aber Schlange stehen ist einfach so gar nicht meins und außerdem ist ja ohnehin Fastenzeit.

In Zeiten, in denen sich die VfB-Fans erstaunlich differenziert geben und die Spieler lieber psychologisch betreuen als sie vollends niederzumachen, menschelt es auch auf der Waldau an allen Ecken und Enden. Vor dem eigenen wird erstmal das Vereinslied des Gegners gespielt und OB Kuhn übernimmt nicht nur den symbolischen Anstoss, sondern sichert dem Kickers-Präsidenten Lorz auch zu, dass man eine “Lösung für die zweite Liga findet, wenn es soweit kommen sollte”. Was man als Bayern-Fan eben so sagt, wenn man ein Drittliga-Stadion einweiht. Zur Erinnerung: Das neue Stadion ist mit Rasenheizung jetzt zwar dritt- aber nicht zweitligatauglich. Dafür fehlen noch knapp 4.000 Plätze. Gekommen sind am Samstag etwas mehr als 8.000 Zuschauer. Mir fehlt aber die Phantasie, wie es aussieht, wenn das Gazi-Stadion ausverkauft ist. Es dürfte dann jedenfalls sehr kuschelig auf den Stehplätzen werden.

Dank der geschickten Terminierung des Spiels gibt es eine vorherrschende Farbe: Alle sind blau. Blau-weiss gegen blau-schwarz zum großen Re-Opening. Und die neue Hauptribüne strahlt im lebensbejahenden Grau dazu. Um es dem Schiedsrichter einfacher zu machen, laufen die Bielefelder dann allerdings doch im knalligen Auswärts-Rot auf. Vom stimmungsvollen Einlauf inklusive Luftballon-Massenstart wollte ich eigentlich ein nicht minder stimmungsvolles Video machen. Ging aber nicht, weil ich mitten in einer sensationellen Choreo steckte, die darin bestand, dass die Menschen vor mir ein Blatt Papier hochhielten. Sah von der Haupttribüne super aus, wie man drüben bei kessel.tv sehen kann. Aus meiner Perspektive leider nicht.

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Das Spiel selbst ist schnell geschildert: Viele Zweikämpfe, noch mehr lange Bälle. Viele Chancen für die Kickers ohne erfolgreichen Abschluss. Wenige Chancen mit erfolgreichem Abschluss für die Arminia. Da spricht man dann gerne von cleverer Spielweise und überhaupt: “Wer solche Spiele gewinnt, steigt auf”. Da sowohl der kicker wie auch ein Drittliga-erfahrener Kumpel anschließend von einem guten Spiel sprachen, war es wohl auch ein solches – zumindest für die dritte Liga. Vor allem war es intensiv. Alle drei Sekunden ein Zweikampf, alle 10 Sekunden ein Spieler am Boden und ein Raunen in der Menge. Allemal besser als das kraftlose Gekicke, das man sich rund 20 Stunden vorher in der Mercedes-Benz-Arena angucken musste. Der Bielefelder Torjäger Fabian Klos gewinnt jedes Kopfballduell und wirkt wie ein Sportinvalide, wenn der Ball nicht in der Nähe ist. Wird er angespielt, und das ist wirklich oft der Fall, legt er jegliche Schwerfälligkeit ab und zeigt, warum er mit 17 Buden die Torschützenliste anführt. Am Samstag bleibt er ohne zählbaren Erfolg, aber Tom Schütz und Florian Dick schießen die Bielefelder Tore exakt in den Phasen, in denen die Kickers Druck machen.

Nach dem Sieg führt Arminia Bielefeld nun mit 6 Punkten Vorsprung und einem sensationellen Torverhältnis die Tabelle an. Bei elf verbleibenden Spieltagen ist ihnen der Aufstieg somit nicht mehr zu nehmen. Eigentlich. Denn das dachte man auch über den Klassenerhalt, nachdem die Arminen das Relegationshinspiel in Darmstadt 3:1 gewonnen hatten. Der Rest ist traurige Geschichte. Oder, wie 11 Freunde Redakteur Jens Kirschneck so schön schrieb: “Wenn der Club a Depp is, is Arminia Bielefeld der Oberdepp.” Wenn schon scheitern, dann so richtig. Arminia Edelfan Casper sagt dazu: “Wir scheitern immer schöner, sind Versager mit Stil“.

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Fazit: Der Fußball auf der Waldau hat trotz Hauptribünen-Neubau, Rasenheizung und hipper Gastronomie seinen anachronistischen Charme bewahrt. Es gibt jetzt zwar Business-Seats, aber nach wie vor allem echten Fußball, echtes Bier, Merchandising auf dem Tapeziertisch und faire Preise: 10 Euro zahlt man für einen Stehplatz mit bester Sicht und hat damit bereits ein VVS-Ticket für An- und Abreise. Exklusiver Vertikalpass-Spartipp: Für Menschen in den Randzonen des Schienennetzes ist ein Heimspiel-Ticket unter Umständen günstiger als eine Fahrkarte. Wer beispielweise  im malerischen Sulzbach wohnt, zahlt für eine Fahrt nach Stuttgart und zurück nämlich regulär 14,80 Euro! Nach Abpfiff läuft man auf matschigen Wegen am Fernsehturm entlang zur Ruhbank und fährt in einer mäßig gefüllten U15 innerhalb kürzester Zeit wieder in die City. Kein Stau, kein Stress, kein U11-Gruppenkuscheln und kein Stadioncard-Scheiß.

Einziges, aber großes Manko: Vor dem Anpfiff wird auf der Waldau tatsächlich “Atemlos” gespielt. Jetzt mal ehrlich: Drittliga-Fußball und Helene Fischer passen genauso gut zusammen wie der VfB Stuttgart und Offensiv-Spektakel. Musikalisch beweisen die Roten dennoch mit der Bro Hymn von Pennywise und Climbatize eindeutig den besseren Geschmack. Oder wird das gar nicht mehr gespielt? Ich war schon länger nicht mehr unten im Stadion und mit der Musik nach Heimspielen ist es ja momentan so eine Sache …

Update: Hans Peter schreibt in den Kommentaren, dass “Atemlos” als Running Gag gespielt wurde, weil die Kickers seit Veröffentlichung des “Songs” kein Heimspiel mehr verloren haben. Das Problem sollte sich also von selbst erledigt haben.

 Eine Zusammenfassung des Spiels gibt es beim SWR.

Titelbild: CC BY-NC-SA 2.0 by Joachim Bomann/flickr.com

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2 Comments

  1. Hans Peter says

    Schöner Bericht! Das Anstehen für die Bratwurst hätte sich gelohnt.
    “Atemlos” wird anscheinend als Running Gag gespielt, da man seitdem dieses Lied das Licht der Schlagerwelt erblickte kein Heimspiel verlor. Da der Aberglauben jetzt besiegt wurde, ist Helenes Zeit auf der Waldau wohl wieder vorbei.

    • Sebastian says

      Danke für Deinen Kommentar und der erfreulichen Info zur Beschallung. Da werden einige Fans bestimmt heimlich auf eine Heimniederlage gehofft haben, um den Schlagerspuk zu beenden. :-)

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