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Der VfB voll im Tunnel

Lange Zeit verfuhr der VfB nach dem Motto “Schlechte Zeiten sind wie ein Tunnel. Ganz gleich, wie lang und dunkel dieser Tunnel ist, am Ende ist immer das Licht.“ Jetzt, wo es sportlich so gut läuft wie seit über zehn Jahren nicht mehr, hat der VfB seinen Tunnelclub beim ungefährdeten 3:0 im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt eröffnet.

Es soll Menschen geben, denen wird es in Tunneln mulmig, einige quält sogar eine Angststörung. Das wird ihnen im Tunnelclub nur passieren, wenn sie an die Vereinspolitik denken. Denn der neue VIP-Bereich ist das Prestigeobjekt des für rund 150 Millionen Euro umgebauten Neckarstadions. Die Käufer der über 1.000 Euro teuren Tickets haben nämlich alles im Blick: die Ankunft der Mannschaften, deren Gang aufs und vom Spielfeld, die Interviews nach Spielende, Diskussionen mit dem Schiedsrichter, Späße und Streits untereinander, das Ganze hinter einer riesigen Glaswand. Die VIPs selbst bleiben anonym, denn die Spieler haben durch eine einseitige Verglasung keinen Einblick in den exklusiven Bereich.

Der erste Tunnelclub in Deutschland musste natürlich in Stuttgart entstehen. Schließlich gibt es in Baden-Württemberg über 80 Straßentunnel, was in etwa ein Drittel des deutschen Tunnelbestandes ausmacht. Dem berühmtesten Tunnel Stuttgarts wird der Tunnelclub allerdings nicht den Rang ablaufen: dem Schwabtunnel. Er wurde 1896 nach zweijähriger Bauzeit fertiggestellt und war Deutschlands erster Tunnel, durch den ein Auto fahren konnte. Eine Million Ziegelsteine sollen für das Gewölbe verwendet worden sein.

Die Fans machten gegen die Eintracht das Stadion zum „Tunnel of Love“.
“Die Stimmung war enorm”, zeigte sich Sebastian Hoeneß nach dem Spiel begeistert. Weil auch sein Team vor allem in der ersten Halbzeit begeisterte: Konzentriert, fokussiert, voll im Tunnel eben. In der Anfangsphase hatte der VfB zeitweise Ballbesitzanteile von 90 Prozent, erdrückte den Gegner regelrecht mit seiner spielerischen Dominanz. Dass so gut wie jeder Pass ankommt, ist sowieso schon selbstverständlich geworden.

Die Tore fielen zwangsläufig: Serhou Guirassy nach Vertikalpass von Angelo Stiller (11.), Deniz Undav, der sich sein Tor selbst vorbereitete durch einen hohen Ballgewinn gegen Robin Koch (17.). Ich rief ihm mehrfach zu, er solle den Ball auf Guriassy abspielen. Undav schloss dann selbst ab, seine Schusstechnik: überragend. Und das 3:0 schließlich nach einem zweiten Ball, den sich Undav schnappte. Er schickte Jamie Leweling auf die Reise und nach der ganzen Scheisse, die Leweling teilweise in der Hinrunde spielte (vor allem beim Vergeben von Torchancen), tunnelte er passenderweise Kevin Trapp beim 3:0 (37.). Leweling ist im Moment so gut drauf und in Form, dass er sogar Enzo Millot aus der Startelf verdrängt.

In der zweiten Halbzeit schaltete der VfB in den Verwaltungsmodus, ließ die SGE ein bisschen spielen, ließ Torchancen zu. Das war nicht immer souverän, aber man hatte das Gefühl: Der VfB hätte jederzeit wieder ernst machen können. Zu bestaunen, als sich Guirassy und Undav am Strafraum mal wieder auf engstem Raum den Ball zuspielten und die Leihgabe aus Brighton nur knapp am Tor vorbei schoss (69.).

Gut getan hat es der Mannschaft, dass Kapitän Waldemar Anton zurückkehrte, er verhinderte die eine oder andere brenzlige Situation in der zweiten Halbzeit. Einen soliden Part spielte einmal mehr Leo Stergiou, der rechts ohne Fehl und Tadel verteidigte. Stiller rückte wieder in die Mittelfeldzentrale, was gut war für den Spielaufbau. Entweder er holte sich die Bälle tief ab oder stand seinen Mitspielern als Dreiecksspieler zur Verfügung. Fabian Bredlow mit einigen sehr guten Paraden, einmal mehr ein würdiger Vertreter von Alexander Nübel Nübel Nübel, der zwei weitere Jahre das Tor des VfB hüten wird.

Ist es schon selbstverständlich geworden, dass der VfB seit elf Spielen ungeschlagen ist? Ernsthaft und zugleich spielfreudig auftritt? Mit Leverkusen das beste Team der Saison ist? Ich zumindest staune. Und genieße natürlich. Ich denke dabei nicht an morgen oder die nächste Saison, ich bleibe im hier und jetzt, denke sozusagen von Spiel zu Spiel. Statistisch lässt sich das zwar mit anderen Saisons vergleichen, aber insgesamt ist das einmalig in der VfB-Geschichte. Eine unglaubliche Entwicklung, die vor einem Jahr noch undenkbar gewesen ist.

Der Tunnelclub kommt genau zur richtigen Zeit. In einer Zeit, in der die Mannschaft mitreissenden Fußball spielt, der die Menschen weit über die Grenzen Stuttgarts in Erstaunen versetzt. Wir wollen uns gar nicht vorstellen, wie der Tunnelclub angekommen wäre, hätte der VfB die Relegation in der letzten Saison nicht überstanden. Und würde anstrengenden, unterirdischen Fußball spielen. Da wäre ganz schnell Schicht im Schacht gewesen: „Wenn jemand behauptet, er sehe Licht am Ende des Tunnels, dann kann es Ihm auch passieren, dass es die Lichter des entgegenkommenden Zuges sind“.

Der Zug, mit dem der VfB in Richtung Champions League fährt, hat derzeit keine Bremse. Die Verfolger immer noch mit einem Rückstand von sieben Punkten, bei noch ausstehenden fünf Spielen. Wenn der VfB weiterhin so bei sich und im Tunnel bleibt, steht am Ende die Qualifikation zur Champions League. Ich habe im Stadion schon die Namen Real Madrid, Liverpool und Juventus Turin gehört …

Zum Weiterlesen:

Vertikal ist besser! – Unser VertikalGIF zum Spiel

Die Fans mit kreativen Protesten in erster Linie gegen das Rest-Präsidium, bestehend aus Claus Vogt und Rainer Adrion: Rund um das Stadion hängen kreative Plakate, die allerdings vor dem Spiel fast alle vom Sicherheitsdienst SDS entfernt wurden.

Stuttgart.International meint, dass sich der VfB “gegen einen Gegner mit internationalen Ambitionen noch nicht einmal bis zur Decke strecken muss”.

Die Süddeutsche Zeitung stellt fest, dass der VfB seinen typischen “Stuttgart-Fußball aufführt, (…) eine inzwischen stabil abrufbare Kunstform, sich mit kontrollierten und dann plötzlich scharfen Pässen durch keine Räume zu kombinieren“.

Bild:
Leonhard Simon/Getty Images

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16 Kommentare

  1. Konny sagt

    Wahnsinn – was für ein Spiel, „undavbar“…. Hoffentlich bleibt dieser super Typ bei uns.

    Allerdings kann man ja auch nicht aufhören das Trainerteam zu loben. Mittags noch Konferenz geschaut, mittlerweile ist es ja schon so, dass man als VfB Fan das „Gekicke“ der anderen kaum ertragen kann. Gladbach gegen DO und Bayern gegen Köln war ja gruselig. Und wir so… voller Eleganz und Spielfreude mit der nötigen Härte / Coolness im DibigoDobbschbil.

    Die neue Kabine so voll krass ganz in schwarz find ich komisch und etwas düster, Tunnel eben… aber mir muss sie ja nicht gefallen.

  2. Achim Herzblutfan sagt

    Lieber Vertikalpass
    war gestern in der CK und habe bei dieser Spielweise und der Atmosphäre im Stadion Gänsehaut. bekommen.
    Schulnote 1 für Trainer, Mannschaft und Publikum. In dieser Form werden sich in der CL einige Vereine warm anziehen müssen. Bin einfach nur glücklich.

  3. Ben sagt

    Ich wundere mich immer, warum wir uns alle Spieler angeblich nicht leisten können. Allein durch Platzierung 3 zu 16 müssten wir ja um die 20 Mio mehr TV Gelder einnehmen.

    Dazu wahrscheinlich acht sichere Champions League Spiele, wenn ich richtig informiert bin. Jeweils ein volles Haus, macht noch mal um die 20 Mio Einnahmen, ohne Punkt Prämien.

    Selbstverständlich steigen auch die Kosten für Spielergehälter immens, das ist klar. Einleuchten will es mir trotzdem nicht, dass wir uns so gar keinen der ausgeliehenen leisten können sollen.

    • @abiszet sagt

      Hi Ben, die diesjährige gute Platzierung bringt keine 20 Mio mehr, nicht einmal die Nähe davon. Die TV-Gelder werden auf Basis von Platzierungen der letzten 5 Jahre berechnet (ich glaube, es sind 5). Und Du weisst, wo der VfB in den letzten 5 Jahre stand (u.a. in der zweiten Liga). Das bedeutet, eine gute Platzierung in diesem Zeitraum ist natürlich hilfreich, bringt aber nicht die großen Mehreinnahmen, von denen Du ausgehst.

  4. Ben sagt

    Achso ok. Dachte das gilt nur für ein Jahr. Aber gut, dann immerhin ein paar Millionen. Bitter ist halt, dass all unsere Leihgeschäfte null aufgehen (also die Spieler die wir verliehen haben). Da geht halt kaum was mit Einnahmen

    • Bernd sagt

      Es wird wohl einen niedrigen Millionenbetrag für die Stadiongesellschaft geben, was dem VfB indirekt durch Spielraum bei der Pacht zugute kommt.

  5. Marcus Fichter sagt

    Eine grandiose erste Halbzeit und ein Ergebnis verwalten in der zweiten Halbzeit. Man muss auch das Verteidigen mal im laufenden Betrieb üben…😉

    D. Undav hat es ja schon gesagt, das kann ein langer Sommer werden. Jeden Tag wird wieder ne andere Sau ( Meldung ) durchs Dorf getrieben. Ich werde mich dann wie immer fast ganz ausklinken, die einzelnen Meldungen überfliegen und abwarten was davon im August / September übrig geblieben ist. Kann man ja eh nicht beeinflussen.

    Klar wünschen wir uns alle das Undav bleibt. Als F. Wohlgemuth würde ich versuchen, den K opf noch vor der EM dran zu kriegen, bevor Undav dort auch noch durchstartet.

    Ich glaube ja, das hier sehr viel passieren wird, wenn die CL erreicht ist.

    Bremen schlagen und dann noch ein weiterer Sieg, das dürfte für die CL reichen. Aber wie ich die Mannschaft mit ihrem Spaß am Fussball derzeit wahrnehme, wollen die eh alle Spiele gewinnen.

  6. Roland K. sagt

    Meinen Dank an den Andreas für den sehr guten Artikel, der auch meine eigene Gefühlswelt beschreibt.
    Als extrem langjähriger Fan habe ich den VfB noch gar nie so dauerhaft gut spielen gesehen,auch nicht in den fünf Meisterschaftsjahren.

    Die Mannschaft zeigt einen klasse Fussball,wobei die schwächeren Ausnahmen wirklich solche sind. Die wiederum zeigen,dass wir keine Fussballroboter haben, sondern Menschen mit den üblichen (seltenen) Schwächen.

    Der Trainer hat tatsächlich eine funktionierende Mannschaft zusammen gestellt. Das war bei so ziemlich allen vor Rundenbeginn sehr fraglich angesichts der Qualität unserer Abgänge. Vermissen tue ich inzwischen davon keinen mehr-Endo ausgenommen. Besonders erfreut mich,wie das Trainerteam es geschafft hat,praktisch ALLE Spieler deutlich besser zu machen. Einige davon sind ja mit ziemlicher Sicherheit nicht wegen ihrer tollen Leistungen im Heimatclub an uns ausgeliehen worden.
    Diesen ausgeliehenen würde ich dringend raten,auf jeden Fall HIER zu bleiben. Ob sie ihr Niveau im Heimatverein halten können,ist zumindest fraglich. Gilt auch für Guirassy,obwohl nicht ausgeliehen.

    Da erinnere ich an unseren Timo Hildebrand, der seine Leistungen woanders nie auch nur annähernd bestätigen konnte.

  7. Konrad sagt

    Wir sind wohl bis heute im Tunnel stecken geblieben… 🫣
    Der einzige Lichtblick des heutigen Tages, dass unser Neuzugang aus Bremen ein echt guter Spieler werden könnte, bzw schon ist. Im Hoeneẞ O-Ton: könnte eine Waffe werden…
    Tja, ehrlich gesagt hab ich heut mit genau dem Spiel gerechnet… 🙄

    • @buzze sagt

      Woltemade wusste durchaus zu gefallen. Und, ja: Wir wussten, dass so ein Spiel irgendwann kommen wird. Hinten schläfrig, vorne unglücklich. Dazu der Schiedsrichter und vielleicht auch ein gewisser Spannungsabfall, weil die CL fast sicher ist.

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