Seit dem Trainerwechsel von Tim Walter zu Pellegrino Matarazzo wissen wir: Der VfB wird auf Jahre hinaus unschlagbar sein. Denn Ottmar Hitzfeld ist als Mathematik-Lehrer siebenfacher deutscher Meister und zweifacher Champions League-Sieger geworden, Matarazzo hat an der Columbia University in New York Mathematik studiert – was soll uns da noch passieren? Die Besetzung der Trainerposition durch den Italo-Amerikaner ist nur logisch, denn er hat die restlichen 16 Spiele der Rückrunde bereits vorausberechnet. Das Ergebnis präsentierte er bei seinem Vorstellungsgespräch: Aufstieg als Zweitliga-Meister. Ganz ehrlich, wie Thomas Hitzlsperger und Sven Mislintat hätte ich mich damit auch gegen Ludovic Magnin, Markus Anfang, Sandro Schwarz, Zsolt Löw und Bruno Labbadia entschieden. Lehnen wir uns also zurück und genießen die Rückrunde.
Was erwartet uns also, abgesehen vom nachhaltigen Erfolg? Auch wenn ein Trainerwechsel beim VfB so etwas ähnliches ist wie die Periode in der Mathematik – ein Vorgang, der sich stets wiederholt – so beherrscht der neue Coach die Mengenlehre, er weiß, wo und wann Räume auf dem Spielfeld besetzt werden sollen. Das beinhaltet sowohl das Verhalten beim Pressing nach Ballverlust wie das geordnete Positionsspiel als auch die defensiven Bewegungsmuster bei gegnerischem Ballbesitz. Kurz: Unter einer Gleichung versteht Matarazzo die Ausgewogenheit zwischen Defensive und Offensive.
Sein Vorteil ist, dass er das Rechnen mit Unbekannten gewohnt ist. Die Abseits-Sehnsucht von Mario Gomez, der infantil-verspielte Nicolas Gonzalez, der alles-oder-nichts-Spieler Silas, die Sinus-Formkurve von Borna Sosa innerhalb eines Spiels: Der 42-jährige beherrscht den Umgang damit genau so gut wie den Satz des Pythagoras. Matarazzo denkt vertikal, aber nicht nur in Geraden. Schließlich kann auch eine Flanke die Verbindung zwischen zwei Spielern herstellen. Er ist kein dogmatischer Trainer, er ist nicht auf ein Spielsystem festgelegt, seine Grundordnungen sind auch während des Spiels fließend. Allerdings bevorzugt er es nicht, mit einer Raute spielen. Inwieweit er das Spielfeld geometrisch einteilt in Planquadrate wie Louis van Gaal, müssen wir die Spieler fragen. Die sagen im Moment, dass der Fußball unter Matarazzo ihnen mehr liegt und sie sich damit wohl fühlen. Was aber nichts heißt, das sagen sie nach jedem Trainerwechsel – außer wenn der neue Trainer den Namen Markus Weinzierl trägt. Wahrscheinlich übt “Rino” Matarazzo mit dem Team erst einmal die Grund(rechen)-Aufgaben und spart sich die Kurvendiskussion für später auf, um seine Spieler nicht zu überfordern.
War der Fußball von Walter in seiner Grundidee wild und unberechenbar gedacht, setzt der neue Coach auf Ordnung und Struktur. Im Trainingslager in Marbella wurden auch komplett neue Trainingsformen ausprobiert:
- Bildung von gleichschenkligen Dreiecken in ballnahen Zonen
- Erlernen von Mechanismen der Kombinatorik zur Erhöhung der Torgefahr
- Bespielen von Vektorräumen zur Beschleunigung des vertikalen Spiels
Im Heimspiel gegen Heidenheim werden wir sehen, ob die VfB-Spieler ihre Hausaufgaben ordentlich gemacht haben.
Matherazzo ist mehr als ein Mathematiker. Wie sein ehemaliger Chef Julian Nagelsmann setzt er auch auf Menschenführung. Nagelsmann, der den Anteil von Führung am Erfolg mit übertriebenen 80 Prozent bemisst, sagte einmal, dass er sich jeden Tag in jedem Training vor die Gruppe stellen muss und dabei überzeugen, mitnehmen und begeistern muss, sonst verliere er seine Mannschaft und würde angreifbar. Das scheint in Stuttgart die Hauptaufgabe des Trainers zu sein: Die Spieler bei Laune zu halten. Matarazzo muss damit rechnen, dass er irgendwann Gegenwind bekommt. Zumal einige Spieler dann mit ihrer Erfahrung argumentieren werden. Etwas, was der neue Trainer des VfB nachweislich nicht hat. Er muss also mit Brüchen rechnen, sollte aber immer darauf achten, einen gemeinsamen Nenner mit seinen Spielern zu finden. War dieser bei Tim Walter meist ideologisch (Ballkontrolle!), so heißt er bei Matarazzo hoffentlich Erfolg.
Ganz und gar nicht wissenschaftlich wird es am 30. Januar im Kalaluna in Schorndorf zugehen. Ganz im Gegenteil: Wenn Danny Galm, Bernd Sautter und wir über Fußball in Württemberg und natürlich den VfB sprechen, wird es garantiert emotional! Kommt rum!
Sehr schöne Analogien. Ich konnte den eher verkopften VfB-Trainern schon immer viel abgewinnen. So viele hatten wir ja nicht, aber man überlege nur die damals verantwortlichen Akteure hätten Rangnick das machen lassen was er nun an anderer Stelle entfacht hat.
Den Gegner im Sport nicht zu analysieren ist schon ziemlich arrogant und ich bin froh, dass beim VfB dieser Spuk vorbei ist. Bin sehr neugierig wie schnell die Mannschaft wieder mutig auftritt und zeigt, dass sie gewinnen möchte.
Pellegrino macht auf mich einen guten Eindruck. Scheint vorher zu überlegen was er sagt. Keine Arroganz erkennbar.
Endlich die Hoffnung auf Normalität und vorhandener Cleverness. Wünsche ihm einen guten Start in den ersten Spielen und das notwendige Glück.
Also ich habe mindestens 1 Problem mit diesem Artikel:
1.) Hitzfeld hatte wirklich alle Variablen in die Berechnung mit eingezogen und folgerichtig den Verein gewechselt.
2.) Für Mengenlehre ist Hr. Matherazzo zu jung, das wird er nicht kennen und können (wollen).
3.) Leider ist der Satz des Pythagoras im heutigen Profifussball nicht mehr gültig und wurde ersetzt durch den Satz des Beraters: Ich finde immer einen Verein …
Ich setze doch eher auf die emotionale Variante und erhoffe mir im Bedarfsfall italienisches Temperament: “Was erlaube Spieler/Freundeskreis/Funktionär/Tribünenbesetzer?!?!?!?!?”
Naja, er hat einen Bachelor in Angewandter Mathematik, das entspricht vom Niveau in etwa dem, was man hierzulande als Nebenfachler so hat. Also nix für das man sich schämen müsste, für einen richtigen Mathematiker sind das aber alles nur Riemann-Integrierer.