Es gibt sie immer wieder in der Geschichte des Vereins, diese Spiele, die über die Zukunft entscheiden. Crunchtime, wie die Amerikaner es nennen. Buchwald, Balakov, Khedira, Hitzlsperger, Harnik: Wenn es drauf ankam, war der VfB da, die wirklich wichtigen Spiele wurden in der Vergangenheit gewonnen. Ein gutes Omen? Das Spiel gegen Hertha ist das wichtigste Spiel in der jüngeren Vereinsgeschichte, so wichtig für Verein und Mitarbeiter, die Fans, die Region und das Milfaneo, da könnte ich vor lauter Nervosität nicht auf dem Platz stehen. Und vor dem Fernseher halte ich es wohl auch nicht aus. Schaun mer mal, was ich mache. Vielleicht hilft Alkohol. Obwohl. Oh nein, ich werde nach dem Spiel bei Sport1.fm zugeschaltet, da muss ich einen guten Eindruck machen.
Optimistisch bin ich, wenn ich auf sogenannte Entscheidungsspiele in der Vergangenheit blicke, denn die konnte der VfB mehrheitlich für sich entscheiden: Es ist nur eine kleine persönliche Auswahl, vielleicht habe ich das eine oder andere Spiel vergessen oder verdrängt. Es fällt mir wohl nur geil ein, aber irgendwie muss ich mir die Situation wohl schön reden.
Leverkusen – VfB 1:2 (1992, Meisterschaft)
“Du Vaddr, ich glaub’ dr VfB ist Meischter”, rief ich zu meinem Vater in den Hobbykeller. Das letzte Saisonspiel haben wir nicht groß ernst genommen. Mein Vater bastelte an der Eisenbahn rum, ich bereitete mich auf ne Prüfung in Planungs- und Kontrollrechnung vor, sky haste damals nicht gesehen. Um Fünf habe ich SWR1 im Stadion angeschaltet, bis dahin hatte ich nichts mitbekommen: Die sensationelle Rettungstat von Eisen Günni Schäfer Fussballgott nicht, die rote Karte für Matthias Sammer nicht, das Debakel von Frankfurt nicht. Das Radio lief also, ich hörte kaum hin, bis das Tor in Leverkusen gemeldet wurde. Es dauerte ein bisschen bis ich von meinen finanzmathematischen Quatsch aufsah. Es dauerte bis ich begriff und meinen Vater rief. Und wir konnten es kaum glauben, bis wir es in der Sportschau sahen und ganz relaxt die Zusammenfassung verfolgten. War alles nicht so hektisch 1992, wir waren nicht so verkrampft, ziemlich loggr halt, so wie Stuttgarter eben sind. Aufstellung, Zahlen und Daten hier:
Nach dem berühmten Wechselfehler Christoph Daums allerdings ging das Entscheidungsspiel in der ersten Runde der Champions-League gegen Leeds United verloren. Daum musste gehen, der VfB verpasste es, den nächsten finanziellen Schritt zu machen. Die traurigen Fakten finden sich hier.
VfB – Bielefeld 3:3 (2000, UEFA-Cup Einzug verpasst)
Nach der Saison 1999/2000 wechselte ich von Ostwestfalen nach Stuttgart. Genau das gleiche tat auch Silvio Meißner. Sein Bielefelder Kollege Heiko Gerber war bereits ein Jahr zuvor zum VfB gewechselt. Am letzten Spieltag trat die Arminia vor 23.000 Zuschauern im Gottlieb-Daimler-Stadion an.
Während die Arminen gemeinsam mit Duisburg und Ulm bereits als Absteiger feststanden, machten sich die Schwaben unter Ralf Rangnick noch Hoffnungen auf einen UEFA-Cup Platz, der nur zwei Punkte entfernt lag. Berechtigte Hoffnungen, denn schon nach 38 Minuten und Treffern von Thiam, Gerber (ausgerechnet!) und Ganea lag der VfB Stuttgart klar vorne. Der Anschlusstreffer kurz vor der Pause von Meißner (ausgerechnet!) war nur ein kleiner Schönheitsfehler. Doch die Treffer von Bruno Labbadia und Markus Weissenberger reichten den Bielefeldern zum unbedeutenden Unentschieden. Zwei Punkte mehr hätten den Stuttgartern übrigens für Platz 6 gereicht, den sich stattdessen wer sicherte? Genau: Berlin. Wer es genau wissen möchte, schaut hier.
VfB – Schalke 1:0 (2001, Klassenerhalt)
Mein Vater und ich gingen auf Verdacht zum Stadion. Mit einer Roten in der Hand griff er beherzt bei einem Schwarzmarkthändler zu. Wir hatten zwei Karten, saßen aber nicht zusammen. So ziemlich unter dem Dach der Haupttribüne, kurz vor dem Himmel, langweilte ich mich fast das gesamte Spiel. Es passierte kaum etwas, komischerweise hatte ich vor Gerald Asamoah Angst, daran sieht man, dass ich keine Ahnung von Fussball habe. Aber ich traute ihm zu, dass er sich in den Strafraum wuselt und dort einen Elfer zieht. Aber ein Glück blieb er immer an Timo Wenzel hängen, vorne lief Sean Dundee meist in den freien Raum, so frei, dass er dort alleine blieb, weil er im Abseits stand. Das Spiel ist fast aus, als der Ball an der Strafraumgrenze plötzlich frei ist und Krassimir Balakov abzieht. Ich meinte erst das “Poing” zu hören, als Balakov den Ball trifft, dann das Zischen des Schusses zu spüren, es war einen Augenblick still im Stadion. Und dann explodierte es! Ein einziger Schrei ging durch die Ränge, ich bekam Bier über den Kopf, mein Nachbar küßte mich auf den Mund, meine Stadionzeitung lag im Dreck. Alles egal, niemals zweite Liga, oho. Wer sehen will, wie absurd sich die Aufstellung heute liest, schaut hier nach.
VfB – Cottbus 2:1 (2007, Meisterschaft)
Sammy hatte mal wieder die Karten besorgt, fünf oder sechs Wochen vorher, ich sagte “Du hast ne Vollmeise” als er mir mit den Worten “Da werden wir Meister” meine Karte gab. Das Bacardi Feeling war von Anfang an gut, und das habe ich selten. Wir trafen uns bei mir zum Vorglühen, alle liefen in der Stadt mit Papp-Meisterschalen rum, Sammy zwängte sich in ein uraltes Kindertrikot, Cottbus war abgestiegen. Das Wetter fühlte sich wie Sommerferien an, man verabredete sich bereits zur Meisterfeier irgendwo in der Stadt, angeblich sollten die Fantis am Schlossplatz spielen, was sollte da noch passieren? Bis dieser Radu einen Flipperball zum 0:1 einnetzte. “Wart’ ab, das geht 2:1 aus”, sagte Sammy. Ja, ja, er nun wieder, will mich nur beruhigen. Das sah sehr ängstlich aus, was der VfB da zusammenspielt, selbst Armin Veh hatte unangehme Schweissflecke auf seinem weißen Hemd. Bis, ja bis Thomas Hitzlsperger die Ecke von Pavel Pardo volley nahm. Sammy und ich standen direkt hinter dem Tor, bewunderten Hitz’ Mut, denn zuvor hatte er es schonmal vergeblich versucht. Wir sahen wie der Ball auf uns zukam, wie Piplica hilflos durch die Luft flog und sich das Netz wölbte. “Gomez schießt nachher das 2:1”, nickte mir Sammy zu, als sich der Trubel legte. Ja, Mann, Sami Khedira wars, aber was solls, Recht hat er trotzdem wieder gehabt, der alte Besserwisser. Wer nochmal weinen und Tasci, Hildebrand, Osorio und Magnin in der Aufstellung lesen will, hier gehts lang.
M’gladbach – VfB 2:3 (Februar 2011)
Bereits am 21. Spieltag kam es zu einem echten Schicksalsspiel: Der Letzte gegen den Vorletzten. Beide Teams mit bereits sechs Punkten Rückstand auf Platz 15. Ein klarer Fall von Tod oder Gladiolen. Wir guckten uns das “Topspiel” am Samstag Abend in Gablenberg an. abiszet war da, Timo auch und irgendwo auf dem Sofa lag ein fiebriges Kind. Noch schlimmer ging es allerdings uns nach 32. Minuten. M’gladbach führte 2:0 und war das klar bessere Team. Wir waren wenig optimistisch, dass der VfB zurück kommen würde. Nein, wir hielten es für ausgeschlossen.
Bruno Labbadia wechselte zur Pause gleich doppelt: Kuzmanović kam für Funk und Hajnal gab sein Debüt im VfB-Trikot. Für ihn blieb Molinaro in der Kabine. Ab der 50. Minute wurde es dramatisch: Pavel Pogrebnyak und Martin Harnik sorgten innerhalb von fünf Minuten für den Ausgleich. Doch in der 76. Minute erzielte Dante die erneute Führung. Der Haken an der Sache: Obwohl regulär erzielt, wurde der Treffer nicht gegeben. Als wir uns bereits mit dem 2:2 abgefunden hatten, tankte sich Rumpelrusse Pogrebnyak ein letztes Mal in den gegnerischen Strafraum, wurde aber von Dante fair gestoppt. Der Haken an der Sache: Schiedsrichter Kinhöfer sah das anders und pfiff Elfmeter. Eines der wichtigsten Spiele der jüngeren Vereinsgeschichte, 2:2, 87. Minute und wer tritt an? Nicht Tasci, nicht Gentner, nicht Harnik und nicht Träsch, sondern Timo Gebhart! Vermutlich hatte er genau wie wir die Augen geschlossen, als er ihn verwandelte. Das ganze Drama hier zum nachlesen.
Am Ende der Saison landete M’gladbach übrigens auf Rang 16 und setzte sich in der Relegation gegen Bochum durch.
Frankfurt – VfB 0:2 (2011, Klassenerhalt)
Nicht ganz so dramatisch wie heute war die Situation vor vier Jahren. Aber ein richtungsweisendes Spiel, der Verlierer sollte es schwer haben. Der VfB geriet mit einer Champions League-tauglichen Mannschaft in den Abstiegskampf, hatte ein Torwartproblem und Bruno Labbadia als Trainer und auch sonst war alles wie heute: Die Mannschaft hat einfach keinen Spaß gemacht. Sebastian und ich schauten das Spiel zusammen auf Premiere und nach einer Viertelstunde war für uns das Spiel gelaufen, ich trank sogar lauwarmes Paulaner-Weizen aus der Flasche: Matthieu Delpierre ließ sich von Maik Franz provozieren und wenn man bedenkt, dass Maik Franz nichts anderes konnte als foulen und provozieren, dann hat er es zu einer ganz ansehnlichen Karriere gebracht. Delpierre jedenfalls bekam die rote Karte, Frankfurt war sowieso besser, der VfB so gut wie abgestiegen. Dachten wir jedenfalls. Frankfurt hatte auch ein Torwartproblem, Ralf Fährmann schenkte dem VfB zwei Tore, Harnik und Hajnal staubten ab und es folgte eine Siegeserie, etwas, was jüngere VfB-Fans nur vom Hörensagen kennen. Alles zum Spiel findet sich hier.
VfB – Schalke 3:1 (2014, Klassenerhalt)
Das Schneckenrennen letztes Jahr, Braunschweig und Nürnberg wollten absteigen, der HSV bemühte sich ebenfalls sehr. Und so reichte dem VfB ein letzter Sieg am 31. Spieltag: Es war Oster-Sonntag, Freunde und Familie waren da und alle hatten nur Ostereier und Prosecco im Kopf. Nebenher lief der Fernseher, Huub Stevens hatte Daniel Didavi und Carlos Gruezo ausgegraben und bei diesem Spiel sah man warum: durch frühes und agressives Angreifen wurde ein Schalker Aufbauspiel verhindert, schnelle Gegenstöße, Gelsenkirchen so bieder wie ihr Trainer Jens Keller, ja, das wars. Während Sebastian mit einem Zeppelin über das leere Stadion flog, schalteten wir genauso schnell wieder auf Prosecco um wie vorher Gruezo im Spiel. Wer die Torfolge nachlesen will, kann dies hier tun.
Ist das nicht alles richtig fresh, tut das nicht gut vor dem Spiel gegen die alte Dame? Oder klammere ich mich nur verzweifelt an die Vergangenheit? Denn im Moment spricht nichts für den VfB – außer eben die Nostalgie.
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Celso Pupo / Shutterstock.com
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