Jedes Spiel mit Beteiligung des VfB Stuttgart hat Relevanz. In dieser Saison also auch der Supercup. Der wurde bekanntermaßen nicht vor 60.000 Fans in Stuttgart ausgespielt, sondern vor 30.000 in der BayArena, weil Leverkusen-Chef Fernando Carro das DFL-Präsidium mit Telefonterror davon überzeugen konnte.
Im Vorfeld der Partie hatten sich viele gefragt, wie ernst beide Trainer und ihre Teams das Spiel nehmen. Die Antwort: Sehr ernst. Sebastian Hoeneß schickte sogar überraschenderweise Mittelstädt, Führich und Millot von Beginn an auf das Spielfeld. Diehl, Krätzig und Silas nahmen dafür im Vergleich zum letzten Test-Kick gegen Bilbao auf der Bank Platz. Hoeneß wollte es wissen!
Leverkusen startete zwar ohne Wirtz, Frimpong, Grimaldo und Tah, war aber auch sofort auf Betriebstemperatur und tauchte bereits in der ersten Minute gefährlich – aber aus dem Abseits – vor dem VfB-Tor auf. Von Beginn an entwickelte sich ein intesives Spiel mit viel Tempo und einigen Ungenauigkeiten. Die Fans, die sich Spektakel erhofft hatten, wurden nicht enttäuscht.
Das erste Ausrufezeichen setzte Bayer Leverkusen: Nach einer Ecke konnte die Stuttgarter Defensive den Ball nicht weit genug klären und Bayer-Neuzugang Alex Garcia konnte erneut flanken. Den Zweikampf am zweiten Pfosten entschied Tapsoba gegen Mittelstädt für sich und Boniface musste den Ball nur noch über die Linie drücken.
Doch das Team von Sebastian Hoeneß zeigte sich wie so oft in der vergangenen Saison völlig unbeeindruckt vom frühen Rückstand und spielte weiter mutig nach vorne. Nach einer hervorragenden Kopfballchance von Demirovic in der 14. Minute war es nur 60 Sekunden später Enzo Millot, der seinen eigenen Treffer einleitete: Über Führich und Mittelstädt erhielt er den Ball zurück und verwandelte eiskalt ins lange Eck. Und wie schön war dieser Treffer herausgespielt?
Nach dem Ausgleich war der VfB die gefährlichere Mannschaft und hätte in der 25. Minute in Führung gehen können als Demirovic ein Laufduell gegen Hincapie für sich entscheiden konnte und irgendwie noch zum Abschluss kam, der jedoch nur an den Außenpfosten klatschte. Überhaupt schien dieser Supercup ein große Verschwörung der Aluminium-Industrie zu sein. Denn in der 42. Minute traf Millot aus kürzester Distanz nur die Unterkante der Latte bevor Stenzel kurz der Halbzeit noch einen Distanzschuss an den Pfosten setzte.
Apropos Pfosten: Das einzige, was die Leverkusener trafen, waren die Beine der VfB-Spieler. In der 37. Minute so heftig, dass sich Neuzugang Terrier zurecht die rote Karte abholte, nachdem er einen versprungenen Ball erreichen wollte, stattdessen aber Demirovic mit offener Sohle traf, und den Platz verlassen musste.
Die zweite Halbzeit brauchte ein wenig, um Fahrt aufzunehmen. Nach einer Leverkusener Großchance in der 56. Minute wechselte Hoeneß in der 63. Minute dreifach: Undav, Krätzig und Silas kamen für Leweling, Mittelstädt und Stiller. Und es dauerte keine 60 Sekunden bevor Krätzig auf Undav flankte und der VfB-Rekordtransfer rekordverdächtig schnell das 2:1 erzielte. Was ein Wechsel. Was eine Geschichte!
Ab der 70. Minute wurde es dann wild. Erst Rudelbildung und Schulhof-Rangeleien unter Millionären, dann die Einwechslungen von Wirtz, Schick und Frimpong, in der 75. Minute die Riesenchance für Undav auf das 3:1 nach starker Vorarbeit von Führich und in der 80. Minute die Dreifachchance auf den Ausgleich durch Schick und Frimpong. Es ging hin und her – und zwischendurch wurde gerangelt.
In den letzten zehn Minuten wurde Leverkusen immer stärker und der VfB immer unsortierter. In der Magengrube machte sich dieses “Die betteln um ein Gegentor” Gefühl breit. Und in der 87. Minute war es dann auch soweit. Undav schaffte es mit einer seltsam eingesprungenen Pirouette nicht, einen Ball festzumachen, der eingewechselte Keitel zeigte, warum die Rechtsverteidigerposition nicht die beste für ihn ist, und Alex Nübel sah beim Abschluss auch nicht komplett glücklich aus. Mal wieder hatte der VfB eine Führung gegen Leverkusen nicht über die Zeit bringen können. Dabei waren Sieg und Titel so nah gewesen.
Ohne Verlängerung ging es gleich ins Elfmeterschießen. Karazor gewann den Münzwurf und entschied sich, auf das Tor vor den VfB-Fans zu schießen. Was aber nicht ging, weil angeblich eine Kamera ausgefallen war. Logische Konsequenz: Es wurde auf das Tor vor den Leverkusener Fans geschossen. Sicher kein Nachteil für Bayer. Aber warum hatte man überhaupt eine Münze geworfen? Hatte Fernando Karro am Ende mal wieder telefoniert?
Am Ende verschossen Krätzig und Silas ihre Elfer und der VfB verlor das Spiel um den Supercup. Ob sich die Leverkusener als würdige Sieger präsentierten, darf jeder für sich entscheiden. Klar ist jedoch: Der Supercup reihte sich ein in die Spektakelspiele der beiden Teams aus der vergangenen Saison. Wer will noch Bayern gegen Dortmund sehen, wenn man auch VfB gegen Leverkusen haben kann? Der VfB hat jetzt eine Woche Zeit, um die Niederlage abzuschütteln und mit einer ähnlich couragierten Leistung die ersten drei Saisonpunkte in Freiburg einzutüten.
Zum Weiterlesen:
Unser Spieltagstext sieht den VfB gut gerüstet für die neue Saison und auf Augenhöhe mit Leverkusen.