Wenn der abgeschlagene Tabellenletzte mit historischem Verletzungspech und einer öffentlich gewordenen Revolte gegen den eigenen Trainer nach Stuttgart kommt, schrillen bei erfahrenen VfB-Fans in der Regel sämtliche Alarmglocken.
Ja, in dieser Saison ist alles anders: Das Team von Pellegrino Matarazzo hat z.B. in Mainz und sogar gegen Augsburg gewonnen, aber konnte sie auch das Aufbaugegner-Gen finden und unschädlich machen? Eine gewisse Rest-Skepsis blieb.
Um uns eines besseren zu belehren, schickte Matarazzo die gleiche Elf wie gegen Köln auf’s Feld. Apropos Feld: Der im Dezember für viel Geld neu verlegte Rasen präsentierte sich als gerade vor der Haupttribüne als echter Acker. Unwahrscheinlich, dass der VfB mit dem Geläuf den Titel “Pitch of the year” verteidigen kann. Eventuell sollten Sosa und Silas mal weniger laufen – oder häufiger in die Mitte ziehen.
Doch es lag nicht am Platz, das es beinahe so gekommen wäre wie befürchtet: Schon nach fünf Minuten sah Mavropanos im Zweikampf gegen Armine Harit nicht gut aus, aber Gregor Kobel rettete mit einer starken Parade. Das war knapp!
Auf der anderen Seite machte vor allem Silas über die rechte, matschige Seite ordentlich Alarm. Sein Gegenspieler Kolasinac konnte einem fast leid tun, denn ihm war sicher ziemlich schwindelig.
Doch es war eine Ecke von der rechten Seite, die für die Führung sorgte. Borna Sosa (wer sonst?) trat den Ball an den zweiten Pfosten. Und dort, wo Sekunden zuvor noch Wataru Endo und einige Schalker gestanden hatten, stand nur noch Endo und erzielte ganz coronakonform mit viel Abstand das 1:0.
Nach dem ersten Bundesligatreffer des Japaners war der VfB am Drücker. Nach 19 Minuten schickte Silas seinen Gegenspieler mal wieder in die Achterbahn und wurde wurde dann klar gefoult. Das hatten alle gesehen. Bis auf den Schiedsrichter, seine Assistenten und den Videoschiedsrichter. Aber mal ganz ehrlich: Hatten wir etwas anderes erwartet, als wir erfuhren, dass der Schiedsrichter Guido Winkmann heißt?
Und so mussten die VfB-Fans noch etwas länger warten bis sie wieder jubeln durften. Wieder Ecke – diesmal von links und Castro – und wieder Endo, der völlig frei am zweiten Pfosten wartete und unbedrängt einnetzen konnte. Was für ein sensationeller Doppelpack!
Spätestens nach 34 Minuten waren die meisten Fans sich sicher, dass der VfB diesmal nicht den Aufbaugegner geben würde: Wieder eine Ecke und diesmal war es der zweite Versuch von Sosa, der mit einer bornösen Flanke den Kopf von – na klar – Sasa Kalajdzic fand. Dessen Bogenlampe landete mit einer wunderschönen Flugkurve im Schalker Tor: 3:0, das elfte Tor des Österreichers, der achte Assist des Kroaten. Was für ein genial-dynamisches Duo!
Der einzige Makel an der starken ersten Halbzeit: Der Anschlusstreffer der Schalker kurz vor der Halbzeitpause. Es war ausgerechnet Sead Kolasinac, der sich von seinen Schwindelanfällen erholt hatte, und völlig freistehend für das 3:1 sorgte. Wer war eigentlich sein Gegenspieler in dieser Situation?
Nach der Halbzeit hatte sich der VfB Stuttgart vorgenommen, den Sack zuzumachen, aber spätestens mit den Schalker Wechseln in der 56. und 57. Minute wurde der Tabellenletzte klar überlegen und drängte auf den Anschlusstreffer. Erst rettete Gregor Kobel stark gegen Serdar und dann pfiff Guido Winkmann in der 71. Minute Foulelfmeter für Schalke – warum auch immer.
Aber im Tor des VfB steht bekanntlich Gregor Kobel. Dass dessen lautstarke Ansagen jetzt für alle hörbar sind, ist vermutlich der einzig positive Aspekt der Geisterspiele. Aber Kobel ist nicht nur laut, sondern auch richtig gut. Und deswegen hielt er den – allerdings auch schwach geschossenen – Elfmeter von Bentaleb. Nach seinem Monster-Save gegen Leipzig bereits der zweite gehaltene Elfer in dieser Saison!
Doch auch mit dem Momentum des gehaltenen Elfmeters schaffte es das Stuttgarter Team nicht, die Kontrolle über Spiel zurückerlangen. Im Gegenteil: Die Schalker waren drauf und dran, das 2:3 zu erzielen. Diesen unerklärlichen Leistungsabfall hatten wir schon gegen Berlin und Köln beobachten müssen. Warum geht dem VfB so früh die Luft oder die Lust aus?
Doch ab der 80. Minute ging der Brustringpuls wieder runter und die Gewissheit machte sich breit, dass der VfB die Zweitore-Führung schon irgendwie über die Zeit bringen würde. Womit niemand mehr gerechnet hatte: zwei Jokertore! Aber in der 88. Minute erzielte Philipp Klement sein erstes Bundesligator und in der 92. Minute erhöhte Daniel Didavi sogar mit einem traumhaften Distanzschuss auf 5:1. Fünf. Zu. Eins!
Während der VfB mit 32 Punkten und Platz neun den Klassenerhalt damit fast schon sicher hat, drehte sich in Gelsenkirchen einen Tag nach dem Spiel das Personalkarussell so schnell wie wir es eigentlich nur vom VfB gewohnt sind: Neben Trainer Gross mussten auch Sportvorstand Jochen Schneider, Teamkoordinator Sascha Riether, Athletiktrainer Werner Leuthard und auch Co-Trainer Rainer Widmayer gehen. Was für ein End(o)game.
Auch, wenn Häme fehl am Platz ist: Schalke steht damit bei 9 Punkten und 5 Trainern in dieser Saison: Man hat einen Trainer für 1,8 Punkte benötigt. Mit der Quote hätten wir in Stuttgart mittlerweile den 17. Coach der Saison. Christian Gross ist übrigens nach Achim Beierlorzer und Lucien Favre schon der dritte Trainer in dieser Saison, der nach einer Niederlage gegen den VfB Stuttgart seinen Posten räumen muss.