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Viel Folklore, wenig Vision

Eine Mitgliederversammlung will eigentlich niemand. Den Verein kostet sie rund 500.000 Euro und die Mitglieder einen schönen Sommertag. Und am Ende entscheiden gut 600 von 85.000 über richtungsweisende Satzungsänderungen.

Satte 8,5 Stunden dauerte die Versammlung einen Tag nach dem 130. Geburtstag des VfB Stuttgart. Am Ende hatte sich wenig geändert: Es wurden zwei neue Vereinsbeiräte gewählt (einer davon ohne Gegenkandidat*in) und zwei Satzungsänderungen beschlossen. Der Rest war Folklore. Denn beim größten Verein Baden-Württembergs geht es im Grunde genauso zu wie bei einem schwäbischen Kleintierzüchterverein: kleinlich, rechthaberisch, egoistisch, streitsüchtig, wehleidig.

Souverän war am Sonntag wenig, höchstens die Technik, die für schnelle und reibungslose Abstimmungen sorgte oder der erstaunlich routinierte Auftritt des AG-Vorstands. Tatsächlich war Alexander Wehrle eine der wenigen Personen, die auf der MV Pluspunkte sammeln konnte, weil er sich in seiner Rede zumindest ein Stück weit selbstkritisch zeigte.

Alles andere als souverän waren hingegen weder Inhalt noch Vortrag der Abwahlanträge gegen Claus Vogt, Marc-Nicolai Schlecht und André Bühler, die sich im Kern darum drehten, was irgendjemand irgendwem irgendwann gesagt haben soll, ob Personen auf Mannschaftsfotos Torwarthandschuhe tragen und ob die Geburtstage von Mitgliedern im Vereinsmagazin veröffentlicht werden dürfen. Wie gesagt: Folklore.

Wenig souverän war auch die Opferrolle, in die sich Claus Vogt während der Veranstaltung immer wieder unnötigerweise flüchtete. Den meisten Anwesenden war ohnehin klar, dass die Abwahlanträge berechtigte Kritikpunkte enthielten, diese aber im Zuge einer Aussprache ihren richtigen Platz gehabt hätten. Statt einem Exkurs über anonyme Blogs, Impressumspflicht und Webhoster in den USA wäre ein Blick in die Zukunft sinnvoller gewesen. Was hat der VfB vor außer die 90.000 Mitgliedermarke zu knacken? Dass am Ende der Abstimmung knapp 30 % der Mitglieder für eine Abwahl des Präsidenten stimmten, sollte Claus Vogt zu denken geben. Entweder werden die “goldenen Zeiten”, die man intern erlebt, nicht gut nach außen transportiert oder es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Die Folklore erreichte ihren Höhepunkt dann wie immer in der Aussprache. Natürlich gab es auch hier hervorragende Beiträge wie die kritische Rede der Ultras vom Commando Cannstatt, die man auch hier nachlesen kann. Es gab auch die obligatorische Rede in Reimform, die den durchaus kritischen Inhalt zerstörte, und diesmal sogar eine Gesangseinlage eines Herren aus Backnang, der offenbar gut hydriert zur Mitgliederversammlung erschienen war. Wie gesagt: Folklore.

Kein Wunder, dass von den knapp tausend Mitgliedern, die am Mittag erschienen waren, am Ende nur noch ca. 500 anwesend waren, als es darum ging, die wirklich wichtigen Dinge zu entscheiden: die Satzungsänderungen. Wenig souverän war hier das Agieren von Präsidium und Vereinsbeirat, die gleich in mehreren Redebeiträgen versuchen, die Mitglieder davon überzeugen, ihre Stimme nur bestimmten Anträgen der Initiative von Micha Reichl und Fabian Lang zu geben. Um ganz sicher zu gehen, nutzte dann Vereinsbeirat André Bühler gar noch sein Rederecht als Mitglied, um bestimmte Satzungsänderungen zu verhindern. Ob so der im Laufe der Veranstaltung immer wieder propagierte faire Umgang miteinander aussieht, darf jeder für sich entscheiden.

In der Abstimmung wurde zwar die unsägliche Paarbildung bei der Wahl der Präsidiumsmitglieder abgeschafft, aber weder die Begrenzung der Amtszeit von Präsidiums- und Vereinsbeiratsmitgliedern noch die Aufhebung der ominösen Zirkelbezüge wurde beschlossen. Der Antrag zur Installation eines Wahlausschusses zur Nominierung der Präsidentschaftskandidaten bekam zwar 66 % Ja-Stimmen, verfehlte damit aber die nötigen 75 %. Das Votum zeigte aber deutlich, dass die Mitglieder mittlerweile genug haben von dem intransparenten Machterhaltungssystem bestehend aus Beirat und Präsidium. Hier ist die vereinsinterne Satzungskommission gefordert, spätestens bei der MV 2024 einen guten Vorschlag zu präsentieren – auch wenn dieser keine Auswirkungen mehr auf die nächsten turnusmäßigen Wahlen haben wird.

Natürlich fehlte auch der kleine “Skandal” am Ende der Veranstaltung nicht. Wie gesagt: Folklore. Der Aufruf, dass sich die Gremien endlich darauf konzentrieren mögen, den VfB voranzubringen, war wenige Stunden alt, als sich mal wieder zeigte, dass die Gremien dazu offenbar nicht im Stande sind. Herzlich willkommen im schwäbischen Kleintierzüchterverein: kleinlich, rechthaberisch, egoistisch, streitsüchtig, wehleidig.

Aber wie soll es weitergehen mit der Mitgliederversammlung, die eigentlich niemand will? Denn die meisten wollen mitschwätzen, aber nur sehr wenige wollen mitmachen. Durch die Ablehnung eines Satzungsänderungsantrags (zugegeben: Diesen Punkt hat vermutlich kaum jemand verstanden) wurde dem Präsidium auf Basis der neuen Gesetzesgrundlage ermöglicht, in Zukunft auch zu einer hybriden Veranstaltung einzuladen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass man das tun wird: Würde es damit überhaupt besser? Würden sich dann mehr als ein Prozent der Mitglieder aktiv beteiligen? Und möchte man überhaupt, dass sich Mitglieder nur einloggen, um Entscheidungen zu treffen, die den Verein entscheidend verändern? Ein Blick auf die Diskussionskultur in den sozialen Medien lässt einen stark daran zweifeln. Dann vielleicht doch lieber anachronistische Folklore.

Die Mitgliederversammlung 2023 lässt viele Mitglieder desillusioniert zurück. Von Aufbruchstimmung keine Spur. Der Verein scheint im eigenen Saft zu schmoren und der Wind, der von außen rein weht, riecht eher faulig als frisch. Immerhin läuft es sportlich aktuell ganz ordentlich. Und so kann man es niemanden verübeln, der sich die Folklore geschenkt und den Sonntag mit sinnvollen Dingen verbracht hat.

Zum Weiterlesen:

Die offizielle Zusammenfassung der Mitgliederversammlung

Verzettelt | Stuttgart International” – Der Rückblick von Christoph, der ebenfalls ein gute Rede hielt.

Der Twitter-Thread von Steffen, der während der MV einen exzellenten Liveticker anbot

Darf gerne geteilt werden:

12 Kommentare

  1. Jochen sagt

    Wenn der Beitrag hier so zutrifft, was ich glaube, dann liegen doch alle Gründe für die Ausgliederung des Proffussballs auf der Hand. Profifußball ist was für professionelle Manager. Vereinsromantik ist schön, bringt aber im Haifischbecken Profifußball nix. Geben wir doch Herrn Wehrle, Herrn Wohlgemuth plus x eine Chance. Ganz so schlecht ist es ja nicht.

    Und der größte Kleingärtnerverein heißt DFB. Dagegen strotzt unser Verein im Vergleich mit Professionalität 😂

  2. Ich habe das mit den Satzungsänderungen nur am Rande verfolgt. Aber widerspricht die neue Listenwahl nicht dem Passus der Satzung, dass ein Präsidiumsmitglied der Vizepräsident ist?

        • @buzze sagt

          Den wählt das Präsidium, oder nicht? Das hat ja nichts mit der Vorauswahl durch den Vereinsbeirat zu tun.

          • Stimmt, du hast recht, aber die Wahl des Vizepräsidenten ist in der Satzung gar nicht geregelt. Das heißt dann vermutlich, dass der VfB das selbst regeln kann, also per Präsidiumsbeschluss.

  3. Konrad sagt

    In der Sache hat Vogt ja nicht so ganz unrecht, dieser anonyme Beitrag von einem anonymen SM mit USA Host hat ein Gschmäckle. Ebenso, dass seine Abwahlanträgler das persönliche Gespräch mit ihm verweigern. Da würd ich mich auch aufregen.

    AW hat mir eigentlich in den jüngereren Auftritten nicht so schlecht gefallen. Wusste ich so gar nicht bewusst, dass er sein DFL Geld an den VfB weitergibt und beim (neuen) Bundestrainer den Daumen hebt oder senkt…

    Grundsätzlich müsste sich etwas bei der MV verändern. Im digitalen Zeitalter sollten sich Interessierte, die Hunderte von KM entfernt wohnen, virtuell einbringen dürfen.

    Na ja, was das VfB Team im Moment ausstrahlt ist gut, alles andere dahinter ist mir nicht so wahnsinnig wichtig, wenn es sportlich und finanziell zumindest in die richtige Richtung zu gehen scheint… winamaxe verärger bitte Porsche nicht ! Das wäre sehr semi.

  4. Meiner Meinung nach sollte der VfB zumindest mal in Rahmen einer Umfrage versuchen zu ergründen, warum so wenige Mitglieder zur Versammlung gehen. Da gibt es ja eine sehr große Bandbreite von wirklichen völligen Desinteresse über Interesse, aber dies beim Glauben eh nichts entscheiden zu können bis hin zu keine Zeit/zu weite Anreise (es ist ein Unterschied, ob man zu einem Fußballspiel fährt, das ingesamt so rund 2,5 Stunden Zeit vor Ort „kostet“ oder zu einer MV, die mehrere Stunden dauert von denen einen aber vielleicht nur ein Punkt wirklich interessiert. Hat man beispielsweise „nur“ 2Stunden Anfahrt, ist man bei beim Spiel bei 6,5 Stunden, bei der MV vom Sonntag bei rund 12,5 Stunden)

    • Konrad sagt

      Ausserdem war es der letzte Ferientag in BaWü. Da geht es mit Schule und Job Montag wieder voll los. Bei einer Anreise von mehreren hunderten Kilometern ist das nicht möglich. Da (sehr) spät heim kommen und Montag Vollgas wird sich keiner freiwillig antun. Verständlicherweise, da fehlt halt ab und an Empathie… deswegen sind sicher viele auch vorher gegangen…

  5. @buzze

    Mainz 0 : 5

    Der war legendär 😂 wäre cool ⚽️⚽️⚽️⚽️⚽️
    Ich liebe Euren Podcast, am liebsten, wenn Ihr zu zweit seid🤍 ❤️🤗

  6. Was erlauben Wehrle gerade in Sport im Dritten. So ein A…Loch. Auf die Frage zu Labbadia. Ja bei der Verpflichtung hatten wir gerade noch eine andere sportliche Leitung… Hahaha. DU (schwäbisch) Seggel. Bist im Dezember 2022 mit für BL verantwortlich und willst jetzt keine Verantwortung übernehmen? Lächerlich. Blutdruck steigt….
    Dann zu Winamax: wir haben genau so viele Trikots verkauft wie im letzten Jahr. Ja und? Habt ihr als VfB keine moralische Verantwortung?
    Meine Fresse, bin ich wütend. So ein Schwätzer. Einfach furchtbar.
    Ich glaube es nicht, wie der seine Weste sauber halten möchte. Auf Kosten anderer Personen.

    • Konrad sagt

      Ich bin Per Se kein Wehrle Fan. Aber irgendwie hab ich trotzdem das Gefühl, da was sagen zu wollen.

      Er hat ja bei der MV klar ausgedrückt, dass Labbadia (s)eine Fehlentscheidung gewesen ist. Trotzdem habe ich irgendwo gelesen (die Behauptung ist natürlich nicht der Beweis), dass Hoeneß damals auch auf dem Zettel war, aber Mislintat die Familie Hoeneß verärgert hat.
      Ich erinnere mich noch sehr gut auf die eigentlich sehr untypisch öffentliche Reaktion von Dieter Hoeneß auf ein Gespräch mit dem VfB. Da sich Sohnemann später doch für den VfB entschieden hat, kann eigentlich nur an einer Person gelegen haben… wundert mich, dass er darauf noch nie in einer PK angesprochen wurde… vielleicht erinnere ich mich ja nur nicht..?

      Aufgrund fehlenden Plan B´s hat man dann halt Labbadia verpflichtet, weil er halt zu haben war. Und mit SM war das Tischtuch eh zerschnitten und ich bin mir sicher, dass da jeder seinen Anteil dran hatte…

      So gesehen haben schon mehrere Köche die Suppe versalzen. Dass Wehrle keinen Bock hat ständig darauf angesprochen zu werden, kann ich verstehen, ist ja irgendwann auch mal gut.

      Wenn man sieht, wie Mislintat gerade bei Ajax in der Kritik steht und befeuert wird, dann wird das nicht mehr sehr lange gut gehen und gibt irgendwo subtil auch Wehrle recht, dass es mit SM nicht immer leicht war zu Entscheidungen zu finden.

      Der Erfolg, Platz auf dem Platz. Teamgeist der Mannschaft plus Porsche – MHP Deal gibt Wehrles Weg stand jetzt recht.

      Die Mannschaft präsentiert sich, vor allem Dank des Trainers als Einheit, Wehrle versucht Geld zu generieren und hat einen klaren Plan wieder in die schwarze Null zu finden.

      Wenn es mit Winamax wirklich so war, dass es mit einem schwäbischen Unternehmen auf der letzten Rille von deren Seite nicht zum Vertrag kam und Winamax der Einzig noch übrig gebliebene war, der viel Geld bot, mal ehrlich, wär hätt´s von uns nicht gemacht und statt dessen die Moral Karte gezogen und den Verein dadurch finanziell noch mehr geschwächt?

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