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Ein undavhaltsamer Aufstieg

Es gibt im Fußball Talente, deren Potential schon in ganz jungen Jahren unübersehbar ist. Und es gibt welche, die erst „auf dem zweiten Bildungsweg“ (Torsten Lieberknecht) ihren Durchbruch schaffen. Einer dieser Exoten ist Deniz Undav, der seit Sommer für den VfB Stuttgart aufläuft.

Lange Zeit wurde der bullige Mittelstürmer undavschätzt. Geboren 15 Kilometer Luftlinie vom Weserstadion, war er für Werder Bremens Jugend scheinbar zu klein. Er tingelte durch Havelse und Wehye, in Braunschweig wusste niemand etwas mit ihm anzufangen, ehe er erst mit 22 Jahren beim SV Meppen auf sich aufmerksam machte. In seiner ersten Saison noch nicht wirklich überzeugend, startete in der zweiten voll durch. 17 Tore und 13 Vorlagen in 34 Drittliga-Spielen brachten ihm einen Vertrag beim belgischen Zweitligisten Royale Union Saint-Gilloise ein.

Sein undavhaltsamer Aufstieg beginnt:
In 26 Einsätzen traf er 17-mal und schoss Saint-Gilloise nach 48 Jahren zurück in die erste belgische Liga. In seiner zweiten Saison wurde er sogar Torschützenkönig der Jupiler Pro League. “Er ist einer der intelligentesten Fußballer, die ich bisher trainieren durfte”, rief ihm sein Trainer Felice Mazzu bei Union Royale zum Abschied zu als Undav zu Brighton Hove & Albion wechselte – obwohl auch Gladbach und der VFL Wolfsburg an ihm dran waren. In England hatte er Anpassungsprobleme, er wurde meistens eingewechselt und absolvierte kein Spiel über 90 Minuten. Erst gegen Ende der Saison kam Undav ins Rollen mit fünf Treffern in acht Spielen. Beim VfB erhofft er sich mehr Spielzeit und natürlich mehr Aufmerksamkeit in Deutschland, schließlich träumt er davon, bei der EM 2024 dabei zu sein.

Deniz Undav bei einem seiner fünf Tore für Brighton.

Er ist ein Verrückter, ein Kämpfer und einer, der von sich überzeugt ist. „Manchmal übertreibt er“, meint Fabian Wohlgemuth. Der Sport-Direktor überzeugte Undav von einem Wechsel trotz anderer Angebote, kämpfte um seine Verpflichtung, gab ihm die Wertschätzung, die er braucht. Wohlgemuth wusste warum: Undav bringt Elemente ins Spiel, die der VfB gut gebrauchen kann: Frechheit, Selbstvertrauen, Entschlossenheit. Er ist ein Instinktfußballer und seine Intuition lässt ihn manchmal Sachen machen, auf die andere nicht kommen. Im positiven wie im negativen. 2020 schoss er in der dritten Liga für Meppen gegen Unterhaching ein Tor von der Mittellinie. Für die gegnerischen Abwehrspieler ist es auf jeden Fall eine undavbare Aufgabe, den Leihspieler von Brighton auszuschalten.

Undav weiß, was er will!
Das strahlt er auf dem Spielfeld aus. Da kann aus Mut schnell auch mal Übermut werden. Trotz seiner unbestrittenen Goalgetter-Qualitäten sagte er einmal der „Sportschau“: “Im Herzen bin ich ein Zehner. Ich denke nicht wie ein klassischer Stürmer, eher wie ein Spielmacher“. Sein Gefühl für Räume und sein Gespür für gefährliche Situationen konnten wir bisher schon erleben. Vor allem der gegnerische Sechzehner ist sein Revier, wo er sich clever positioniert und schnell den Abschluss sucht.

Undav weiß aber auch, was Sebastian Hoeneß will. Schließlich kennt er den “de Zerbi Ball”, von dem sich der VfB-Trainer inspirieren lässt, aus erster Hand aus seiner Saison in Brighton. Aufgrund seines Werdegangs bringt er eine unglaubliche Widerstandsfähigkeit mit: Er musste sich immer durchbeissen, er weiß sich zu wehren, er bringt ein bisschen die Kratzbürstigkeit und Mentalität eines Straßenfußballers auf den Platz. Widerstände überwinden musste Undav in seiner ganzen Karriere.

Undav ist auch ein Gefühlsfußballer.
Er muss sich wohl fühlen, braucht eine intakte Mannschaft, in der er seine Sprüche drücken kann. Das richtige Umfeld ist für ihn wichtig: “Es hängt viel davon ab, welche Menschen man um sich herum hat”, sagte Undav dem kicker. Bisher kam er immer von der Bank und es wurde mit seiner Einwechslung stets ein anderes Spiel. Durch seine Energie, seine Ausstrahlung und seinen Willen, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Wobei er bis auf das Union-Spiel stets Serhou Guirassy an seiner Seite hatte. Jetzt muss er den Top-Torjäger ersetzen.

Mit Undav in der Sturmmitte wird das Spiel des VfB sich verändern müssen, ihm fehlt vor allem die körperliche Präsenz von Guirassy. Er kann auch Bälle festmachen, ist aber kein Wandspieler, wie es Guirassy sein kann. Undav ist gerne verbindendes Element in der Offensive, er ist auch Initiator von Angriffen, dann muss aber mindestens ein anderer Spieler die Strafraumbesetzung übernehmen, wie beim 0:3 in Berlin, als neben Undav auch Pascal Stenzel und Angelo Stiller sich für die Flanke von Jeong Woo-yeong in Position brachten. Womöglich wäre es eine Überlegung, neben Undav einen zweiten Angreifer zu nominieren, wenn sich der 27-jährige in Halbräume fallen lässt und das Spiel mitgestaltet. Nur: Wer soll das sein? Thomas Kastanaras wurde zuletzt nach 45 glücklosen Minuten im Regionalliga-Derby ausgewechselt und der 18-jährige Neuzugang Jovan Milosevic kommt auf ganze 14 Bundesligaminuten.

Natürlich fehlt Guirassy als Goalgetter, aber auch als Führungsfigur, als emotionaler Leader und als Initiator für Pressingsituationen. Alle Aufgaben wird Undav nicht übernehmen können, hier ist einerseits das Kollektiv gefragt, andererseits eine taktische Anpassung des Trainers. Der unerwartete Ausfall Guirassys wird aber auch ein Indikator sein, ob Fabian Wohlgemuth in der Winterpause nochmal den Herd anwerfen muss, um einen Stürmer zu verpflichten, wenn Guirassy beim Afrikacup spielt.

Undavs enormer Ehrgeiz und seine Spielweise, sich nichts von niemandem bieten zu lassen, können dem VfB-Spiel etwas geben. Es wird den dreimaligen Bundesliga-Torschützen herausfordern, den Ausfall Guirassys zu kompensieren. Seine bisherige Karriere zeigt: Undav liebt Herausforderungen.

Zum Weiterlesen:
Rund um den Brustring beschäftigte sich schon wir einiger Zeit mit Undav, nachdem ihn der VfB offiziell vorstellte. Ein sehr interessanter Text, nicht nur wegen Undavs Vorliebe für Döner.

The Athletic hat sich den VfB ganz genau angeschaut und meint zur Offensivreihe: “Hoeness deploys a trio of contrasting chance-creators: the languid Chris Fuhrich, who plays slightly like a Ruhr Valley Jack Grealish; Enzo Millot, a 21-year-old French playmaker who is industrious without the ball and gifted with it; and Silas, a skilful, dynamic winger who scored the second goal against Union and whom, on form, is among the most watchable players in Germany.“

Zum Weiterschauen:
Folge 4 der Doku „VfB inTeam“ ist online.

Bilder: John MacDougall/AFP via Getty Images (Aufmacher), Eddie Keogh/Getty Images (Artikelbild)

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7 Kommentare

  1. soundzecke sagt

    Es wird sehr spannend werden wie Hoeneß den Guirassy Ausfall auffangen wird. Eigentlich unersetzbar gibt der Kader offensiv trotzdem einige Lösungsansätze her.
    Ich freu mich trotz allem darauf und bin echt gespannt wie Undav das lösen wird, bisher hat er bei seinen Einwechslungen immer funktioniert.

  2. Ich tippe auf Undav vorne drin und Jeong der zusammen mit Millot und Führich die Abwehr um den Unsympath Kevin Vogt durcheinander wirbeln. Silas kommt dann nach ca. 60. min und macht den Deckel drauf.

    Lese ich da richtig, hab ich das geschrieben ? Wie sich die Zeiten verändern…letztes Jahr haben wir uns noch damit beschäftigt, wie wir Tore verhindern und evtl. nen Punkt holen, heute hat sich das sehr positiv verlagert.

    Das mit Guirassy ist schade, aber Hoffenheim weiß jetzt auch nicht, was der VfB macht bzw. wie er reagiert. Die können ihr Videostudium erstmal in die Tonne kloppen. Ist schon recht spannend.

    Ich tippe auf nen knappen Sieg des VfB.

  3. Konrad sagt

    Undav gefällt mir mit seiner extrem sympathischen Ausstrahlung. Ich würde auch Jeong an seine Seite stellen, der ist ebenfalls hochmotiviert.
    Da geht was…

    Das Geschreibsel über Serhous Ausstiegsklausel nervt mich… klar es sind die Medien, trotzdem, wenn er die Klausel nicht anpassen und im Sommer gehen will dann soll es so sein, allerdings will ich dann auch kein ich liebe stuttgart hören.

    Wird spannend wie es dann mit Nübel und Undav weitergeht!

    Dann hoffen wir für jetzt, dass die TSG undavisiert wird, ich möchte gerne gegen die gewinnen :-)

  4. Thomas sagt

    Ich bin auch jetzt schon Fan von Undav – vielen Dank mal wieder für den top geschriebenen Artikel, ich lese hier schon länger sehr gern mit! Ich find euch viel klarer, präziser und dabei noch unterhaltsamer als die Artikel in Zeitungen,.. vielen Dank!

    Neben Undav begeistert mich aktuell auch Angelo Stiller – ich freu mich jetzt schon auf euer Portrait von „Sportfreund Stiller“ ;-)

    • @abiszet sagt

      Herzlichen Dank für Deine netten Worte! Und ja, Sportfreund Stiller hat bald einen Text verdient!

  5. Konrad sagt

    Sodele…. undavhaltsam war das Spiel gestern und führte auch zu neuen Erkenntnissen. Nachdem der FC Bayern dem Serhou Leader Qualtitäten abgesprochen hat, ist es aber doch genau das, was gestern gefehlt hat. Serhou ist da Schritt für Schritt reingewachsen und Undav war mit der Serhou Rolle sichtbar konkret überfordert. Zu viel Kopf, zu viel gedacht. ein Baumann, der komischerweise immer gegen uns mehr als überragend ist. Beim Elfer dachte ich vorher schon, wird nix. Bei Serhou kannst du ja neben her nen Kaffee holen, weil sicher…. Schade…. Trotzdem gefällt mir der Rino Fussball nicht … Verstehe eigentlich auch nicht, wieso Stenzel bei dieser Art schnell Fussball auf dem Platz steht. Wobei leider ausgerechnet Stiller sich vor dem Tor abkochen ließ. Hoffentlich haben die Jungs Körner für Dienstag, das war schon ziemlich Kräfte zehrend und könnte rein vom Kopf was gemacht haben.

  6. Achim Herzblutfan sagt

    Zunächst die gute Nachricht: Wir waren klar die bessere und spielbestimmende Mannschaft. Haben Hoffenheim mit schönen Kombinationen in und um die Box zeitweise an die Wand gespielt.
    Die schlechte Nachricht:
    Wie Stenzel vor dem ersten Tor Prömel einfach hinterhertrabt und die Situation völlig unterschätzt ist krottenschlecht.
    Stenzel ist in solchen Situationen zu langsam und zu naiv.
    In dieser Spielphase der VfB zu weit aufgedrückt und dann klassisch ausgekontert.
    Beim dritten Tor Zagadou nicht im Bilde.
    Ich bin mir aber sicher, dass SH die richtigen Stellschrauben findet, damit Union aus dem Pokal fliegt und der VfB die nächsten Gegner das Fürchten lehrt.
    Weiter so ihr wilden Jungen.

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