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Ganz große Kunst!

Die Spieler des VfB Stuttgart führten im letzten Spiel des Jahres Regie mit der Kunst am Ball. Das Ergebnis: Platz 3 nach 16 Spielen. Platz 3! Ein triumphaler Abschluss eines traumhaften Halbjahres.

War was?
Es ist keine große Kunst, wenn man sich im Flow befindet, eine durchschnittliche Mannschaft wie den FC Augsburg zu schlagen. Nach der ernüchternden Niederlage gegen Bayern München – Sebastian Hoeneß sprach treffend davon, dass der Rekordmeister den VfB eingenordet habe – zeigten die Jungs aus Cannstatt jedoch eine Reaktion, die ihnen nicht alle zugetraut hatten. Kunst ist auch Arbeit, doch der VfB ließ alles so leicht aussehen. Der Ball lief, der Gegner auch, das Angriffspressing wurde achselzuckend zur Kenntnis genommen.

Ein echtes Kunstwerk schuf Angelo Stiller in der 12. Minute. Er stellte vor dem 1:0 Deniz Undav mit seinem Eckball auf den ersten Pfosten die Staffelei hin. Der Stürmer machte völlig freistehend die Führung mit einem einzigen Strich – der unter die Latte fuhr. Bis dahin hatten die Stuttgarter schon gezaubert, Undav schoss an den Pfosten und Jamie Lewelings Soli überraschten mit ungekannter Schönheit. Die Aufstellung des Außenstürmers war dabei der Erfolgsfaktor: Wenn mit einer Doppelspitze aus Undav und Serhou Guirassy gespielt wird, braucht der VfB Breite mit den Außen Chris Führich und Leweling, den freien Raum in der Mitte nutzte Undav mit seinen Spielmacherqualitäten. Enzo Millot blieb – auch krankheitsbedingt – zunächst auf der Bank.

Nur Guirassy machte eine kreative Pause, stand ratlos vor einem weißen Blatt und vergab Torchancen, die er am Anfang der Saison noch mit traumwandlerischer Sicherheit verwandelt hätte. Sein 2:0 nach einem amateurhaften Abschlag von Finn Dahmen war dann das standesgemäße Ende einer herausragenden Halbzeit. Jeder Pass, jede Verlagerung, jeder Zweikampf gelang, daraus wurde ein großes Ganzes, mit dem der VfB die Ästhetik des Spiels auf ein neues Niveau hob.

Nach Wiederanpfiff hatten die Augsburger ein kurzes Momentum. Ermedin Demirović („bin noch nie so hergespielt worden“), inspiriert vom Kunsthandwerk des VfB, setzte einen Schuss ab, der in neun von zehn Fällen ins Tor geht. Wenn nicht Alex Nübel, ansonsten beschäftigungslos, den Ball mit einem Pinselstrich über die Latte gelenkt hätte. Das 3:0 von Führich beendete die ordentliche Phase der Fuggerstädter. Die Vorlage von Stiller ein echtes Meisterwerk, das im Stadtpalais ausgestellt werden wird. Er hat so viel Gefühl im Fuß, sein Flugball atmete die Luft des freien Raums und fiel Führich wie gemalt auf seinen linken Fuß.

Christoph Schlingensief sagte: “Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können“. Und das bringt es für uns VfB-Fans auf den Punkt: Erstaunt haben wir den VfB in der Hinrunde verfolgt, begeistert waren wir von den Auftritten und so richtig erklären kann niemand die Metamorphose des VfB, der noch im April auf Platz 18 stand und nun auf einem Champions League-Rang überwintert. Nebenbei wurde noch ein Vereinsrekord aufgestellt mit den meisten Siegen (11) in einer Hinrunde.

Kreativität bedeutet, Dinge zu verbinden.
Dies ist Hoeneß äußerst beeindruckend gelungen. Der VfB Stuttgart hat in der Hinrunde nicht nur Fußball gespielt, er hat eine Symphonie aus Bewegung, Strategie und Leidenschaft aufgeführt. Angeführt vom Dirigenten Hoeneß, der die richtigen taktischen Maßnahmen ergreift, die richtige Ansprache wählt und aus einer Ansammlung talentierter Spieler ein Kollektiv geformt hat, in dem jeder weiß, was er zu tun hat – vor allem auch, dass man sich gegenseitig hilft, sollte einmal etwas schief gehen.

Der VfB Stuttgart hat die Bühne betreten, auf der er nicht nur Spiele gewonnen hat, sondern auch die Herzen der Fans mit einer Kunstform erobert hat, die Fußball in seiner reinsten und schönsten Form zeigt. Die Spieler haben unsere Emotionen geweckt und unsere Sinne angesprochen in einer Art und Weise, die wir alle noch vor kurzem für unmöglich hielten. Die Bewegungen der Spieler auf dem Platz wurden zu einer Choreografie, zu einem Ballett des Fußballs, bei dem immer wieder ein anderer die Rolle des Hauptdarstellers übernahm.

Kunst ist in der Lage, die Welt für einen Moment anzuhalten. Das hat der VfB mit seinen Leistungen unter Sebastian Hoeneß bewiesen.

Kunst ist einmalig, heißt es.
Wir hoffen trotzdem, dass diese rauschhafte Hinrunde des VfB eine Fortsetzung findet und den VfB auf die ganz große Bühne bringt.

Zum Weiterlesen:
Unser VertikalGIF spricht davon, dass gegen Augsburg auf dem Platz und auf den Rängen ein Feuerwerk abgebrannt wurde.

Die Süddeutsche Zeitung sah in Stuttgart eine „Kombinationsmaschine“ und “eine ziemlich beeindruckende fußballerische Demonstration“.

ZVW meint, dass die “Stuttgarter Erfolgs-Welle komplett in sich zusammenbricht, ist nach wie vor nicht wirklich in Sicht.“

Bild: Thomas Kienzle/AFP

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13 Kommentare

  1. soundzecke sagt

    Dritter, 11 Siege und der Frühling kommt ja erst noch. Also was bei uns für Pässe gezaubert werden ist irre.
    Ich bedanke mich für die stets lesenswerten Artikel des Vertikalpass und wünsche allen hier fröhliche und vor allem geruhsame Weihnachten.
    Lasst es uns einfach geniessen.

  2. Fritz sagt

    Super Spiel, super Leistung wie schon die ganze Saison – wenn nur die grausliche Abschlussschwäche nicht wäre. Würde gerne mal von Hoeness hören, wie er die in den Griff bekommen will. Eigentlich eigenartig, dass keiner der Print- und TV-Journalisten diese Frage stellt.

  3. Achim Herzblutfan sagt

    Liebe Vertikal-Passler
    habe gestern im Stadion Weihnachtsfussball erlebt und meinen VfB in jeder Sekunde zum Sieg gebrüllt.
    Ich wünsche euch allen von abiszet bis soundzecke schöne Weihnachten und ein gutes Jahr 2024.
    Danke für die vielen interessanten Beiträge. Weiter so! You’ll neuer walk alone. Euer Achim

  4. Pitchblack sagt

    Team VfB, bestehend aus Mannschaft, Fans, Trainer(n) und Management, ist aktuell eine Einheit, “die wo man kaum beschreiben kann”. Und es wird kaum jemand daran zweifeln, dass sie auf dem Weg durch “all der Scheisse”, durch die wir in den vergangenen Jahren gegangen sind, geschmiedet wurde.

    Die Belastbarkeit, die sie hat, ist aber auch umgekehrt proportional zu den Tiefen, die wir hinter uns haben. Der Verlust von Schlüsselspielern wird nicht nur aufgefangen, sondern sich dabei auf allen Positionen weiterenwickelt. Niederlagen werden nicht nur weggesteckt, sondern bei der nächsten Gelegenheit weggespielt. Der Fokus auf einzelnen Spielern führt nicht zu Verstimmungen sondern schweißt die Mannschaft noch enger zusammen. Der VfB zeigt gerade so eindrucksvoll wie keine andere Mannschaft, wie wichtig es ist und was passieren kann, wenn eine Einheit so verdammt viel mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile.

    Und wie unfassbar ist es bitte, dass wir, jeder und jede einzelne von uns, ein aktiver Teil davon sein dürfen? Von draußen werden Punkte gezählt, Tabellenplätze registriert, Tore gelobt, Stimmung bewundert. Aber hier drinnen, hier sind Mannschaft, Fans, Trainer und Management kontinuierlich dabei, das zu schaffen, was gestern nach dem Spiel in einer gegenseitigen Verabschiedung in die Winterpause geündet hat, wie sie bisher glaube ich noch niemand von uns erleben konnte. Hier drinnen fühlen wir diese Evolution der letzten Jahre, von ganz unten bis hierhin,

    Und ich denke nicht, dass es sich bisher oft besser angefühlt hat.

    Sorry für diesen hochemotionalen Wortschwall, ich gestehe, dass mich das Ganze doch etwas anfasst. Merkt man kaum, gell? Ich wollte Euch eigentlich nur danken für die fantastsiche Begleitung dieses Achterbahnjahrs! Ihr seid mein erster Anlaufpunkt am Morgen nach jedem Spieltag und Ihr liefert *immer* auf einem bewundernswert hohen Niveau. Danke!

    Habt wunderbare Feiertag, einen stressfreie Zeit zwischen den Jahren und kommt gut nach 2024, alle miteinander!

  5. Rebus73 sagt

    Ein künstlerisch, malerischer Spielbericht, den niemand hätte besser zusammen fassen können.
    Muchas dafür!
    Ansonsten reib auch ich mir weiter die Äuglein, was die Leistung des VfB’s angeht. Und es bleibt dabei immer die Angst im Nacken stecken, dass man in der Rückrunde (inkl Gladbach Spieltag 17) doch wieder ins alte Muster verfällt. Irgendwie wirkt das wie ein Traum, aus dem man nicht aufwachen will… aber irgendwo im Hintergrund schlummert da noch der Nachtmahr, der bösartig grinsend auf seinen Auftritt wartet *schluck*
    Aber: wir genießen einfach den Moment!!! Zu derb wurden wir in den vergangenen Jahren nach ein oder zwei guten Spielen wieder auf den Boden der Tatsachen (und leider in die Tiefen des Tabellenkellers) getreten.

  6. drhuey sagt

    Es ist gestern alles in Perfektion zu sehen gewesen, was Hoeness mit dieser Anhäufung an Talenten, entwickelt hat. Mislintat hat hierfür eine grosse Basis geschaffen und auch die letzten Neuzugänge haben ihren Beitrag leisten können. Die gestrige Ecke auf Undav ist in der Tat ein Meisterwerk von Stiller und Undav. Den Ball so temperiert zu bringen, dass er nach dem Aufprallen in einer verwertbaren Höhe und auch Geschwindigkeit kommt…Chapeau! Die no-look-Direktabnahme per Halbdrehung…da muss soviel stimmen. Same but different, dann das 3:0, das ist so schön! Aber auch was der VfB auf dem Feld demonstriert hat ist Spitzenklasse. Der Mannschaft ist es mittlerweile völlig egal wie hoch und mit wie vielen Gegenspielern sie gepresst wird, sie sucht es geradezu (Zerbi lässt grüssen), denn sie weiss, dass sie sich befreien und schnell Räume hinter der ersten Pressinglinie eröffnen kann. Das ist so ziemlich das Einzige, das auch gegen Bayern funktioniert hat. Wenn Lewelling in eine Schussposition kommt, regt sich mein Puls nicht mehr. Alles andere was er auf dem Feld gestern gemacht hat, war auch mitentscheidend für den Erfolg. Leider, und das ist für mich ein kleiner Wermutstropfen, hat sich bewahrheitet, was ich befürchtet hatte: Silas ist endgültig eine tragische Figur geworden, der fast nichts mehr gelingt. Das wäre für mich ein Kandidat für eine Leihe ab Januar. Vielleicht braucht es eine Luftveränderung. Alles in allem habe ich schon lange nicht mehr so viel Spass an meinem VfB gehabt. Spass hatte ich auch mit Euren lesenswerten Einwürfen und Analysen. Dagegen, und zusammen mit dem ebenfalls von mir geschätzten reybucanero, können viele, die auch über den VfB schreiben, gerne über berufliche Alternativen nachdenken.

    Aber zu Weihnachten sollte man mit etwas Versöhnlichem enden: Frohe Festtage allerseits!

  7. Motzbackenbruddler sagt

    Stellt Euch vor, die Bauern und die Pillen patzen in der Rückrunde (was sehr, sehr unwahrscheinlich ist…) und wir nicht (was leider wahrscheinlicher ist…) – dann, und dabei läuft es mir gleichzeitig eiskalt wie auch heiß den Buckel runter, müsste man ja gar ernsthaft über das Double nachdenken………………………………………………………………………………………………. Holy Fuck! Euch allen ein frohe Weihnacht!

  8. vaeffbee_ond_sonschd_nix sagt

    Ihr liabe Leid ! I be seid Johrzehnde VauEffBeeler. Ond i lieb den Voroi scho emmer, au en Zeida, wos nedd laufd oder gloffa isch. Do bruddel i no au saumäßig (aber wie scho mai Großvadder gsagt hodd: En ra guada Bezieheng derf mr d’andere au mol scheiße fända.). Jezzad aber isch des oglaublich subber. Ond i hann vor jedam Schbiel ond nach jedam Schbiel zerfezde Schdimmbänder. Vom senga (der gaaaanseeee wiiiiilde Südaaaa) ond ofeura omd vom Jubla. Ond seid Wocha schweb i durchs Schwobaländle. Ond summ dabei der gaaanseee wildeeee Südaaaa., beim Aikaufa ond beim Kudderoimer vorschdella. Maine Nochbor beglückwünschad mi zu “daim VauEffBee”, ond i nemm des schdrahlend entgegea. I genieß des me wie jeden Feschdagsbroda. Und wenns irgendwann nemme so laufd … die Säsdon isch bisher bollamäßig guad. S’wird scho werda. – Ach so, no an Vorschlga von mir: Mir wär’s jezzad wichdiger, wenn se d’Kaufoption für den Deniz ziad, ond zwor schnell.
    An schene Weihnachtsgruaß ans Vertikaltiem: Ihr mached des subber. I sammel eire Artikel ond les se emmer wieder noch.

  9. Jakob Guster sagt

    Manchmal fragt man sich ob das Alles nicht nur ein Traum ist aus dem man irgendwann aufwacht? Oder was nehmen die eigentlich für Medikamente?? Was ist passiert daß eine Mannschaft die uns oft zur Verzweiflung gebracht hat plötzlich Fußball zelebriert als wäre nichts einfacher als das? Erklären kann ich mir das nicht aber ich wűnsche mir daß mich bloß keiner weckt!!! Aber so ist Fußball – manchmal einfach unerklärlich!

  10. HP olé sagt

    Ein langer Artikel und alle Kommentare voller guter Stimmung und erfrischend. So selten und tut gerade in dieser trüben Jahreszeit sehr gut. Auch ich bekam insbesondere beim Pass von Stiller Gänsehaut.

  11. Der Groundhopper sagt

    In Sachen Lob ist alles – und das vollkommen zurecht – gesagt worden!
    Bleibt nur Eins: Frohe Weihnachten Euch allen und wir lesen uns in 2024 wieder :-)

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