Die Aufholjagd des VfB nach 3 Toren Rückstand führt uns zurück in die 80er, als es noch Ascheplätze gab, Hansi Müller spielte und ich David Bowies “Heroes” zum ersten Mal hörte. Inklusive nostalgischem Blick zurück auf die eigene Karriere als rechter Verteidiger, Libero und Sechser. Mega!
Meine Frage im letzten Text, wann der VfB zuletzt einmal einen 3-Tore-Rückstand aufgeholt hat und ob dies vor dem Mauerfall war, wurde flux drüben bei Facebook beantwortet: Ja, das war vor der Wende, in der Saison 1980/1981, gegen Borussia Dortmund, Endstand ebenfalls 3:3.
Auf beiden Seiten ein schönes Line-up, an das sich mein Freund Sammy und ich sogar in großen Teilen ungestützt erinnern: Immel, Burgsmüller, Votava, die Förster-Brüder, Holcer (Dragan Holcer!), Hattenberger (Roland Hattenberger!), heute würde man sagen “Mega”, mir entgleitet da ein seliges “Ach”. Nicht weil in den 80ern alles besser war, aber es war eben meine Zeit des jugendlichen Übermuts, die Zeit von Depeche Mode, David Bowie, Ultravox und Duran Duran, die Zeit von “Remington Steele”, “Ein Trio mit 4 Fäusten”, “Ein Colt für alle Fälle”, Serien, die heute bei RTL Nitro immer noch rauf und runter laufen. Es war eine Zeit, mit der ich den Geruch von frisch gemähtem Gras, Brandwunden nach Stürzen auf Ascheplätzen und das Klackern meiner Stollenschuhe auf Asphalt verbinde, also meine Zeit des aktiven Vereinsfussballs.
Meine erste Position war hinten rechts. Ich war weit davon entfernt, ein Philipp Lahm zu sein, dafür war ich viel zu langsam und technisch, nun ja, zu eindimensional. Mit links konnte ich nichts und mit rechts konnte ich ganz gut passen, einigermaßen präzise schießen und flanken, war im Zweikampf standfest, rempelte gerne, aber mein Spiel blieb einfach und risikolos. Wenn ich mal einen Sprint nach vorne ansetzte und mir der offensive Wind um die Nase wehte, kam es mir irgendwie dreist vor. Ich fühlte mich in der Nähe des eigenen Tores wohler und da ich anderen gerne sagte, wo sie lang laufen sollen und gut brüllen konnte („Raus!“), wurde ich schnell Libero. Eine herrliche Position: Ganz frei, ohne Zwänge, intuitiv schloss ich Räume, übernahm Gegenspieler, organisierte Abseitsfallen, durfte die Abschläge machen, weil ich den Ball so weit schießen konnte. Die Mittellinie überquerte ich nie, hatte immer das Spiel vor mir, mein Blick atmete von der Mitte aus stets die Luft des freien Raums.
Dann wechselte der Trainer und schob mich erst auf die 8, dann auf die 6. Da war ich mehr so der Dieter-Eilts-Typ, gut stehen, Räume eng machen, viele Kurzpässe, kaum Sprints, hier grätschte ich gerne, vor allem auf nassem Gras, ein Spiel ohne Tacklings (immer von der Seite!) war kein gutes Spiel. Ich stieß selten in den Strafraum, fühlte mich aber in der Mitte sehr wohl, obwohl einem manchmal die Bälle nur so um die Ohren flogen, weil das Mittelfeld gerne wild mit hohen Bällen überspielt wurde. Als ich wieder als rechter Verteidiger aushelfen musste, merkte ich, dass dies nicht meine Position ist. Immer an der Seite eingeklemmt und eine Halbzeit hatte auch der Trainer ständig Zugriff auf mich und moserte an mir herum.
Ich schwärmte außer für Hermann Ohlicher auch für Bernd Martin, einer aus der eigenen Jugend, der mit 18 schon im Europapokal spielte, der als rechter Verteidiger einen Schuss hatte, auf den Thomas Hitzlsperger neidisch wäre. Martin war ein ganz früher junger Wilder (neben Markus Elmer, später dann Karlheinz Förster, Hansi Müller), wohnte mal bei mir um die Ecke in Cannstatt und fuhr einen schicken 911er, in so einem racing-green, wenn ich mich richtig erinnere. Ich fand auch, dass seine Locken meinen ähnelten. Wir hatten beide eine Problemfrisur (was noch heute so ist – bei Bernd Martin und bei mir). Hansi Müller wohnte sogar nur zwei Häuser weiter, ich stand mal in seinem Vorgarten, schaute durch sein grosses Panoramafenster an der Terrasse und wollte wissen, wie so ein Fussballstar wohnt (ich war 11 Jahre alt!). Plötzlich öffnete sich die Tür, Müller kam raus, sehr freundlich, hatte Autogrammkarten in der Hand und komplementierte mich hinaus. Ich war so überrascht, dass ich ihm noch nicht mal sagen konnte, dass er auf keinen Fall zu Bayern München wechseln soll. Ich machte mir deshalb lange Vorwürfe.
Balljunge beim VfB
Ebenso nah kam ich den VfB-Spielern als Balljunge. Genau in der Saison der Aufholjagd gegen Dortmund stand ich im April 1981 im Spiel gegen Leverkusen auf der Tartanbahn. Ich erinnere mich an wenig, nur so viel: Ich war aufgeregt und unendlich stolz in meinem VfB-Trainingsanzug. Hoch irritierend fand ich, dass Libero Alexander Szatmari den damaligen Keeper Uwe Greiner ununterbrochen anschrie, ihn Arschloch und Idiot nannte, so roh hatte ich mir den Umgang bei meinem VfB nicht vorgestellt. Es war ein enges Spiel und in den allerletzten Minuten drosch plötzlich ein Balljunge an der Hauptribüne den Ball weg. Später bei Cola-Mix und Wurstsemmel erzählte er uns, dass ihm Hansi Müller zugeraunt hatte, er solle den Ball einfach wegschießen, es soll nur die Zeit vergehen. Große Aufregung gabs da keine, heute würde Jürgen Klopp so einen Balljungen wahrscheinlich beißen und Matthias Sammer den armen Jungen vor irgendein Gericht zerren. Wenn ich daran denke, entgleitet mir wieder so ein “Ach”, weil in den 80er Jahren vielleicht doch alles besser war.
Ein renitenter Balljunge wird dem VfB gegen Frankfurt sicher nicht helfen. Aber ein gutes Omen ist, dass der VfB 1980 nach dem 3:3 im nächsten Spiel 4:2 gewann. Hansi Müller schoß drei Tore und ich setze jetzt mal meine Vereinsbrille auf: Zwei Tore bekommt der VfB schnell mal, irgendeiner wird schon einen Bock schießen, aber im Angriff wirds wild. Der neue Hansi Müller heißt Timo Werner und schießt drei Tore. Jetzt muss ich nur noch schauen, wo Timo wohnt, damit ich mir in seinem Vorgarten ein paar Autogrammkarten holen kann.