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The Power of Love

VfB mit Herz

Ich habe ein Auskunftsgesicht. Überall, in Stuttgart sowieso, werde ich nach dem Weg gefragt, wie der Fahrkartenautomat funktioniert oder nach der Uhrzeit. Einmal wurde ich sogar darum gebeten, jemanden zu umarmen. Aber ich habe wohl nicht nur ein Auskunftsgesicht, sondern auch ein VfB-Gesicht.

Ich stehe in meinem Businessoutfit in Frankfurt am Bahnhof, es ist Montag, 9 Dezember, ca. 18 Uhr. Ich warte auf meinen Zug und möchte dringend zurück nach Stuttgart, um mir das Heimspiel gegen Nürnberg im Neckarstadion anzuschauen. Da werde ich mal wieder angesprochen. Von einem VfB-Fan im aktuellen, roten Auswärts-Trikot. Er fragt mich auf Englisch, auf welchem Gleis der Zug nach Stuttgart fährt. Da ich denselben Weg habe, bitte ich ihn, mich zu begleiten und natürlich kommen wir ins Gespräch. Pedro ist Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln, er arbeitet in Deutschland für ein Projekt bei HP – und er ist VfB-Fan „since 2007, remember Pardo and Osorio“ – und natürlich remembere ich mich. Wie sollte ich das vergessen, ich erspare Pedro aber, dass ich über 2007 ein Buch geschrieben habe. Immer wenn er in Deutschland ist, geht Pedro zu VfB-Spielen. Jetzt gegen Nürnberg, davor die Woche war er in Sandhausen und hofft, noch einen VfB-Sieg in diesem Jahr zu erleben, bevor es wieder zurück nach Amerika geht! Zweite Liga gefällt Pedro, weil der VfB dort mehr gewinnt als verliert, trotzdem meint er: „It’s so sad Stuttgart got relegated last season!“ Wem sagt er das. Wir tauschen viele Erinnerungen aus, ich erzähle ihm von Barcelona 2010, dem Auswärtsspiel in Nürnberg 2017 und er mir, wie er versucht, die VfB-Spiele in Amerika anzuschauen, aber meist reicht es nur zu Zusammenfassungen auf YouTube. Er vermisst vor dem Laptop aber die Stimmung, „the power of the crowd is incredible“. Sein aktueller Lieblingsspieler ist Silas, „I love this Freestyle-Trickser!“ Es ist einfach schön, wenn man sich so einig ist wie Pedro und ich.

Warum ich das schreibe? Weil der VfB eine so immense Kraft hat. Die Kraft, Türen zu Emotionen zu öffnen. Die Kraft, Menschen miteinander zu verbinden. Die Kraft, gemeinsam für etwas zu stehen. Der VfB bietet Halt auch in der größten Kacke, er bietet Identifikation, er bewegt die Menschen. Die Geschichte des Clubs ist immer auch die Geschichte der Menschen, die den VfB unterstützen. Hier habe ich versucht, das zu beschreiben:

Nichts haut mich um, aber Du, ich bin stehend k.-o. Ohne dich ist mir einsam und kalt, mit dir schlafʼ ich ein, mit Dir wachʼ ich auf, du bringst mich immer auf den Boden der Tatsachen zurück, denn euphorisch kann man mit dir nur selten werden. Trotzdem, du bist meine Heimat. Die Heimat ist aber nicht dieses Stadion, das ist nur ein Ort. Heimat wird sowieso viel zu oft geografisch definiert, dabei sind es die verschiedenen Symbole, wie das wunderschöne, künstlerische Wappen mit den drei liegenden Hirschstangen und der beschissen lesbaren Fraktur-Schrift, der einzigartige Brustring, der der Kern von allem ist, und das gesungene, innige, aber auch fordernde „Olé, Olé, Ola“. Heimat kann Geräusche bedeuten, Gerüche, kann Bilder im Kopf erzeugen. Heimat ist die Verbindung des Vereins mit meiner Lebensgeschichte. Heimat ist die gemeinsame Erinnerung an außergewöhnliche Ereignisse, gute wie weniger gute. Der VfB ist für mich wie eine Familie. Ist mal der große Bruder, zu dem ich aufsehe. Mal der schrullige Opa, wenn er von Tradition und alten Zeiten spricht. Mal ʼne Bitch, wenn der VfB sich wieder wie eine Pussy benimmt. Ich habe mir keinen Panzer zugelegt, wenn es beim VfB einmal nicht so gut läuft. Dann fühle ich mit dem Spieler, der vor dem Tor versagt hat (…). Das Versagen der Akteure des VfB wird zu meinem Versagen, die Verantwortung für eine Misere lastet auf meinen Schultern, weil sich der VfB so tief in meinem Herzen eingenistet hat. Wir sind eine Familie und in der Familie hilft man sich schließlich. Egal, was kommt, egal, was war, ich werde immer auf der Seite des VfB stehen.“

Genau das ist es: Auch wenn ich mich sakrisch aufregen kann über die aktuelle Spielweise, auch wenn mich der x-te Trainerwechsel nervt, dass der VfB in der zweiten Liga spielt und dort zu wenig aus seinen Möglichkeiten macht – egal, der VfB ist mein Verein, das bekomme ich nicht aus mir raus, da kann der VfB sich noch so daneben benehmen wie er will. Und es geht wohl nicht nur mir so, oder? Auch wenn der VfB viel getan hat, dass man sich von ihm (zumindest zeitweise) abwendet …

So wie der VfB uns Kraft gibt, so geben wir ihm auch eine immense Wucht. Wer jetzt das schwierige Umfeld rausholt und hohe Erwartungen herbei redet, der vergisst, dass das wahre schwierige Umfeld direkt in der Mercedesstraße sitzt. Schön wäre, wenn die Entscheidungsträger bei allem immer im Hinterkopf behalten würden: Es geht nicht um sie. Es geht um den VfB. Und damit um uns. Denn wir sind das Herz des VfB.

Wir wünschen Euch frohe Weihnachten und eine entspannte Winterpause.
Sammelt Kraft, denn die Rückrunde könnte anstrengend werden.

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4 Kommentare

  1. Christopher Dieterle sagt

    Besser kann man es nicht schreiben! Zumindest können wir VfB Fans sagen, wir haben echt alles erlebt im Fußball!!! Euch allen schöne Weihnachten und einen guten Rutsch ins Jahr 2020, mal schauen was uns alle erwartet…

  2. Elmar Amendinger sagt

    Danke für diesen tollen Beitrag, der das Herz berührt und eben genau das Gefühl trifft das seit nunmehr 43 Jahren besteht. Nicht nur einmal hat man sich in dieser Zeit gewünscht dass jemand diesen VfB Chip wieder ausbaut, aber in Wirklichkeit will man es nicht, weil es Emotion verbunden mit tiefer Liebe zu diesem Verein bedeutet. Auch dieses Jahr beschäftigt uns der VfB über Weihnachten, man lechzt nach Nachrichten obwohl klar ist dass an Heiligabend um 22 Uhr auch an der Mercedes Straße wohl mal ein wenig Ruhe eingekehrt ist. Was immer bleibt: Es geht nur um den Verein mit seiner enormen Strahlkraft. Euch weiterhin frohe Festtage.

  3. Richard K. sagt

    Toll geschrieben. Hier spürst Du als echter Fan, dass der Autor ein Seelenverwandter von Dir ist. Dass in seiner Brust ebenfalls das weiß-rote Herz schlägt. Dass er den roten Brustring unter der Haut tätowiert hat. „VfB Stuttgart das sind wir“ #vfbeinlebenlang

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