Mini-Feature, VfB
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Die Reifeprüfung

Dass der VfB Stuttgart eine Diva ist, mussten schon weitaus erfahrenere Trainer als der aktuelle leidvoll erfahren. Denn eine gewisse Lethargie hat sich in den vergangenen zehn Jahren fest in der Club-DNA verankert – unabhängig vom Personal. Hannes Wolf haben wir zugetraut, diese verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Und wir tun es immer noch!

Denn, wer behauptet, der Stuttgarter Trainer würde aus seinen Fehlern nicht lernen, hat Unrecht. Er lernt aus seinen Fehlern; macht dafür aber wieder neue. Aber wie sollte es auch anders sein auf seiner ersten Station als Profitrainer? Wolf ist jung, hat wenig Erfahrung, aber er hat bewiesen, dass er Form- und Einstellungs-Dellen beim VfB entgegen wirken kann. Siehe Dresden. Siehe Würzburg.

“Man ist dumm, wenn man einen Fehler immer wieder macht.”
Lukas Podolski, Fußball-Philosoph

Trotzdem bleibt festzuhalten: Der VfB hat den mit Abstand allerbesten Kader der Liga. Offensiv sogar den allerallerbesten. Selbst, wenn Wolf die zweite Garnitur aufs Feld schicken würde, änderte sich daran nichts. Gemessen daran sind die erzielten Resultate überschaubar. Ehrlicherweise muss man festhalten, dass die neun Punkte gegen St. Pauli, Sandhausen und Heidenheim auch sechs weniger hätten sein können. Hat die Siegesserie eventuell das eine oder andere Problem übertüncht?

Wir erwarten nicht, dass jedes Spiel mit mindestens zwei Toren Unterschied gewonnen wird und der Aufstieg früher feststeht als die Meisterschaft der Bayern. Aber, dass Teams wie Bochum und Fürth den Stuttgartern zumindest zeitweise spielerisch den Schneid abkauften, war zugegebenermaßen enttäuschend. Vermittelt Hannes Wolf dem Team zu viel Demut und Ernsthaftigkeit, aber zu wenig gesunde Arroganz? Muss man für einen Gegner wie Fürth wirklich das eigene System grundlegend umstellen? Mal ehrlich: Reicht es nicht, Mané immer wieder auf dem rechten Flügel ins Eins-gegen-Eins zu schicken oder Insua eine Flanke nach der anderen auf Terodde schaufeln zu lassen, um zu gewinnen?

Doch was bisher stets begeisterte, war der spürbare Wille des Teams. Der Wille, Tore zu schießen. Der Wille, Tore zu verhindern. Der Wille, Spiele zu gewinnen. Der Wille, aufzusteigen. Gegen Fürth war davon nicht viel zu sehen. Der aktivste Stuttgart war Hannes Wolf an der Seitenlinie.

Die berüchtigte VfB-Dösigkeit hat sich wieder in Stuttgart breit gemacht. Und ich fürchte, auch Hannes Wolf ist nicht immun dagegen. Nachdem das Team in Bochum die ersten 30 Minuten wirkte, als hätte man die Spieler erst fünf Minuten vor Anpfiff aus dem Mittagsschlaf geweckt, erwartete ich klare Worte von Wolf. Stattdessen betonte er nach der PK die starke Leistung des Teams in der restlichen Spielzeit und die gute Bilanz von 17 Punkten in 7 Spielen. Klingt für mich ein bisschen nach Robin Dutt und “den Druck haben die anderen”. Und das von Hannes Wolf, der in der Hinrunde immer wieder das Dresden-Spiel als warnendes Beispiel nannte und jede Schludrigkeit bereits im Keim erstickte.

Apropos Dresden: Konnte man die Niederlagen gegen die Aufsteiger als kollektiven Blackout verbuchen und das verlorene Heimspiel gegen Hannover Mitch Langerak anlasten, ist die Sachlage diesmal deutlich komplexer. Denn diesmal muss sich auch der Trainer unangenehme Fragen gefallen lassen. Ob er sich “vercoacht” hat? Keine Ahnung. Aber warum betonte er immer wieder, dass ein Systemwechsel auf zwei Stürmer (s)ein funktionierendes System destabilisieren würde, nur um in Fürth genau dies zu tun – Beweis für seine These inklusive. Wollte er Daniel Ginczek zufrieden stellen mit einem Startelf-Einsatz? Wollte er Marcin Kaminski belohnen für seine zurückliegenden soliden Leistungen (Braunschweig mal ausgenommen)?

Hannes Wolf muss sich jetzt nicht nur mit dem richtungsweisenden Spiel gegen Dresden beschäftigen, sondern auch damit, dass seine Spieler bei den Nationalmannschaften, im Familienurlaub in Österreich oder beim Sightseeing in Rom sind. Blöd, aber nicht zu ändern. Dazu kommt eine neue Skepsis bei vielen Fans, die sich nach der ersten Niederlage 2017 fragen, ob a) der Rauswurf von Kevin Großkreutz an allem schuld ist, b) man den Spielbetrieb besser einstellen sollte oder c) Ebenezer Ofori und Jérôme Onguéné jemals spielen werden. Aber auch davon muss er sich frei machen.


Dennoch steht Hannes Wolf vor seiner ersten echten Reifeprüfung beim VfB Stuttgart. Er muss die jüngsten Rückschläge verarbeiten, auf Fehler hinweisen und vor allem Lösungen aufzeigen. Er muss seine Reputation in der Mannschaft halten oder sogar zurückgewinnen. Er muss der Mannschaft wieder den unbedingten Willen einimpfen, Spiele zu gewinnen. Und das alles ohne Aktionismus, aber mit dem eindeutigen Signal: Arsch hoch, sonst Arsch voll.

Hannes Wolf sollte sich von niemanden beeinflussen und sich schon gar nicht von anderen reinschwätzen lassen, sondern sein Ding durchziehen. Taktik und Aufstellung ohne Ansehen von Personen und Befindlichkeiten definieren. Er darf sich nicht von der oben beschriebenen Dösigkeit verführen lassen. Kein “Gewinnen wir heute nicht, gewinnen wir morgen”, kein “Es wird schon irgendwie klappen.” Ihm muss es jetzt gelingen, den Ehrgeiz und den Einsatz, den man bei ihm zu jeder Sekunde spürt, wieder auf das Team zu übertragen. Er muss den VfB wieder wach küssen.

Wenn er das schafft, steigt der VfB Stuttgart auf. In Wolf we trust.

 

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