Mini-Feature, VfB
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Was Du Wolle?

Er wirkt gehetzt, leicht aufgelöst, seine Stirn glänzt, er schwitzt ein wenig. Normalerweise lässt sich Wolfgang Dietrich von seinem Fahrer vor dem Neckarstadion absetzen. Um die paar Meter zur Geschäftsstelle selbst zu laufen und um vor dem Stadion mit ausgebreiteten Armen zu rufen: „Alles meins!“ Dieses Mal verzichtet er darauf, denn es hätte ihn zu sehr geschmerzt, sich an den letzten Samstag zu erinnern. Minusrekord bei den Zuschauerzahlen, und das beim Derby gegen den Karlsruher SC. Nur 28.000 Zuschauer bei der 0:3-Niederlage, da kommt selbst der Präsident ins Schwitzen.

Wir schreiben das Jahr 2021, seit Sommer 2019 hat der VfB sieben Trainer und vier Sportvorstände verschlissen. Als erstes erwischte es Thomas Hitzlsperger im Herbst 2019. Er und Nico Willig hatten zwar den Klassenerhalt geschafft, weil Holger Badstuber zum Held der Relegationsspiele gegen Heidenheim wurde, doch Platz 14 nach zehn Spieltagen war in der Folgesaison einfach zu wenig für die Ansprüche des Präsidenten. Neuer Trainer, neuer Sportvorstand, same procedure as every season. Ohne den besonnenen Führungsstils Hitzlspergers ging es für den VfB dann jedoch in die zweite Liga. Hitz selbst ist mittlerweile bei Hertha BSC Berlin tätig, die er mit seiner klugen, ruhigen und teamorientierten Arbeitsweise in die Champions League geführt hat. Er tauscht sich regelmäßig mit Fredi Bobic aus und beide erinnern sich mit Grausen an ihre Zeit beim VfB. Wobei sich beide nicht einig sind, wer den schlimmeren Präsidenten hatte. Klar, die Vorstände Stefan Heim und Jochen Röttgermann sind noch da, ebenso die Aufsichtsräte Hartmut Jenner und Wilfried Porth, und auch Christian Gentner führt die Mannschaft immer noch als Kapitän aufs Feld. Schade nur, dass er es nun schon im zweiten Jahr in der zweiten Liga tut.

“Was Du Wolle?“, der VfB-Präsident versteht nicht, warum es kritische Fragen zu seiner Arbeit gibt. „Der VfB steht finanziell glänzend da und in Kürze werden wir den dritten Investor vorstellen!“ Was „finanziell gut da stehen“ bedeutet angesichts des extremen sportlichen Misserfolgs, das weiss nur Dietrich. Aber wie man so hört, ist er mit sich selbst in guten Gesprächen, so dass die Quattrex AG bald beim VfB als Investor oder Geldgeber einsteigen wird. Opposition muss er keine fürchten, alle kritischen und krakeelenden Geister haben aufgegeben oder wurden ruhig gestellt, wie beispielsweise bei der Mitgliederversammlung 2019, als der Transfer von Sami Khedira bekannt gegeben wurde. Tragisch nur, dass Khedira aufgrund von Verletzungen bisher noch kein einziges Spiel bestreiten konnte.

Mit einer klugen Kommunikationsstrategie brachte sich Dietrich durch alle Krisen. Zum Beispiel 2019 mit einer langen, oberflächlichen Ehrenerklärung, die weitgehend aus Behauptungen bestand, in der manches wachsweich, manches aber nachvollziehbar wirkte. Nur die notorischen Schwarzseher hatten daran etwas auszusetzen, denn wer zweifelt schon an der Ehre des Präsidenten? Auf Vorwürfe zu antworten, die so keiner geäußert hat, war sein cleverster Schachzug. “Mir zu unterstellen, ich würde mittels meines Engagements als ehrenamtlicher Präsident des VfB Geld verdienen wollen, trifft mich mehr als jeder andere Vorwurf.“ Keiner warf ihm das vor, darum ging es 2019 gar nicht, sondern um seine finanziellen Vorteile bei Beteiligungen, die er schon längst abgestoßen haben will. Und dass die Mitglieder in keinster Weise vor seiner Wahl über seine noch laufenden Geschäfte informiert wurden. Längst vergessen. Dietrich hat alle im Griff. Aber sowas von.

Auch wenn es der Präsident selbst ist, der dem Verein schadet, so behauptet er einfach das Gegenteil. So lange und so laut bis er es selbst glaubt und Kritiker resigniert abwinken. Finanziell nimmt der VfB ebenfalls Schaden durch die Führung von Dietrich. So bekommt der ehemalige Sport-Vorstand Michael Reschke 75.000 Euro im Monat – seit 2019 bis heute im Jahr 2021! Grund dafür ist die Entfernung einer Klausel durch den Präsidenten höchstselbst, die es dem VfB erlaubt hätte, Reschke 2019 ohne Abfindung zu kündigen. „Ein Flop ist immer drin“ sagt er ungehalten, wenn er darauf angesprochen wird. Der Kritiker Peter Stolterfoht, der 2019 in der Stuttgarter Zeitung schrieb: „Dietrich versteht bis heute nicht (…) warum der Präsident des bedeutendsten Vereins Baden-Württembergs hohen gesellschaftlichen Ansprüchen und Werten gerecht werden sollte“, hat allerdings deutlich mehr Flops gezählt. Worauf Dietrich antwortet: „Der hat noch nie bis drei zählen können!”

Obwohl “Wolfgang, der Erste“, wie er hinter vorgehaltener Hand intern beim VfB genannt wird, ohne Widerspruch durchregieren kann, so macht er sich nun doch ein wenig Sorgen. Sein öffentliches Auftreten und seine Großspurigkeit, sein Eigensinn und das Verdrehen von gemachten Versprechungen haben dazu geführt, dass sich große Teile der aktiven Fanszene längst zurückgezogen haben. Die Stimmung ist seitdem wie in München und Leipzig und das Stadion meist nicht einmal halb voll. Ein sehr smarter Move war es zwar, diese mangelnde Unterstützung dafür verantwortlich zu machen, dass sein hochgestochener 5-Jahresplan („VfB im oberen Drittel“) nicht aufging: „Als es darauf ankam, zusammenzuhalten, wurde anstatt dessen für Unruhe gesorgt und die sportliche Entwicklung gebremst“. Die Fakten sind aber: In der zweiten Liga ist der VfB zur grauen Maus geworden, Mercedes lehnte es vor dieser Saison ab, Trikotsponsor zu bleiben („nicht gut für unser Image“) und die Lieblingsvereine der Jugendlichen heißen mittlerweile München, Hoffenheim, Heidenheim und Freiburg, obwohl dort Christian Streich nicht mehr Trainer ist, nachdem er zum Bundespräsidenten gewählt wurde.

Seinen Traum von 100.000 Mitgliedern hat sich Dietrich erst kürzlich erfüllt, denn die Mitgliederwerbung läuft wie geschmiert. Zuletzt gab es bei Edeka ab einem Kauf von 18,93 Euro ein Jahr VfB-Mitgliedschaft zum halben Preis. Beworben wurde dies mit Schweinebauch-Anzeigen mit der Überschrift „Wir sind auch Stuttgart“. Er zieht damit das Publikum an, das er sich wünscht: zahlende Kundschaft ohne Identifikation.

Obwohl seine Führung des Vereins und der AG keinen Anlass dazu geben, sieht sich Dietrich auf einem guten Weg. Die derzeitige negative sportliche Entwicklung nennt er nur „sportliche Schwankungen“. Dass dies nur eine seiner vielen Fehleinschätzungen ist und er dafür in weiten Teilen des Profifußballs nur noch mitleidig belächelt wird, ignoriert er, wenn auch schwitzend, geflissentlich. Was Du Wolle?

Titelbild: imago images / Pressefoto Baumann

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8 Kommentare

  1. drhuey sagt

    Wäre dieses Szenario nicht mindestens zu 50 % möglich, man könnte sich über Euren Beitrag köstlich amüsieren. Der VfB als Vehikel zur Vorteilsverschaffung für ein paar wenige. Vielleicht spielt ja der Dynastiegedanke bei WD eine größere Rolle als vermutet und die Plattform Fussball soll nun die Seinen (inkl. dem schlauen Herrn Schlauch) dem Ziel etwas näher bringen. Wir hatten in dem Amt schon (Duck-) Mäuser und Leute mit einem Seepferdchen-Rückgrat a la Wahler, aber, dass ich einen Vierteles-seligen MV mit der guten alten Zeit in Verbindung bringen würde, hätte ich auch nicht gedacht. Ich habe gedanklich die Schere schon mehrfach an meinem Mitgliedsausweis angesetzt…spätestens 2021 wäre es dann soweit. Aber noch glaube ich an die Kraft des Guten: Hitz und ich-kann-es-immer-noch-nicht-glauben-Sven-Mislintat lassen schon mal hoffen. Und wann hatten wir zuletzt eine solche Klarheit auf der Trainerbank ? Auch der geschätzte Hannes Wolf war das nicht. Und WD ? Nach der Saison Geschichte; da bin ich mir ganz sicher.

  2. Armin sagt

    Ein Meisterstück von Euch! Selten den Nagel so auf den Kopf getroffen wie mit diesem Bericht,wie ich finde.Klasse,weiter so,dachte ich und vergaß,dass euer Futterboden nur durch die bescheuerte Realität entstehen kann.Deswegen verzeiht mir,wenn ich mir wünsche,dass ihr zukünftig weniger treffend schreibt🥴

  3. Thomas 1893 sagt

    das ist keine Satire sondern der Blanke Horror.
    Hätte nie geglaubt das dieses Horrorszenario wirklich werden könnte doch mit WD ist alles möglich…
    Dennoch bleibe ich positiv Hitz wird es richten…

  4. Tobias Deppler sagt

    […] alle kritischen und krakeelenden Geister haben aufgegeben oder wurden ruhig gestellt, wie beispielsweise bei der Mitgliederversammlung 2019 […] als ein gewisser Riky Palm im letzten Moment von seinem Podcast-Kollegen Buzze von Handgreiflichkeiten abgehalten werden konnte. Dietrich sprach noch am selben Abend für beide kritischen Geister ein lebenslanges Pre-Game-Pass-Verbot aus.

  5. @abiszet sagt

    @Armin
    Vielen Dank :-)

    @Bernd
    Die Einstellung „Bringt doch sowieso alles nichts“ ist kein guter Ratgeber ;-)
    Wobei es natürlich stimmt: Das System schützt sich selbst.

    • Bernd sagt

      Ich sage ja nicht, dass alles nichts bringt, sondern was sich ändern muss. Ein erster Schritt wäre, wenn die Medien (also Ihr z.B.) über das System informieren würden, anstatt über einzelne Personen. Wie sorgt die Satzung des eVs dafür, dass das System sich selbst schützt? Was sind das für Leute, die beim VfB das Sagen haben, wie sind ihre Verquickungen untereinander? So kriegt man leider immer nur Bruchstücke in die Richtung mit, und auch nur dann wenn man gezielt nach solchen Dingen Ausschau hält. Durch eine enstprechende Berichterstattung (für die aktuell sicher größeres Interesse da wäre) würde öffentlicher Druck für dringend nötige Reformen entstehen. Und das wäre deutlich konstruktiver als irgendwelche “Dietrich raus!”-Rufe.

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