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Viel zu easy

Ich finde Christian Streich durchaus sympathisch. Wie einen entfernten Onkel, der bei einer Familienfeier Geschichten erzählt, die keiner so richtig versteht, über den man aber trotzdem nachsichtig lächelt. Wie sich Streich allerdings nach dem Schlusspfiff aufführte, ist wild und unangenehm: Mit einer agressiven Ausstrahlung umarmt er seine Spieler, fuchtelt mit den Fäusten in der Gegend herum und tut gerade so, als ob er den Klassenerhalt geschafft oder die Meisterschaft geholt hätte. Grund zum Jubeln hatte er allemal: Freiburg gewann wie letzte Saison 3:2. Wie letzte Saison nach 3:0-Führung und wie letzte Saison völlig verdient.

Aber nochmal zur Einordnung, wer alles fehlt mit Startelf-Ambitionen: Orel Mangala, Chris Führich, Silas, Sasa Kalajdzic, dazu viele, die Interessante Optionen für Pellegrino Matarazzo darstellen würden.

Letzte Saison machten wir uns nach dem Spiel weniger Sorgen um die Mentalität der Mannschaft – auch da hatte sie sich hervorragend zurück gekämpft – sondern vielmehr um die Defensive, die Freiburg Räume anbot, die sie nunmal nutzen. Same procedere this year. Dass Freiburg oft über die Außenpositionen angreift, dass Christian Günther gefährliche Flanken schlagen kann, das dürfte nichts Neues sein. Trotzdem fällt das 0:1 genau so. Pellegrino Matarazzo hat sein Team sicher darauf vorbereitet, aber offensichtlich ist es nicht in der Lage, seine Vorgaben ab Minute 1 umzusetzen. Das 0:3 fiel ebenfalls nach einem geradezu banalen Muster: Keeper Mark Flekken schlägt den Ball im Bielefeld-Ortega-Style weit auf die linke VfB-Abwehrseite zu Roland Sallai, der ein ganzes Feld und nur Marc-Oliver Kempf vor sich hat. Besser wäre gewesen, Kempf hätte Sallai bereits bei der Ballannahme gestellt, aber er war zu weit weg von seinem Gegenspieler, während sich Borna Sosa (mit langem O, lieber Sky-„Kommentator”) noch auf Höhe der Mittellinie befand. Die Flanke kann Kempf nicht verhindern, in der Mitte köpft der 1,60 große Lucas Höler zwischen den beiden 2 Meter-Riesen Waldemar Anton und Dinos Mavropanos ein. Das war viel zu einfach, easy like Sunday morning, das hatte Züge von Greuther Fürth.

0:3 nach 28 Minuten, das Spiel ist entschieden. So dachten jedenfalls Generationen von VfB-Spielern in der Vergangenheit (von Ausnahmen wie Leverkusen 2014 und Dresden 2017 abgesehen). Dieses aktuelle Team nicht. Es gibt nicht auf. Natürlich lässt es Freiburg ein bisschen ruhiger angehen, trotzdem ist es gut zu wissen, dass sich das VfB-Team 2021/2022 nicht unterkriegen lässt.

Etwas enttäuschend ist, dass sich der VfB in der zweiten Halbzeit mit viel Ballbesitz keine wirklich enrnsthafte Torchance herausspielt. Matrazzo bemängelte „mangelnden Mut und zu wenig Risiko“, er forderte, einen Ballverlust in Kauf zu nehmen für eine offensive Idee. „Das wäre auch wieder die Chance zum Gegenpressing“, so der VfB-Trainer. Doch ich kann die Mannschaft verstehen: Sie hat in der ersten Halbzeit gesehen, wie easy sie von den Freiburgern nach Ballverlusten auseinandergemurmelt wurden, das wollten sie nicht noch einmal erleben.

Fazit des Spiels und des Saisonauftakts: Wir müssen uns um Offensive und Defensive Sorgen machen. Auch wenn Hiroki Ito erneut einen soliden Eindruck macht als er bei seinem Debüt für den verletzten Mavropanos (Beckenprellung) eingewechselt wurde. Sowohl im zentralen Mittelfeld, das Wataru Endo weitgehend alleine bearbeiten muss als auch auf den Außenpositionen, in denen Sosa und Roberto Massimo oft zu hoch stehen bei gegnerischem Ballbesitz, kann sich Freiburg viel zu easy durch kombinieren. Teilweise kommt der VfB – Parallele zu Leipzig – gar nicht in die Zweikämpfe. In der Offensive spielte Teto Klimwowicz durchaus ansprechend, Hamadi Al Ghaddoui machte sein Tor, aber es fehlt an Durchschlagskraft und an Kreativität im Spielvortrag. Die kamen weder von Philipp Förster noch vom eingewechselten Daniel Didavi, Philipp Klement kreiselt zu gerne und Enzo Millot schien bei allem Engagement überfordert. Erstaunlich, dass Matarazzo die letzten offensiven Optionen auf der Bank – Erik Thommy und Tanguy Coulibaly – nicht genutzt hat. Und warum wurde Sven Schipplock nicht hochgezogen? Ein Kämpfer beim Anlaufen, eine Drecksau im Zweikampf, er hätte womöglich einige Standards ziehen können.

Die Hoffnungen liegen nun auf Sven Mislintat. Seine Aufgabe ist alles andere als easy: Aber wenn Mislintat eines kann, dann überraschen. Sowohl für welche Position er einen (oder zwei?) neue Spieler holt, als auch der Namen an sich. Zumindest finanziell helfen könnte ein Verkauf von Marc-Oliver Kempf, der beim Tabellenletzten Hertha BSC auf dem Zettel steht. Für die nächste Saison soll er sich laut StZ/StN mit den Berlinern bereits einig sein, nun steht ein sofortiger Wechsel im Raum. Gleichwertig ersetzen könnten ihn zwar weder Clinton Mola noch Hiroki Ito, aber es ist zu vermuten, dass Mislintat die Einnahmen eines Kempf-Verkaufs in einen Stürmer investieren würde. Kaderplanung ist ein komplexes Geschäft: Die Abwehr schwächen, um im Angriff mehr Möglichkeiten zu haben? Mit einem Verkauf Kempfs neben der Position des Stoßstürmers auch in der Innenverteidigung eine Baustelle aufmachen?

Die Geschichte der Last-Minute- und Verzweiflungstransfers ist beim VfB eine reine Horror-Show. Der Rumpel-Russe Pogrebnyak, Mauro Camoranesi, Robbie Kruse und Toni Sunjic fallen mir spontan ein (hier Bildergalerie dazu denken). Aber Sven Mislintat ist nicht Robin Dutt und nicht Horst Held, deshalb müssen wir solche Transfers nicht befürchten. Das Diamantenauge wird eine kreative Lösung finden. In einigen Interviews betonte er stets, dass er auf alle Eventualitäten vorbereitet sei.

We mislintrust!

Nicht nur Pogrebnyak, sondern auch positive Transferbeispiele wie Pavel Pardo, Ricardo Osorio und Roberto Hilbert und überhaupt vieles Positives :-) finden sich in unserer VfB Fußballfibel, 2. Auflage. Aktualisiert, korrigiert und mit einem neuen Kapitel namens “Barca eleminato, Stuttgart kaputt”. Wenn Ihr direkt bei uns bestellt, erhaltet Ihr einen Downlaodlink zu einem Soundfile, in dem wir Euch unsere Text-Outtakes vorlesen. Hört sich ganz gut an, finden wir.

Zum Weiterlesen:
Hier gehts zu unserem VertikalGIF “Nein, doch, ooooh”
Einen Sven Schipplock mit sehr sympathischen Aussagen findet Ihr hier

Foto: imago

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12 Kommentare

  1. Bacardihardy sagt

    Noch auf Last minute transfers zu hoffen , ist für mich eine Ablenkung vom tatsächlichen Dilemma.
    Warum sind so viele Spieler beim Vfb verletzt und warum ist die Defensive so schwach ?
    Es sieht schon wieder so aus, als könnten die meisten Spieler nicht von Anfang bis Ende Vollgas geben. Fehlende Fitness führt auch zu Verletzungen.
    Und im Sturm würde ich den Alou Kuol bringen, der aktuell nur in der 2.Mannschaft ran darf.
    Irgendwie enttäuschend das Freiburgspiel.

  2. @abiszet sagt

    Hi Hardy, dass noch etwas gemacht werden muss, finde ich unstrittig, zu viele Verletzte. Ich sehe keine körperlichen Defizite und wüsste nicht, wie sich Kalajdzic, Sankoh, Mavropanos und Führich aufgrund von fehlender Fitness verletzt hätten. Wenn Alou Koul ein Faktor wäre (heute in der 46. Minute bei der U21 ausgewechselt), dann stünde er im Kader. Dass er bis Ende des Jahres für 5 bis 7 Tore gut ist, halte ich für illusorisch.

  3. Jörn sagt

    Hi. Sehe ich auch so. Verletzungen kamen ausschließlich durch Fouls bzw Körperkontakte. Es ist doch normal, das wir solche Ausfälle nicht ohne weiteres verkraften können…noch nicht. Ich bin auf der Seite…we Mislintrust

  4. drhuey sagt

    Bezüglich des netten Onkels aus dem Breisgau sind wir uns absolut einig. Sein Verhalten ist verstörend, denn grundsätzlich sind die Mannschaften nach VfB’s Aufstieg maximal auf Augenhöhe, wenn man die letzte Saison heranzieht. Die aktuelle Verletztenmisere und Freiburgs Flow eingerechnet, war so ziemlich jedem klar, dass es doch eher nach einem Dreier für Freiburg aussieht. Man muss sich also nicht aufführen wie Rumpelstilzchen nach der Hochzeitsnacht mit der Müllerstochter. Wichtiger jedoch ist die Frage: wie möchte der VfB Spiele gewinnen gegen Gegner ausserhalb der Abstiegszone. Sosa ist wertvoll auf der Aussenbahn, aber, wenn im Zentrum die Abnehmer seiner Flanken fehlen ist es nicht mehr als eine stumpfe Waffe. An der Stelle hätte ich vom Trainer erwartet, dass er darauf reagiert. Freiburg hat sich auf ihre sehr gute Defensivarbeit konzentriert; warum nicht Coulibaly ausnahmsweise im Zentrum bringen. Sehe ihn generell nicht dort, aber ein bisschen Alarm hätte gut getan. Millots Debut erinnerte mich stark an Mola’s: ja keinen Fehler machen. Zumindest bei diesem Kurzeinsatz hat er nur den Castro’schen Spielberuhiger gezeigt, der in der Situation aber nicht gefragt war. Und das zeigt eben auch die Misere der aktuellen Situation. Denn selbst, wenn er auch das Castro’sche Schnittstellenpässle drin hat, das wir gestern so dringend gebraucht hätten, wäre es doch zuviel das von ihm jetzt schon zu einzufordern. Was man allerdings verlangen kann ist, dass die gestandene Defensive den Laden besser zusammenhält. Ich hätte keinen Schmerz Kempf schon jetzt zu Geld zu machen und Ito einzusetzen. Vielleicht kostet er das ein oder andere Tor; Kempf aber auch. Ich mag einfach diesen tiefgefrorenen, fokussierten Habitus der Japaner.

  5. Cosmick sagt

    Wird jedenfalls eine spannende Saison und vermutlich mehr Abstiegskampf, als man es vor der Saison und nach dem ersten Spieltag vermutet hätte,… Das zweite Spiel in Folge verschlafen zu haben, ist bitter. Durch die eigene Schlafmützigkeit sich um wertvolle Punkte gebracht zu haben ist noch bitterer.
    Die Verletzten bedeuten natürlich Qualitätsverlust, aber es nur daran fest zu machen ist zu einfach.
    Die zweite Garnitur ist einfach gefordert mehr auf den Platz zu bringen und vor allem schon im Kabinengang voll “online” zu sein,…
    Die wollen doch alle Stammspieler sein/werden,..

  6. Clemens sagt

    Ein Blick auf die nackten Zahlen ließe vermuten, wir hätten kein Problem im Sturm (immerhin 7 Tore in 3 Spielen), sondern in der Abwehr. Aber das wäre vergleichbar mit der Annahme, dass wir mit Al Ghaddioui einen adäquaten Kalajdzic Ersatz im Kader hätten, nur weil dieser bereits 2 Saisontore erzielt hat. Unsere drei Innenverteidiger hatten gestern sicher nicht ihren besten Tag, wurden von ihren Vorderleuten aber auch gerade beim 0:1 sträflich alleine gelassen, Aber sie sind immerhin für 3 der bisherigen 7 Treffer verantwortlich, was schlussendlich doch wieder den Fokus auf die Offensive lenkt.

    Klimowicz zeigt nach nunmehr über 2 Jahren beim VfB nach wie vor ein geradezu groteskes Abschlussverhalten. In der 1. HZ hatte der Junge zwei Abschlussmöglichkeiten, die er so unfassbar stümperhaft vergeben hat, dass sein anschließender Einsatz leider kaum noch entscheidend ins Gewicht fällt. Auch bei Förster muss man sich scheinbar darauf einstellen, dass dieser besser vorbereitet, als selber abschließt. Das sind dann 2 von 3 nominell Offensiven, die absolut Null Torgefährlichkeit ausstrahlen. Dazu ein Al Ghaddioui, der im Rahmen seiner Möglichkeiten ordentlich performt, aber im Bundesligavergleich eher unterdurchschnittlich einzuordnen ist.

    Die hier beschriebene Option, Kempf zu Geld zu machen, um einen weiteren Stürmer zu finanzieren, halte ich für fahrlässig. Kempf wird uns noch mit guten Leistungen im weiteren Saisonverlauf des Öfteren den Ar… retten. Und Ito wird für Verletzungsausfälle (Mavropanos) benötigt. Ein Verkauf von Kempf würde nur eine weitere Baustelle aufmachen, ohne die Garantie, eine weitere Lücke im Angriff zu schließen.

    Wenn wir nicht im Vorgriff auf einen möglichen Abgang von Silas oder Kalajdzic zum Ende dieser Saison jetzt schon einen echten Ersatz verpflichten wollen, dann sollten wir komplett auf einen solchen verzichten und bestenfalls einen Stürmer ohne KO ausleihen. Vielleicht entspannt sich die Situation mit Rückkehr der meisten Verletzten bis Ende Oktober, Anfang November?

    • Bernd sagt

      Wenn es stimmt, dass Kempf sich bereits fürs nächste Jahr mit der Hertha einig ist, welche Motivation sollte er dann noch haben, im Abstiegskampf die Knochen hinzuhalten? Die Beobachtungen einer gewissen Lustlosigkeit lassen sich ja nicht von der Hand weisen, es gab auch schon in der Vorbereitung Ärger mit Rino deswegen.

      • @buzze sagt

        Scheint bei Kempf bzw. seinem Berater gängige Praxis zu sein. War bei seinem Wechsel von Freiburg nach Stuttgart auch so. Ich finde das jetzt nicht so problematisch, wenn beide Seiten wissen, woran sie sind. Theoretisch ist Kempf dann eben nur noch Nr. 4 hinter Ito.

        • Bernd sagt

          Für IV Nr. 4 verdient Kempf viel zu viel, das werden dank Reschke-Vertrag fast schon badstuberige Dimensionen sein.

          • Clemens sagt

            Das glaube ich nicht, nachdem Kempf die Vertragsverlängerung zu neuen Bezügen abgelehnt hatte. Erst die hätte ihn nach Aussage von Mislintat zu einem der Top-Verdiener gemacht.

            Und Kempf wird sich auch nicht hängen lassen, denn noch hat er keinen Vertrag bei Hertha unterzeichnet und der aktuelle Saisonstart der Berliner könnte auch ganz schnell in der 2. Liga enden. Und dann werden die Karten eh noch einmal neu gemischt.

    • Clemens sagt

      Nun ist die Transferperiode für diesen Sommer durch und was kann man sagen: Intelligente Transfers. Marmoush ist eine super Alternative für den linken Flügel (sozusagen eine Alternative für Klimowicz) und Faghir der (mittelfristige) Ersatz für Kalajdzic. Gerade Marmoush hatte in der Rückrunde beim FC St. Pauli gezeigt, dass er auch selbst Treffer erzielen kann, aber genauso Assists liefert. Faghir dürfte vielleicht noch ein wenig Zeit benötigen, bis er sich an die stärkere Bundesliga gewöhnt hat. Aber ich bin zuversichtlich, dass er bereits diese Saison eine Verstärkung darstellt.

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