Sankt Pauli ist wie der VfB, genauso anstrengend. Das kleine f, immer wieder Anlass zur Beanstandung oder gar Wut in Stuttgart. Genauso bei den Kiez-Kickern: Hier darf auf keinen Fall nur Pauli gesagt werden, das “Sankt” ist heilig! Aber ist “Kiez-Kicker” eigentlich erlaubt?
Und die sonstigen Verbindungen zwischen den beiden Clubs? Ein paar Spieler waren in beiden Clubs aktiv. Eine kleine Zeitreise:
Andrè Golke
Mit 25 Treffern ist er bis heute Rekordtorschütze des Kiez-Klubs in der ersten Liga. Nachdem der VfB 1992 Meister wurde, wechselte er nach Stuttgart. Keine glückliche Verbindung. Golke kam nie über den Status eines Ergänzungsspielers hinaus, schoss immerhin im Entscheidungsspiel zum Einzug in Champions League gegen Leeds United den Ehrentreffer. Aber darin erinnert sich niemand gerne!
Felix Luz
Der gebürtige Esslinger ging mit 14 zum VfB und durchlief dort alle Juniorenteams. Den Sprung zu den Profis schaffte er nicht und landete nach einer Leihe nach Hoffenheim in Hamburg. In der Saison 2005/2006 war Luz Teil des Pokalwunders von St. Pauli, als die Hamburger bis ins Halbfinale vorstießen. Er erzielte sogar das Tor des Monats mit dem zwischenzeitlichen 2:2 im Achtelfinale gegen Hertha BSC. Und heute? “Ich arbeite als Spielerberater für meinen Freund Kevin Kuranyi“. Das Engagement für seinen Kumpel führte schließlich auch zur Trennung zwischen dem VfB und Luz, der bis 2018 in Cannstatt als Jugendtrainer arbeitete, bevor er Spielerberater wurde.
Benjamin Adrion
In Stuttgart ist sein Vater Rainer wesentlich bekannter, auf St. Pauli ist er eine Legende. Er hinterließ dort sportlich nicht unbedingt Eindruck (rund 50 Spiele in erster und zweiter Mannschaft), mit der Gründung von Viva con aqua parallel zu seiner aktiven Zeit auf St. Pauli beeindruckte er umso mehr. Ebenfalls Teil des St. Pauli-Pokalwunders 2005/2006.
Michel Dinzey
Absolvierte lediglich 14 Spiele beim VfB unter Trainer Jürgen Röber. Wurde nach seinem Wechsel zu St. Pauli sofort Publikumsliebling. Nach diversen Stationen kehrte er 2004 zurück und feierte mit Luz und Adrion das St. Pauli-Pokalwunder 2005/2006. Zum 100-jährigen wählten ihn die Fans in die Jahrhundertelf von St. Pauli.
Bernd Nehrig
Nur ein Spiel für den VfB (2006), immerhin eine Saison in Hamburg.
Patrick Funk
Lediglich eine Handvoll Einsätze bei den VfB-Profis, ein Tor beim 1:4 gegen Nürnberg 2011. Danach zwei Jahre an St. Pauli ausgeliehen. Die Fritz-Walter-Medaille in Gold (2007) war sein größter Erfolg.
Daniel Ginczek
Der Schmerzensmann von Stuttgart. Er hatte seinen Durchbruch bei St. Pauli 2012/2013 mit 18 Saisontoren, bevor er über den Umweg Nürnberg 2014 zum VfB wechselte. Hier haben wir ihn ins Herz geschlossen, weil er nie aufgab, nach jeder Verletzung noch muskulöser zurück kam und 2015 das entscheidende Tor in Paderborn schoss. Und die schönsten Bilder von Wiebke Ginczek und ihren süßen Mäusen haben wir uns an den Kühlschrank gepinnt.
Borys Tashchy
In Odessa geboren, kämpfte sich der Ukrainer von der zweiten Mannschaft zu den Profis – jedoch ohne groß aufzufallen. Nachdem sein Vertrag 2017 aufgelöst wurde, folgte nach zwei Saisons in Duisburg der Wechsel nach St. Pauli. Auch hier ohne Impact. Spielt heute bei Erzgebirge Aue.
Omar Marmoush
Nahm auf St. Pauli Anlauf zu seinem heutigen 40 Millionen-Marktwert. Danach beim VfB noch zu viel verspielt, wollte an alles ein Schleifchen machen. Unvergessen natürlich sein Eckball vor dem 2:1 von Wataru Endo gegen Köln – und die Aero-Löcher in den Stutzen!
Alexander Blessin
In Cannstatt am Neckar geboren, kam über Bonlanden und Ditzingen zum VfB. Mit mehr Spielen für die „Amas“ als für die Profis. Danach noch zehn Stationen als Fußballer, ehe er Trainer wurde. Erst U-Mannschaften in Leipzig, dann Ostende, Genua, St. Gilloise, heute schließlich Sankt Pauli.
Legendär natürlich: André Trulsen
Co-Trainer von Alexander Zorniger und mit rund 400 Spielen für St. Pauli (und gewählt in die Jahrhundertelf). Ihn traf ich 2015 zufällig am “Palast der Republik”. Ich nannte ihn den halben Abend Klaus Thomforde (ebenfalls in der Jahrhundertelf) bis er mich endlich darauf aufmerksam machte. Wie peinlich, das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und gab ihm ein paar Getränke aus, was zu einem mehr als turbulenten Abend in der „Schankstelle” führte. Als die Sonne aufging, tauschten wir Nummern aus und wollten uns zum Joggen am Bärensee verabreden. Die Entlassung von Zorniger kam uns leider dazwischen.
Ich dachte auch, dass Sven Schipplock auf dem Kiez kickte. Aber da erinnere ich mich falsch, ich verwechselte es mit seinem Siegtor zum 2:1 auf St. Pauli 2011. “In der Situation vor dem Tor hat er Mut bewiesen, sich durch ein, zwei gute Bewegungen in eine aussichtsreiche Schussposition gebracht und den Ball dann top getroffen”, so sein Entdecker Bruno Labbadia nach dem Spiel. Fun Fact: Schipplock wohnte zu dem Zeitpunkt zusammen mit Daniel Didavi in einer WG.
Großartig auch das Siegtor beim 1:0-Auswärtssieg von Carlos Mané 2017, der “auch dann noch leichtfüßig wirkt, wenn er knöcheltief im Matsch versinkt“. Ja, der Carlos Mané, der sich für den VfB kaputt machte.
Das letzte Spiel zwischen St. Pauli und dem VfB?
Im VertikalGIF schrieben wir 2020 „Kuchen, Kischte, Kieferbruch“. Der VfB spielte 1:1 am Millerntor, das Tor schoss Mario Gomez auf Vorlage von Silas.
Das letzte Heimspiel gewann der VfB im August 2019 mit 2:1. Nico Gonzalez traf in der Nachspielzeit nach einer Willy-Sagnol-Gedächtnis-Halbfeldflanke von Borna Sosa. Damals schon für den VfB auf dem Feld: Pascal Stenzel und Ata Karazor!
Nachspielzeit muss nicht sein, würde ich aber auch nehmen am Samstag im letzten Spiel des Jahres:
„Von links flankt Mittelstädt und in der Mitte steht Woltemade …“
Bilder: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images (Aufmacher), Martin Rose/Bongarts/Getty Images (Schipplock und Mané)
Obwohl ich fast 20 Jahre in einem Hamburger HSV-Stadtteil (brrrr) gelebt habe und mich schon vor meinem Umzug dorthin der VfB gekapert hat (ja, der Verein sucht sich den Fan, die Fußballromantik sabbelt mir auch keiner mehr weg), konnte ich mich der Anziehungskraft des FC St. Pauli kaum entziehen. Die nicht verhandelbare soziale und politische Haltung, die sympathische Underdog-Sache, Hells Bells und natürlich das Stadion zwischen Bunker und Kiez. In dem ich nie war, weil schon ewig für St. Pauli gilt, was seit einiger Zeit für uns gilt: Selbst in Besitz eines Mitgliedsausweises musst du schon irgendwen umbringen, um an ein Heimspiel-Ticket zu kommen.
Für kurze Zeit hab ich damals mal überlegt, meine Fußball-Liebe zumindest ligaübergreifend zu teilen. Ich ging an einem Winterabend durch die Schanze und schließlich an einer langen Straße vorbei, an dessen Ende das gen Himmel warm erleuchtete Stadion lag – in dem gerade ein Tor für St. Pauli fiel. Bis ich mein Auto erreichte, war der Jubel immer noch nicht abgeebbt. Aber: als mir später ein Freund für ein Spiel die Dauerkarte seiner grippeerkrankten Frau anbot, lehnte ich ab. Fühlte sich komisch an, eine andere, mir so fremde Mannschaft anfeuern zu sollen. Fremde Gesänge, nichts Vertrautes, komische Trikots, auf denen der Brustring fehlt. »Danke – aber… was soll ich da?« fragte ich.
Seien wir ehrlich: unser VfB ist auf der Coolness-Skala unterhalb des FC St. Pauli zu finden. Aber wie mein Kumpel Elias immer sagt: Alles kannste wechseln: PartnerIn, Job, Karre, Wohnung, Land. Aber nicht deinen Club. Probier’s erst gar nicht. Ist zwar auch Fußball, berührt dich aber nicht.
Drei Punkte, bitteschön. Trotz aller Sympathie und den vielen Übereinstimmungen, die ihr so schön zusammengetragen habt.
Herzlichen Dank für diesen schönen Kommentar!
Moin,
am Wochenende kommen meine Frau und ich endlich wieder nach Stuttgart um den Weihnachtsmarkt und natürlich den VfB zu sehen.
Meine Familie kommt aus Hamburg, ich der erste der in Schleswig-Holstein geboren ist. Fußballerisch komplett St Pauli aufgewachsen und fasziniert (Trulsen, Pröpper, Schlindwein).
Bis mir dann bei der WM 90 Guido Buchwald imponierte mit ehrlichen harten Fußball und später noch Berthold.
Wurde mir klar, dass es in der Fußballwelt und noch was anderes zu entdecken gibt, und als Kind aus Norddeutschland Schwaben schon wie das Ende der Welt klang.
Also gab es damals Anfang der 90er einen Jungen, der in Schleswig-Holstein mit einem Südmilch Trikot rum lief, und ich kann euch sagen es war nicht immer einfach.
Millerntor, Südtribüne, Flutlicht, Schiedwedder,und Pokalwunder gegen Bremen noch Stuttgarter mitwirken sind immer doppelt schöne Erinnerungen.
Jetzt schon Jahre VfB Mitglied und jetzt zum Hochzeitstag mir und meiner Frau (Fritzle-Ultra) ein paar schöne Tage mit Fußball und Stadiontour in Stuttgart geschenkt.
Und zwei Spiele im Jahr wo es mir einfach nur um Liebe geht und nicht um das Ergebnis.
Großartig 😍
“Schwaben schon wie das Ende der Welt klang.” 😂
[…] wir mal langsam auf Samstag: Der Stuttgarter Vertikalpass hat herausgearbeitet, welche Spieler bereits für beide Vereine gespielt haben. Und ganz nebenbei […]
Danke für den schönen Artikel. Vor allem die Trulsen-Geschichte ist großartig. :D
Bin mein bewusstes Leben lang VfB-Fan im Exil, mittlerweile seit vielen Jahren in Hamburg, wo ich dann eben auch mein (etwas kleineres) Herz für St. Pauli entdeckte.
Hoffe, es ist okay, wenn ich zu der Sammlung im Artikel noch ein paar Namen ergänze:
Seppo Eichkorn, der ab den späten 1980ern erst Co-, später auch kurz Cheftrainer auf St. Pauli war und 2003 beim VfB als Co-Trainer unter Magath mithalf, die ersten Jungen Wilden dieses Jahrtausends in die Champions League zu bringen.
Zusammen mit Luz und Adrion waren in den harten St. Pauli-Regionalligajahren, die schließlich mit Pokal-Halbfinale und Aufstieg ein Jahr später ihren erfreulichen Abschluss fanden, zwei andere Spieler feste Größen in Braun-Weiß, die zuvor bei der zweiten Mannschaft des VfB gespielt hatten: Florian Lechner und Fabio Morena, der auch eine Weile St. Pauli-Kapitän war.
Im St. Pauli-Tor stand seinerzeit Achim „Ho Ho“ Hollerieth, der in der Spielzeit 99/00 immerhin mal ein Bundesliga- und ein Pokalspiel für den VfB absolvierte.
Marvin Braun war später auch noch solch ein Name, auch wenn der sowohl beim VfB II als auch später bei St. Pauli weniger prägend war.
Lieber Dentrassi, vielen Dank für Deine Hinweise, Eichkorn ja, Hollerieth, logisch.
Aaaaaaaah Morena, wie konnte ich den vergessen.
Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass aus der Luz/Adrion Zeit einer fehlt. Und natürlich Morena, der aus Musberg kommt und bei Sankt Pauli zu so etwas wie einer Legende wurde, oder? Ich glaube, ich war auch 2012 zufällig im Stadion, als Morena mit Sandhausen ans Millerntor zurückkehrte und entsprechend gefeiert wurde.
Ja, Morena kann sich bestimmt jederzeit am Millerntor blicken lassen und wird dann freudig begrüßt. Er ist meiner Wahrnehmung nach vielleicht nicht ganz auf demselben Legenden-Level wie etwa André Trulsen, aber vielleicht ein bisschen so einer wie Matthieu Delpierre beim VfB, der einfach sehr lange und auch in einer insgesamt sehr erfolgreichen Zeit beim Verein war. :)
Toller Artikel, vielen Dank dafür. Blessin hätte meiner Meinung nach aber nach diesem lässigen Statement mehr Raum verdient: https://www.kicker.de/blessin-als-spieler-bespuckt-und-mit-geld-beworfen-hat-mir-gefallen-1059765/video – sehr sympatischer Typ.
Schönes Fundstück, vielen Dank!
Das Line-up großartig:
https://www.kicker.de/feyenoord-gegen-stuttgart-1998-europa-league-104230/spielbericht
Blessing kam spät, aber wohl mit Vorlage auf Bobic zum 3:0!
Das einzige Highlight in der Zeit von Winnie Schäfer …
Was den VfB und Sankt Pauli verbindet? Na, ICH natürlich. ;-)
Ich bin Jahrgang 81, gebürtiger Hamburger und seit den frühen 90ern Stadiongänger beim FC St. Pauli. Das war übrigens eine Zeit, als es noch nicht en vogue war, St. Pauli Fan zu sein. Und St. Pauli galt noch nicht – ebenfalls ein absolutes Un-Wort unter St. Paulianer*innen – “kult”. Selige Zeiten also. Und doch war mir in der Schulklasse der Distinktionsgewinn mit St. Pauli allein noch nicht genug – ich musste noch einen Verein finden, den garantiert KEIN*E andere*r Mitschüler*in an einem Hamburger Gymnasium gut fand. Da kam das magische Dreieck gerade recht und ich bekam Mitte der 90er einen zweiten Herzensverein geschenkt. Vorteil: da die beiden Clubs ohnehin selten die gleiche Spielklasse bespielten, musste ich mir kaum mal die Gretchenfrage im direkten Duell stellen, für wen das Herz denn jetzt mehr schlug. Nachteil: die VfB-Stadionerlebnisse beliefen sich zumeist auf Gastspiele im Volksparkstadion oder ich fuhr mit meinem Werder-Klassenkameraden nach Bremen. Leider in meiner gefühlten Wahrnehmung selten erfolgreich für meinen VfB: ich erinnere mich z.B. an ein Spiel, in dem Elfmetertorwart Hans-Jörg Butt gegen Franz Wohlfahrt gleich zweifach netzen durfte. Aber dafür wird mir beispielsweise das 4:2 im Volksparkstadion in der Meisterschaftssaison 2007 immer in herrlicher Erinnerung bleiben. Oder auch das erst ärgerliche, dann euphorische Double Feature 2019 – 2:6 in der Liga, aber nur drei Tage später 2:1 n.V. im DFB-Pokal. Im Neckarstadion war ich tatsächlich nur 3x – 1x auf Auswärtsfahrt mit ein paar HSV-Kumpels und 2x, weil ich mal zur Einarbeitung für einen Job einen Monat in BaWü verbringen durfte. Die Bilanz angesichts des weiten Weges kann sich wenigstens sehen lassen: 2x gewonnen, 1x unentschieden.
Bei St. Pauli war ich indes in der gesamten Zeit regelmäßiger Stadiongast. Und auch wenn es immer mal Phasen gab, in denen die Euphorie für den einen oder anderen Verein mal ein bisschen größer war, so mochte ich doch nie eine Wertung abgeben, welches denn mein Erst- oder Zweitverein war. Und dann kam die Saison 23/24 – eine Saison, die zum schönsten gehörte, was ich als Fußballfan miterleben durfte. Denn meine BEIDEN Vereine spielten zeitgleich in ihren Ligen das Blaue vom Himmel runter, wurden oft in Sachen Hoeneß- bzw. Hürzeler-Fußball in einem Atemzug genannt und gelobt.
So kommt es nun mal wieder zum direkten Duell meiner Herzenclubs, auf das ich immer mit ein bisschen Bauchgrummeln blicke: ein angenehmes Spiel ist das für mich nie, auf beiden Seiten ist der Impuls zum Jubeln da – und auf beiden Seiten fühlt sich das irgendwie auch falsch an. Wie gesagt: zum Glück musste ich mich dem ja nicht so oft aussetzen. Das Spiel am Samstag ist erst die 14. Begegnung beider Vereine der letzten 30 Jahre. Nur zum Vergleich: gegen den ungeliebten HSV (mein persönliches inneres Derby) ging es für den VfB im gleichen Zeitraum 55 mal! Meist hielt ich es im Duell des VfB mit St. Pauli damit, dass diejenigen gewinnen mögen, die die Punkte gerade nötiger brauchen konnten. Für wen mein Herz am Samstag mehr schlägt, kann ich aktuell selbst noch gar nicht beantworten. Nur eines ist klar: ich bin in jedem Falle froh, wenn das Spiel der zwei Herzen in meiner Brust erstmal wieder vorbei ist und ich wieder beiden uneingeschränkt die Daumen drücken kann.
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