Ich liebe Italien, mit Ausnahme von Gianna Nannini und Eros Ramazzotti.
Prosecco, Grappa, die Küche, Brunetti, Alfa Romeo. Das liegt nicht nur daran, dass ich über viele Jahre jeden Sommer in Terracina verbrachte, einem kleinen Ort rund 100 Kilometer südlich von Rom. In einem Strandhaus, in dem irgendwann mal Curd Jürgens, Uschi Glas und Helmut Dietl feierten, jedenfalls hingen Bilder davon an der Wand. Mit meinem Freund Phulp trank ich dort ab Nachmittag Bier aus diesen kleinen Flaschen von Peroni und dazu spielten wir Ping-Pong. Einmal schafften wir 200 Ballwechsel, ohne dass der Ball auf den Boden fiel und tranken nebenher jeder zwei Nastro Azzurro. Am Abend aßen wir riesige Pizzen, Pasta mit unfassbar viel Knoblauch und konnten uns meist nicht entscheiden, welchen Prosecco wir trinken sollten. Wir entschieden überwiegend nach dem Preis. In San Felice, einem Nachbarort Terracinas, erfragten wir den Preis von 3 Marken und bekamen die Antwort „Otto! Otto! Otto!“, während der Cameriere auf die drei verschiedenen Flaschenetiketten zeigte. Wir nahmen den für acht Euro.
Weit vor den Sommern in Terracina entwickelte sich meine Liebe für Italien bei der WM 1982. Paolo Rossi, Marco Tardelli, Guiseppe Bergomi, Bruno Conti. Namen wie Musik, alle Namen mit i-Endung fand ich als kleiner Junge sowieso poetisch und wehrte mich deshalb auch nicht gegen meinen Rufnamen Andi. Seit meine Traummanschaft Argentinien und Brasilien schlug – von der es hieß, sie sei die beste Selecao aller Zeiten – und Weltmeister wurde, sind meine Ansprüche an italienische Spieler hoch. Besonders an die, die zum VfB kommen. Nur einer mit i spielte beim VfB, Mauro Camoranesi. Immerhin ehemaliger Weltmeister, aber eine einzige Enttäuschung. Wie es aber wohl jeder ehemalige Weltmeister mit 35 Jahren ist. Giuseppe Catizone spielte noch beim VfB, Federico Macheda, Federico Barba und Cristian Molinaro.
An guten Tagen erinnerte Molinaro an Antonio Cabrini aus der 82er Weltmeisterelf, defensiv kompromisslos, offensiv leidenschaftlich. Und immer dieses Zwinkern in den Augen. An schlechten Tagen, und davon gab es nicht wenige, wirkte Molinaro wie ein 60-jähriger, der bereits einen Marathon in den Beinen hatte. Schwerfällig lief er, den Oberkörper vor Gram gebeugt, dazu leistete er sich haarsträubende Fehlpässe. Genau genommen hatte Molinaro, der auf schwäbischen Kartoffelsalat stand (“bitte keine Mayonnaise!“) und zum Frühstück Brezeln mit Erdbeermarmelade aß, genau ein gutes halbes Jahr beim VfB. Es war sein erstes halbes Jahr nach seinem Wechsel in der Winterpause 2010, bis er nach der Leihe von Juventus Turin einen Vierjahresvertrag erhielt. In diesem ersten halben Jahr rief nicht nur ich ihn „Moli“ (ihr wisst schon wegen dem i), sondern weil wir alle ihn ins Herz geschlossen hatten. Er hatte auch dieses Zwinkern, diese List im Blick. Obwohl ein Alex Hleb auf der Außenbahn reine Verschwendung ist, bildete er mit dem geliebten Weissrussen auf der linken Seite ein kongeniales Duo. Sie spielten Ping-Pong mit Ball und Gegner und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie nebenher noch alkoholische Getränke zu sich genommen hätten. Und dass Molinaro verteidigen konnte, zeigte er im Achtelfinale der Champions-League gegen den FC Barcelona. Heiko Hinrichsen schrieb in der StZ: „Vor allem sein Gegenspieler Cristian Molinaro durfte Messis Klasse ab und zu hautnah erfahren. Die Nummer zehn der Katalanen ist ein Linksfuß, doch er kurbelt das Barça-Spiel über rechts an. Ganz stoppen kann man einen Messi nie, doch Molinaro schlug sich sehr beachtlich. Unterstützt von Alexander Hleb, der auch defensiv gut arbeitete, bekam der VfB den Ausnahmekönner gut in den Griff.“
Molinaro blieb ein Teilzeitgenie in Stuttgart. Immer sympathisch, freundlich, wissbegierig, wirkte er auf dem Feld jedoch manchmal so plump wie Adriano Celentanos Frisur. War er im ersten Halbjahr abgebrüht und cool, schien er später einfältig und tapsig geworden zu sein. Kritiker sagen, Moli wäre öfter beim Möchtegern-Edelitaliener „Vivaldi“ gewesen als er Flanken an den Mann brachte. Molinaro war deutlich das angestrengte Bemühen anzumerken, wieder an seine Form des ersten Halbjahrs anzuknüpfen. Man muss zwar sagen, dass seine Mitspieler auf der Außenbahn nicht mehr Hleb, sondern Timo Gebhart oder Shinji Okazaki hießen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Verbissen wurde er, verkrampft, die typische italienische Lässigkeit vermisste man an ihm. Dem Linksverteidiger fehlte seine einstige Zähigkeit, er zauderte, er verlor völlig den Mut. Vier Jahre blieb Molinaro beim VfB und er schaffte es nicht an Maurizio Gaudino vorbei zu kommen. Der soll ihn einst zum VfB gelockt haben, als Spieler blieb Gaudino für Molinaro unerreicht. Klar, auch er so ein Teilzeitgenie, aber Deutscher Meister 1992 und Torschütze im UEFA-Cup-Finalhinspiel in Neapel 1989. Auch wenn Gaudino für die deutsche Nationalmannschaft spielte und ihm die i-Endung im Nachnamen fehlt, so ist er für mich der beste „Italiener“ in der VfB-Geschichte.
Teil 1, unserer Oster-Serie:
Otto Baric – die maximale Witzfigur
Teil 2:
Bernd Förster – der Schattenmann
Teil 3:
Silvio Meißner – der Bodenständige
Wenn Ihr noch weiter Lust am Stöbern habt: Wir haben unsere Blogroll aktualisiert.
Viel Spaß beim Lesen und Hören bei den Kollegen.
Titelbild: imago images / mbphoto