Mini-Feature, Spielbericht, VfB
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Die große Ernüchterung

Am Saisonanfang haben wir uns am alternativlosen Offensivfußball von Party-Zorni berauscht. Wir waren trunken vor lauter hohem Pressing und  haufenweise ausgelassener Torchancen. Und so besoffen, dass wir tatsächlich glaubten, das Problem in der Innenverteidigung ließe sich lösen, indem man “Lord” Hlousek umschult. Die Partystimmung ist längst verflogen, der VfB will nun auch ohne Zorniger Spaß haben und wir alle wissen jetzt, dass das gerne zitierte Konzept auch keine Lösung war.

Jürgen Kramny hat die undankbare Aufgabe übernommen, den verkaterten Haufen wieder flott zu machen. Und mittlerweile glaube ich, dass er genau der richtige für diesen Job sein könnte. Die Spiele gegen Bremen und Mainz waren unansehnlich und mäßig erfolgreich. Aber Kramny scheint erkannt zu haben, dass ein 0:0 in Mainz ein gutes Resultat ist, wenn man in den letzten drei Auswärtsspielen jeweils vier Gegentore bekommen hat. Kramny hat vielleicht auch realisiert, dass der VfB Stuttgart eben nicht an einem guten Tag jeden schlagen kann, sondern eher an einem nicht so guten Tag gegen jeden verliert. Vielleicht bringt der von vielen (auch von uns) als “farblos” charakterisierte Kramny genau die Nüchternheit in Spiel, die das Team jetzt dringend benötigt. Wer nach 16 Spieltagen 12 Punkte und ein Torverhältnis von -17 vorzuweisen hat, braucht kein elaboriertes Konzept, sondern eine stabile Defensive – und Punkte. Vor allem Punkte.

Gegen Mainz setzt Kramny auf Niedermeier und Sunjic. Aus meiner Sicht kein schlechter Schachzug, um Timo Baumgartl zu zeigen, dass die Verantwortung nicht allein auf seinen schmalen Schultern lastet. Schließlich konnte man förmlich dabei zuschauen, wie der 19-Jährige unter diesem Druck in den letzten Wochen immer weiter im Rasen versank. Unsere beiden Vorstopper gucken böse und klären in brenzligen Situationen auch mal ins Seiten- oder Toraus. Bloß kein Risiko eingehen. Die große Überraschung: Gegen Mainz funktioniert das hervorragend. Und die zwei gefährlichen Schüsse, die in der zweiten Halbzeit dennoch durchkommen, entschärft Pommes Tyton. Einmal gut und einmal so überragend, dass wir über seinen katastrophalen Abwurf in der Anfangsphase kein Wort verlieren. Man kann Kramnys auf Stabilität getrimmte Spielweise farblos und langweilig nennen. Mir kommt allerdings ein anderes Wort in den Sinn: Solide. Solange die Null steht, kann man auch mal auf begeisternde Flügelläufe der Außenverteidiger verzichten. No Zorni, no Party: Wer heiße Action will, schaltet besser um.


Christian Gentner wird wieder nach dem Schlusspfiff auffällig, als er sich und seinen Teamkameraden das Prädikat “unprofessionell” verleiht. Doch diesmal gesteht man das dem Kapitän zu, weil er auch auf dem Platz Akzente setzen konnte. Genauso übrigens wie sein Nebenmann Lukas Rupp, der nicht nur eine der zwei Großchancen hatte, sondern tatsächlich immer besser wird. Auf Twitter macht umgehend ein zaghafter Gündogan-Vergleich die Runde. Aber bloß keine Euphorie. Nüchtern bleiben.


So weit, so gut. Die Alka-Seltzer-Taktik hat die Mannschaft hinten stabilisiert. Nur leider steht auch in der Offensive die Null – und damit ist nun wirklich nicht Timo Werner gemeint. Dem kann man erneut ins Zeugnis schreiben, stets bemüht gewesen zu sein. Aber als einzige Spitze kann er seine Kernkompetenz, die Schnelligkeit, einfach nicht ausspielen. Immer, wenn er den Ball bekommt, steht ein Mainzer vor ihm; nie kommt er vorbei. Wenig Unterstützung bekommt er von Alexandru Maxim, der mal wieder nicht zeigt, warum wir ihn alle im Team sehen wollen.

Rätselhaft bleibt die Nichtleistung von Kostic und Dié. Ausgerechnet die beide Spieler, die maßgeblich zur Last-Minute-Rettung in der letzten Saison beigetragen haben, fallen gegen Mainz ab. Kostic mag gedanklich schon bei einem besseren Team sein, aber was ist mit dem Artist formerly known as Zweikampfmonster los? Schon seit Wochen ist Serey Dié nur noch ein Schatten seiner Selbst. Ich wiederhole mich gerne: Jürgen Kramny hat es geschafft, der Mannschaft Stabilität zu verleihen. Noch größer ist seine nächste Aufgabe: Er muss die losen Enden verbinden. Er muss es schaffen, dass alle Mannschaftsteile so solide funktionieren wie die Defensive gegen Mainz. Dann werden solche Spiele auch mal 1:0 gewonnen.

Und auch wir müssen uns daran gewöhnen, mit einem unansehnlichen torlosen Auswärts-Remis beim Tabellen-Siebten zufrieden zu sein. Die große Party ist vorbei: Jetzt geht’s ans Aufräumen und an die Schadensbegrenzung.

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4 Kommentare

    • @buzze sagt

      Danke fürs aufmerksame Lesen. Ich hatte auf die Tabelle vom 13. Spieltag geguckt. Peinlich. Ist korrigiert.

  1. draussenvomLande sagt

    40 Jahre VfB oder „die ungehörte Mehrheit“, NOCH
    Viele denken ja nicht daran, aber es gibt im Ländle weit mehr VfB-Fans als in das Stadion passen. Noch. Und „noch“ nicht, weil das Stadion größer wird, sondern „noch“, weil wir immer weniger werden. Warum? Nicht, weil es uns zu anderen Vereinen zieht, sondern weil wir schlicht aussterben und es keinen Nachwuchs mehr gibt.
    Wir können es uns nicht leisten, Spieltag für Spieltag ins Stadion zu pilgern, entweder fehlt uns dafür das Geld, oft auch die Zeit, denn für uns ist das Stadion wirklich weit weg und preislich ist es eben nicht mit der einen Eintrittskarte und den 2 Getränken getan. Wenn dann noch Kinder dazukommen, sind schnell mal weit über 100€ weg und die Frau hat auch noch nichts gehabt.
    Der VfB war die Mannschaft unserer Kindheit, unserer Jugend und ist auch jetzt im fortgeschrittenen Alter immer noch unsere Mannschaft. Und wenngleich wir nicht im Stadion sind, sehen wir uns so gut es geht, die Fernsehbilder an, lesen Spielberichte in der Zeitung und im Internet. Wir sind weiter weg, wir erfahren die Spiele nicht am „eigenen Körper“, aber auch wir leiden, seit Jahren, und auch wir resignieren, und das immer schneller.
    Vor wenigen Jahren konnten wir noch Live-Bilder in den Sportheimen oder Gaststätten unseres VfB’s mit Gleichgesinnten erleben und so wenigstens etwas an „Stadionstimmung“ geniessen.
    Vor wenigen Jahren noch konnten wir montags in der Arbeit Kollegen frotzeln und Kontra geben.
    Heute? Heute wird im Sportheim auf die Nord-Österreicher oder auf Dortmund/Konferenz geschaltet. Den VfB, den will die Mehrheit nicht mehr sehen. An dem hat die Mehrheit der Anwesenden kein Interesse mehr!
    Montags in der Arbeit wird man, wenn man Glück hat, gefragt, ob der VfB heute das Abendspiel hat, meist aber wird man ignoriert, oder wenn man Pech hat, schlicht bemitleidet.
    Als unsere ältesten Kinder angefangen haben, Fußball zu spielen, haben sie als Trainingstrikot VfB-Hemdchen von uns bekommen. Als sie älter wurden, haben sie die abgelegt und sich eigene Vereine gesucht, wer will schon so uncool sein? Kann sich jemand vorstellen, was es für ein Kampf ist, wenigstens zu verhindern, dass die Weisswürste sich im eigenen Kinderzimmer einnisten?
    Letztens war die Jugend-Mannschaft meines Jüngsten gegen Darmstadt im Stadion. Freude? Mehr als die Hälfte der Jungs wollte eine Niederlage des VfB mal selbst erleben und den anderen war’s egal. VfB-Fans unter den Jungs? Null %. Aber ein paar Väter mit VfB-Schal gab’s noch. Noch!
    Kurz danach war es Zeit für ein neues Trainings-Trikot für den Jüngsten. Also auf in das Sportgeschäft der Wahl. Nicht, dass ein VfB-Trikot vom Kleinen gewünscht gewesen wäre, ne, das war mal wieder ein gelbes. Aber auch der Vater sieht sich eben um und sucht seinen VfB und findet: Nichts! Null. Und schlimmer: Die Verkäuferin sagt auf Nachfrage, die haben wir nicht bestellt, die bleiben immer hängen. Und noch schlimmer: das weckt sogar Verständnis. Man sieht’s ja selbst, wenn man die Kleinen vom Training abholt.
    Und deswegen sterben wir aus, wir alleine schaffen es nicht, unsere Kinder für den VfB zu begeistern. Wir brauchen dafür den VfB, wir brauchen Spiele mit Herz und Kampf, wir brauchen Typen, die sich für den VfB abrackern, die wir zeigen können. Wir brauchen keinen Serien-Sieger und Adidas-steuersenkend finanzierten Abonnements-Meister, aber mithalten müssen wir können, wollen müssen wir können, und mehr siegen als verlieren müssen wir können. Und nicht nur Mitleid wecken.
    Ist es den Verantwortlichen beim VfB denn bewusst, auf welchen Abgrund zielgenau hingesteuert wird? Ist diesen Personen denn nicht klar, dass es nicht mit ein paar guten Spielen getan ist? Wollen die wirklich aus dem VfB eine „regional focussierte Stuttgarter Marke“ machen? Merken die das erst, wenn die Werbepartner ausbleiben und die Logen nicht verkauft werden?
    Hören die uns nicht weinen? Wissen die nicht, dass sie nach uns nichts mehr hören, weil niemand mehr da ist? Nicht mal mehr ein „Vorstand raus“?

  2. @abiszet sagt

    Lieber Draus-vom-Land,
    vielen Dank für Deinen Kommentar! Mit diesem Lamento hast Du Dir den Frust und Ärger aber mal so richtig von der Seele geschrieben ;-) Ich habe Dich jedenfalls weinen hören.

    Nicht selten sind wir ebenfalls verzweifelt, wie wohl jeder, der den Verein mit Herzblut verfolgt. Aber das Schlimmste wäre, jetzt aufzugeben. Das Schöne am Fußball: Jedes Spiel ist neu, jedes Spiel bietet eine Chance – außer der Gegner heißt Bayern München (und auch da ist an einem guten Tag was drin). Die Wende zum Guten kann uns jederzeit überraschen. Stell Dir vor, gegen Braunschweig rumpelt sich der VfB mit Ach und Krach eine Runde weiter, gewinnt dann gegen Wolfsburg 3:0 (unter anderem mit einem direkten Freistoss von Maxim), Jürgen Kramny darf weiter machen und legt eine Rückrunde hin wie Markus Babbel 2008/2009. Das ist unrealistisch? Nein, mit Träumen beginnt die Realität.

    Die Fragen, die Du stellst, stellen wir uns auch regelmäßig und ich bin mir sicher, in der Mercedesstraße werden dieselben Fragen diskutiert.

    Zum Thema Nachwuchs-Kicker in Barca-, Dortmund oder Bayern-Trikots und nicht im VfB-Dress (dem schönsten von allen) hat Kollege Sebastian einen Klasse-Text vorbereitet, der genau Dein Thema behandelt. Schau also mal die Tage rein und bleib uns gewogen!

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