Allgemein, Mini-Feature, VfB
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Well, that escalated quickly …

Schon bemerkenswert: Vor nicht mal zwei Wochen hielt ich es für vertretbar, das VfB-Spiel gegen Bielefeld zu besuchen. Heute halte ich es für eine meiner dümmsten Entscheidungen der letzten Jahre.

Es kommt einem vor, als sei das vorerst letzte Heimspiel des VfB Stuttgart schon eine Ewigkeit her. Unsere größte Sorge Anfang März war schließlich, dass das Spitzen- auch ein Geisterspiel wird. Elf Tage später hat die zweite Liga wie alle anderen auch längst ihren Betrieb eingestellt. Mannschaftssport findet – egal auf welcher Ebene – nicht mehr statt, Sport-, Spiel- und Bolzplätze sind deutschlandweit geschlossen. Und die anfänglichen Überlegungen, ob der VfB Stuttgart mit dem aktuell zweiten Platz eventuell bereits aufgestiegen ist, sind mittlerweile komplett irrelevant geworden.

Denn während wir (und ihr hoffentlich auch) zuhause ausharren, damit nicht noch mehr Menschen an dem Coronavirus sterben, sorgen sich Arbeitnehmer um ihre Jobs und Unternehmen um ihre Existenz. Aktuell steht definitiv mehr auf dem Spiel als ein Aufstieg. Viel mehr. Denn, machen wir uns nichts vor, auch die Clubs mit ihren Multi-Millionen-Etats werden um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen. Während viele von uns ihren Job auch von zuhause aus erledigen können, fällt diese Option bei Profisportlern flach. Und so zahlen die Clubs weiterhin üppigste Gehälter, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Dass das nur über begrenzte Zeit funktionieren kann, dürfte klar sein.

Doch die aktuelle Ausnahmesituation zeigt auch, was in unserer Gesellschaft möglich ist, wenn es darauf ankommt. Negativ wie positiv. Während einige Unverbesserliche ihr persönliches Freizeitvergnügen über die Gesundheit ihrer Mitmenschen stellen, hat die “Coronakrise” auch durchaus positive Nebenwirkungen. Und damit meine ich nicht mal die taumelnden Umfragewerte der AfD oder die Tatsache, dass unser Planet ganz offenbar die Chance nutzt, um mal kräftig durchzuatmen.

Nein, ich meine die Welle der Solidarität, die über Stuttgart, über Deutschland, Europa und die ganze Welt schwappt. Die Menschen helfen einander. Sei es mit Aktionen wie dem von den VfB-Ultras unterstützen Projekt “Gemeinsam helfen 0711” oder auch mit einen Gehaltsverzicht, wie ihn beispielsweise die Profis von M’gladbach praktizieren.

Der geschätzte Bernd Sautter hat einen bemerkenswerten Text geschrieben, warum wir das Geld, das wir für Tickets ausgegeben haben, im Falle von Geisterspielen zurückfordern sollten. Doch, auch, wenn ich seine Beweggründe durchaus für richtig halte, bin ich nach wie vor anderer Meinung. So lange ich es mir leisten kann, werde ich keine Mitgliedschaften bei Vereinen kündigen oder Geld für Tickets (egal, ob Fußball oder Konzerte) zurückfordern. Nicht, weil ich damit die kickenden Millionäre oder die Dubai-Trips ihrer Partner*innen alimentieren möchte, sondern weil ich die “ganz normalen” Mitarbeiter unterstützen möchte, die sich jetzt wie viele andere um ihre Jobs sorgen müssen. Ich hoffe jedenfalls, dass das Modell Gladbach auch bei anderen Vereinen Schule macht. Auch in Stuttgart wurden die ersten Zeichen bereits ausgesendet.

Schon Spiderman wusste: Mit großem Gehalt kommt große Verantwortung. Und wer weiß: Aktuell scheint ja fast alles möglich. Vielleicht sogar die Einsicht, dass momentan einfach vieles in die falsche Richtung läuft. Dass es nicht fair ist, genau die Menschen schlecht zu bezahlen, die uns in Zeiten wie diesen unter Einsatz ihrer Gesundheit den Allerwertesten retten, während junge Männer, die einigermaßen manierlich gegen einen Ball treten können, und dafür Millionen verdienen, aktuell wenig bis gar nicht helfen. Auch, wenn es furchtbar pathetisch klingt: Vielleicht ist die aktuelle Ausnahmesituation genau das, was unsere Gesellschaft benötigt hat: Ein ultimatives Signal, dass es so nicht weitergehen kann.

Doch zurück zum Fußball! Reden wir abschließend noch kurz über Geisterspiele. Ja, die will niemand. Denn ohne Fans ist der Fußball nichts, wie wir hier geschrieben haben. Aber auch hier haben die Ereignisse der letzten zwei Wochen gezeigt, dass wir eventuell umdenken müssen. Falls Spiele ohne Zuschauer der einzige Weg sind, um die Clubs vor dem Ruin zu bewahren, dann sollten sie ausgetragen werden. Und, ganz ehrlich: Nach zwei Wochen ohne Fußball würde ich mich vermutlich sogar über ein 0:0 vor leeren Rängen freuen. Aus heutiger Sicht wäre das nämlich ein echter Fortschritt.

Bis es soweit ist:
Bleibt gesund. Und bleibt verdammt noch mal zuhause!

(Titelbild by Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

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3 Kommentare

  1. Peter Schäuble sagt

    Danke sehr, liebe Blog-Schreiber. Sehr guter Aufruf. Toll finde ich, dass ihr dazu aufruft, keine Kartenkosten zurück zu verlangen. Denn bei unserem VfB werden ja nicht nur Profis beschäftigt, sondern viele sehr engagierte Mitarbeiter, mit eimeerweise Herzblut für ihren Verein, ohne die ein geordneter Ablauf nicht möglich wäre. Mit denen müssen wir uns ebenfalls unbedingt solidarisieren.
    Sollte man mir also das Angebot machen, die Kosten für ausgefallene Spiele zu erstatten, werde ich das ablehnen.
    1893 hey !
    Bleibt gesund. Ich meine das ernst !

  2. Klaus Weise sagt

    Top Beitrag! Ich teile deine Meinung uneingeschränkt. Unsere Gesellschaft braucht ein up-date und jetzt haben wir die Zeit, darüber nachzudenken.

  3. […] Diskussion um den Fußball und das Geld auch in der VfB-Blogosphäre schon von Sebastian Rose im Vertikalpass und Bernd Sautter auf Propheten der Liga geführt – zuerst schriftlich und dann neulich auch […]

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