Alle Artikel in: vp History

Texte über Spieler und Trainer, die heute kaum noch jemand kennt.

Die gute Seele des VfB Stuttgart

Gerhard Wörn, der seit 30 Jahren Waden und Oberschenkel knetet und sich nebenbei die Sorgen der Spieler anhört (und schweigt). Peter Reichert, das Multitalent: Fanbetreuer, Übersetzer, Best Buddy von Pavard, Teamanager. Günther Schäfer, der seine Grätschen-Kompetenz seit Jahrzehnten weiter gibt. Jochen Rücker, Chauffeur von Mayer-Vorfelder, Torwarttrainer und lange Jahre Teammanger in kurzen Hosen und mit O-Beinen, durch die ein Rudel Dobermänner laufen konnte. Und Jochen Seitz: Schiedsrichter, Sanitäter, Platzwart, Zeugwart und Betreuer. Die gute Seele des VfB. Einer, dessen Herz stets im Takt des Brustrings schlug. Am Freitag hat es aufgehört zu schlagen. Er wird fehlen. Spieler kommen, Spieler gehen, Trainer, Manager und Präsidenten sowieso. Es sind Menschen wie Wörn und Reichert und Schäfer und Seitz, die den VfB prägten und prägen, die im Hintergrund wirken, fernab der Öffentlichkeit, und die die Konstanten beim VfB bilden. Jochen Seitz war einmalig, ein Unikum im besten Wortsinne, verschmitzter Blick, herzlicher Humor und wohl der einzige Zeugwart der Welt, der nach einem Spiel eine eigene Benotung in der Zeitung erhielt. 6. Oktober 1984: Der VfB spielt in Köln. …

Der Rumpel-Russe: Pavel Pogrebnyak

Wir schreiben den Sommer 2009: Mario Gomez ist für die Rekordsumme von ca. 30 Millionen nach München gewechselt und im VfB-Angriff klafft ein riesige Lücke. Manager Horst Heldt muss einen Stürmer ersetzen, der in 121 Spielen 63 Mal getroffen hatte. Und so begann es. Stuttgart suchte den Stürmerstar. Eine erste heiße Spur führte nach Sinsheim, wo der Aufsteiger als Herbstmeister für Furore gesorgt hatte. Allen voran Demba Ba. Dass er bei den Stuttgarter Verantwortlichen ganz oben auf dem Zettel stand, war kein Wunder. Beim 3:3 der Hoffenheimer in Stuttgart hatte Gomez zwar doppelt getroffen, der Franko-Senegalese aber gleich dreimal. Wochenlang wurde verhandelt, spekuliert, gestreikt (Demba Ba wollte nicht mit ins Trainingslager der Hoffenheimer reisen). Und als sich Demba Ba, Horst Heldt und die Verantwortlichen von Hoffenheim – Jan Schindelmeiser und Ralf Rangnick – endlich einig waren, scheiterte der 16-Millionen-Transfer doch noch: Demba Ba war im Mai ein 41 Zentimeter langer Titannagel aus dem linken Schienbein entfernt worden, der nach einem Beinbruch zwei Jahre zuvor eingesetzt werden musste. Die Heilung nach der OP verlief nicht wie …

Der Spieler, der aus der Kälte kam: Eyjölfur Sverrisson

Das “ö” hatte es mir angetan. Wer ein ö im Vornamen hat, der muss rocken, so ähnlich wie Motörhead, dachte ich mir. Ich hatte gelesen, dass der VfB in der Winterpause 1989/1990 Eyjölfur Sverrisson (über die Schreibweise seines Vornamens existieren im Internet etwa drölf Versionen, ich mag die mit ö) verpflichtete. Nicht nur das ö weckte bei mir große Erwartungen, sondern auch sein isländischer Landsmann Asgeir Sigurvinsson. Der trug die Haare wie Johan Cruyff, hatte die Socken herunter gerollt wie Socrates und besaß den Blick für den freien Raum wie Bernd Schuster. Am 21. April 1990 siegte der VfB 3:1 zu Hause gegen Werder Bremen und Sverrisson feierte sein Bundesligadebüt. Sein erstes Tor schoss Jolly, wie er bald ohne mein ö zu meiner großen Enttäuschung genannt wurde, zwei Spieltage später, als er beim 4:0 Heimerfolg gegen Nürnberg in der 53. Minute eingewechselt wurde. Das Line-up des VfB sah so aus: Eike Immel – Guido Buchwald, Michael Frontzeck, Günther Schäfer – Karl Allgöwer, Maurizio Gaudino, Jürgen Hartmann, Manfred Schnalke, Ásgeir Sigurvinsson – Peter Rasmussen, Fritz Walter. …

Das Teilzeitgenie: Cristian Molinaro

Ich liebe Italien, mit Ausnahme von Gianna Nannini und Eros Ramazzotti. Prosecco, Grappa, die Küche, Brunetti, Alfa Romeo. Das liegt nicht nur daran, dass ich über viele Jahre jeden Sommer in Terracina verbrachte, einem kleinen Ort rund 100 Kilometer südlich von Rom. In einem Strandhaus, in dem irgendwann mal Curd Jürgens, Uschi Glas und Helmut Dietl feierten, jedenfalls hingen Bilder davon an der Wand. Mit meinem Freund Phulp trank ich dort ab Nachmittag Bier aus diesen kleinen Flaschen von Peroni und dazu spielten wir Ping-Pong. Einmal schafften wir 200 Ballwechsel, ohne dass der Ball auf den Boden fiel und tranken nebenher jeder zwei Nastro Azzurro. Am Abend aßen wir riesige Pizzen, Pasta mit unfassbar viel Knoblauch und konnten uns meist nicht entscheiden, welchen Prosecco wir trinken sollten. Wir entschieden überwiegend nach dem Preis. In San Felice, einem Nachbarort Terracinas, erfragten wir den Preis von 3 Marken und bekamen die Antwort „Otto! Otto! Otto!“, während der Cameriere auf die drei verschiedenen Flaschenetiketten zeigte. Wir nahmen den für acht Euro. Weit vor den Sommern in Terracina entwickelte …

Der Bodenständige: Silvio Meißner

Otto Baric und Bernd Förster haben wir euch schon ins Nest gelegt. Heute steigen wir in die Zeitmaschine und jetten zwei Jahrzehnte in die Zukunft, die aber auch schon wieder zwanzig Jahre in der Vergangenheit liegt. Aber egal! Reden wir über das Jahr 1999. Reden wir über Silvio Meißner. Und das nicht (nur), weil der ehemalige defensive Mittelfeldspieler des VfB Stuttgart aktuell in aller Munde ist. Kein Wunder, schließlich geht er einen ganz anderen Weg als viele seiner ehemaligen Kollegen: Meißner ist und beschäftigt mittlerweile “Alltagshelfer”: Menschen, die anderen Menschen helfen. Die Einkäufe erledigen, im Haushalt helfen, und schlicht und ergreifend andere im Alltag begleiten. Und das nicht erst seit der “Corona-Krise”. Geboren im Jahr 1973 in Halle an der Saale war Meißner ein so called “Kind der DDR”. Über den FC Halle landete er beim Chemnitzer FC und nach drei guten Spielzeiten in der zweiten Liga wechselte er 1996 schließlich zu Arminia Bielefeld. Und hier komme ich ins Spiel – irgendwie jedenfalls. Denn im Gegensatz zu @abiszet habe ich meine Jugend nicht im VfB-Umfeld …

Der Schattenmann: Bernd Förster

Brüder, die beim VfB aktiv waren? Die Schmäler-Zwillinge, klar! Die Allgöwers, Karl und Ralf, sie standen gleichzeitig auf dem Platz für die Profimannschaft beim VfB. Dann die Khediras, die Yakins, die allerdings nie gemeinsam aufliefen. Was ist mit den Caliguris? Den Vlachodimos’? Und zählen die Hlebs? Das berühmteste und erfolgreichste Brüderpaar beim VfB war allerdings Bernd und Karlheinz Förster. Wobei der große Bruder Bernd immer im Schatten des jüngeren Karlheinz stand, von „Le Kaiser“, dem Treter mit dem Engelsgesicht. Einen gemeinsamen EM-Titel errangen sie 1980 mit der Nationalmannschaft. Die beiden Schwarzacher sind sowieso erst das zweite Bruderpaar neben 54er-Weltmeistern Fritz und Ottmar Walter, das gemeinsam einen Titel mit der Nationalmannschaft holte. Bernd und Karlheinz haben gemeinsam sogar die meisten Länderspiele aller Brüderpaare ever auf dem Konto. Beim Suchen nach einem Bild für diesen Text habe ich völlig die Zeit vergessen. Bernd mit Franz Beckenbauer. Bernd mit Gerd Müller. Bernd mit Jupp Derwall. Bernd mit Bernd Schuster. Bernd mit Paul Breitner. Bernd mit Felix Magath. Bernd mit Calle del Haye. Bernd mit Walter Kelsch, mit Bernd …

Die maximale Witzfigur: Otto Baric

Otto Baric war eine Witzfigur. Jetzt könnten Spötter sagen, dass das bei nicht gerade wenigen VfB-Trainer der Fall war, aber Baric war es im wahrsten Wortsinne: Eine Figur, die ständig Witze machte. Meist allerdings unfreiwillig. Er wollte einst beim Mercedes-Stern auf dem Dach des Stuttgarter Hauptbahnhofs das Licht abschalten, damit ihm der VfB mit dem eingesparten Geld einen neuen Stürmer kaufen kann. Er hatte viele solcher Ideen, weshalb ihn so wenig Leute ernst nahmen, die Worte sprudelten aus ihm ununterbrochen heraus und das hörte auch nachts nicht auf, wie seine Frau einmal Stuttgarter Journalisten berichtete. Sein Lieblingswort war “maximal” (“Die Spieler müssen maximalen Einsatz zeigen”, “Ich bin maximal optimistisch”), das er “maximale“ aussprach und ihm den Spitznamen „Otto Maximale“ einbrachte. Der Kroate konnte zuvorkommend, unterhaltsam und witzig sein, pflegte allerdings einen fragwürdigen Umgang mit seinen Spielern und mit seiner ständigen Forderung nach mehr Geld ging er Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder mächtig auf die Nerven. Aufgrund seines arrogant wirkenden Auftretens war Baric in Cannstatt nicht beliebt. Er wusste immer alles besser, doch eines gelang ihm zumindest beim …

Einer, der schoss wie Allgöwer und Hitzlsperger

Die vier VfB-Spieler mit dem härtesten Schuss? Karl Barufka, Bernd Martin, Karl Allgöwer, Thomas Hitzlsperger. Meine vier ersten Idole beim VfB? Hermann Ohlicher, Bernd Martin, Karlheinz Förster, Didier Six. Bernd Martin ist gestorben und damit geht einer meiner Helden des VfB Stuttgart, der maßgeblichen Anteil dran hatte, dass ich Fan dieses großartigen Vereins wurde. Bernd Martin war einer der ersten „Jungen Wilden“ des VfB. Nachdem er mit der A-Jugend (u.a. mit Arno Schäfer, Martin Hägele und Mario Salzinger) Meister wurde, spielte er mit 18 Jahren bereits bei den Profis und feierte am 12. Dezember 1973 sein erstes großes Highlight: Achtelfinale im UEFA-Cup gegen Dynamo Kiew, so etwas wie das Nonplusultra der damaligen Zeit, mit dem Überspieler Oleg Blochin an der Spitze. Das Hinspiel in Kiew hatte der VfB bei minus 20 Grad mit 2:0 verloren, Hermann Ohlicher (40.) und Karl-Heinz Handschuh (75.) egalisierten im Rückspiel den Rückstand, alle richteten sich auf eine Verlängerung ein. In der 78. Minute wurde Bernd Martin eingewechselt und traf kaum zehn Minuten später zum entscheidenden 3:0 vor nicht einmal 30.000 …

Niceland

Die Haare wie Johan Cruyff, die Socken runter gerollt wie Socrates, ein Blick für den freien Raum wie Bernd Schuster. Es sah immer so leicht aus bei ihm. Am Ende flog der Ball punktgenau dort hin, wo er ihn gerne haben wollte. Außenrist, Innenrist, Vollspann – die Schönheit seiner Pässe und die Eleganz seiner Bewegungen sind bis heute unerreicht. Wenn Asgeir Sigurvinsson auf dem Platz stand, dann schien die Sonne heller, wirkte der Rasen saftiger und die Tore größer, das VfB-Spiel erreichte eine eigene Kunstform. Mit seinen feinen Füßen hätte es mich nicht gewundert, wenn er mit ihnen auch akustische Gitarre gespielt hätte. Zu niemandem passte Dirigent besser als zu Sigurvinsson. Wenn es das schon in den 80ern gegeben hätte, man hätte den Isländer als Wi-Fi des VfB-Teams bezeichnet: Er verband alle Spieler und Mannschaftsteile magisch miteinander. Wegen ihm kann ich die Mannschaft von 1982 immer noch auswendig aufsagen. Roleder. Förster. Förster. Schäfer. Hadewicz. Niedermayer (Kurt!). Allgöwer. Ohlicher. Six. Kelsch. Reichert. Und eben Sigurvinsson. Er war der Beste. Wegen ihm liebe ich Island. “Eismeer-Zico” nannten …

Dragan Holcer

Dragan Holcer: Gegangen, um zu bleiben

Dragan Holcer ist gestorben. Bei Holcer muss ich erst an Hermann Ohlicher denken und dann an Roland Hattenberger und dann an KSV Baunatal, Röchling Völklingen und FK Pirmasens. Zweite Liga. So wenig Zuschauer, dass auf Ordner verzichtet werden konnte, in der Halbzeit wechselten die Zuschauer von der Cannstatter in die Untertürkheimer Kurve, um näher dran zu sein, falls ein VfB-Tor fallen sollte. Das war natürlich nix für meinen Vater. Er hatte eine Dauerkarte, Gegengerade Mitte. Bruddler-Ghetto. Um sich nicht vor jedem Spiel ein Sitzkissen zu leihen, hatte er ein eigenes, das stilecht in einer Ledertasche transportiert wurde. Als zentrale Figur in der Abwehr hatte Holcer maßgeblichen Anteil am Wiederaufstieg 1977. 100 Tore wurden eben gegen Baunatal, Pirmasens und Völklingen geschossen. Aufbruch lag in der Luft. Wie vor dieser Saison. Der Aufbruch 1977 endete auf Platz 4, das wird diese Saison knapp. Von 1976 bis 1978 hat Holcer beim VfB 82 Spiele am Stück bestritten, ohne auch nur eine Minute zu fehlen. Manche sagen, Holcer hatte seinen Namen nicht von ungefähr, aber Holcer war kein Holzer, …